Exakt 131 Sekunden trennten Diego Godin von der Unsterblichkeit. 131 Sekunden, die es verhinderten, dass man sich in Jahrzehnten noch an ihn erinnert - in Spanien, Europa und Südamerika. Er war es, der Atletico Madrid im Champions-League-Finale 2014 gegen Real Madrid mit seinem Tor 1:0 in Front geköpft hatte.
Eine Führung, die bis weit in die Nachspielzeit Bestand hatte. Doch es fehlten eben besagte 131 Sekunden. Sergio Ramos glich in der 93. Minute die Partie aus, Real drehte das Finale, der Rest der Geschichte bekannt.
Unsterblichkeit, dafür sind in aller Regel Stürmer, die Tore in den Schlussminuten erzielen, Keeper, die den entscheidenden Elfmeter halten, und die kreativen Köpfe der Teams zuständig. Doch Abwehrspieler erreichen diesen Status selten. Dazu arbeiten sie wie Diego Godin oft zu sehr im Verborgenen und im Schatten der großen Stars.
Der Uruguayer gilt dabei als Paradebeispiel des bodenständigen Teamplayers. Die Auszeichnungen, die er zuletzt bekam, schätzt er, verweist jedoch stets direkt auf die Leistung seiner Teamkameraden, ohne die alles sowieso nicht möglich gewesen wäre.
Spieler des Monats April und Mai
So gab er sich letztlich auch nach den großen Ehrungen gegen Ende der Saison in Spanien bescheiden. Sowohl im April als auch im Mai wurde der Uruguayer zum Spieler des Monats gewählt - als Verteidiger im sonst so offensivverliebten Spanien.
"Diese Preise sind eine absolute Ehre für mich. Doch der Dank gilt auch dem Team", gab Godin bescheiden zu Protokoll. Dennoch sind es genau diese individuellen Auszeichnungen, die den bisherigen Karrierehöhepunkt des Innenverteidigers gut umschreiben.
Mit 17 Jahren machte Godin beim uruguayischen Erstligisten Cerro seine ersten Schritte im Profifußball, lediglich zwei Jahre später gelang ihm direkt der Sprung in die Nationalmannschaft. Bei der Copa America 2007 spielte sich der Uruguayer erstmals ins internationale Rampenlicht. Obwohl er im Verlauf des Wettbewerbs aus der Startelf flog und das Erreichen des vierten Platzes letztlich von der Bank aus sah, wurden europäische Klubs auf ihn aufmerksam.
So gelang ihm noch im selben Sommer der Sprung in die spanische Liga. Bei Villarreal war er von Beginn an im Dunstkreis der Startelf zu finden und entwickelte sich im Laufe der Saison zu einem festen Bestandteil einer der gefestigtsten Abwehrformationen der spanischen Liga. Am Ende sprang für den Underdog Platz zwei heraus.
Für acht Millionen zu Atletico
Nach drei Jahren bei Villarreal schnappte sich Atletico Madrid den Innenverteidiger nach Empfehlung von Landsmann Diego Forlan. Bei den Rojiblancos steht er seitdem wie kaum ein Zweiter sinnbildlich für den überraschenden Aufstieg des aktuellen Meisters. Atletico-Coach Diego Simeone schaffte es, um den uruguayischen Innenverteidiger eine defensive Einheit zu formen, die in der zurückliegenden Saison zahlreiche europäische Topklubs zum Verzweifeln brachte und in der Liga lediglich 26 Gegentore zuließ.
Godin gilt dabei mit seiner immensen Kopfballstärke und seinen uruguayischen Tugenden als zentraler Baustein der ausgeklügelten Defensivtaktik. "Wir in Uruguay lieben den Kampf. Das ist Teil unseres Charakters", so Godin. "Ich kann nicht auf den Platz gehen und das Spiel komplett genießen. Man rennt viel, gibt alles und geht bis ans Limit. Es ist purer Stress."
Bereits als Kind wurde der Innenverteidiger dabei von der harten Spielweise seiner Landsmänner geprägt. In der Kleinstadt Rosario im südlichen Zipfel des Landes aufgewachsen, bewunderte der Uruguayer von jüngster Kindheit an Landsmann und Juve-Abwehrlegende Paolo Montero - seines Zeichens Rekordhalter an Roten Karten in der Serie A.
Uruguays Problem in der Defensive
Godin jedoch als beinharten Innenverteidiger abzustempeln, wäre zwar alles andere als richtig, ein Kind von Traurigkeit ist "der Pharao" allerdings ebenfalls nicht. 21 Gelbe Karten in den letzten zwei Spielzeiten sprechen eine deutliche Sprache. In Spanien hat er zudem hin und wieder mit dem Image des unfairen Spielers zu kämpfen.
Im Spiel gegen Barcelona signalisierte er Nebenmann Miranda, an welcher Körperstelle er den angeschlagenen Messi am besten bearbeiten kann. Aufgezeichnet von den Fernsehkameras machte das Video im Internet schließlich die Runde und verschaffte ihm den zweifelhaften Ruf.
Auf internationaler Bühne hat sich der Uruguayer jedoch durch starke Auftritte in der Champions League einen Namen gemacht. Den Beweis, dass er seine aktuell bestechende Form jedoch auch außerhalb der Abwehrpyramide von Atletico abrufen kann, bleibt er aktuell noch schuldig.
Do-or-die-Spiel gegen England
Vor allem die WM-Quali offenbarte die Schwächen des Defensivverbundes von Uruguay schonungslos. Keiner der WM-Teilnehmer aus Südamerika kassierte in den 16 Quali-Spielen mehr Gegentore als Uruguay. Trotz der Abwesenheit von Stammplatzhalter Brasilien quälte sich die Celeste durch die Quali und kam letztlich nur über die Playoff-Hintertür und einem Sieg gegen Jordanien zur Weltmeisterschaft. Der mächtigen Offensive um Luis Suarez, Edinson Cavani und Diego Forlan sei Dank.
Auch die Auftaktniederlage gegen Costa Rica unterstrich die Probleme in der Defensive. Im Do-or-die-Spiel gegen England sorgt zudem der Ausfall von Kapitän und Godin-Nebenmann Diego Lugano, der sich mit Kniebeschwerden herumschlägt, weiter für Unsicherheit.
Noch im Vorfeld der Weltmeisterschaft wurde Godin ob seiner Bescheidenheit belächelt. Während viele seiner Landsleute das erste Spiel bereits als gewonnen ansahen, hob er mahnend den Zeigefinger und redete vor dem Auftaktspiel gegen Costa Rica von "schwierigsten Spiel in der Gruppe" und hob die enorme Bedeutung für die Entwicklung des Teams sowie die Stimmung innerhalb des Teams hervor.
"Die Welt spricht von Godin"
Speziell in Abwesenheit von Luis Suarez gilt der 28-Jährige trotz der wackeligen Defensive als heimlicher Superstar und stiller Leader seines Teams. Denn Tage vor dem tragischen Finale in der Champions League hatte Godin bereits seinen ersten Auftritt. Beim Saisonfinale am 38. Spieltag köpfte der 28-Jährige mit seinem Tor zum 1:1 Atletico zur Meisterschaft.
"Heute spricht die ganze Welt von Godin. In China und in den Vereinigten Staaten. Wir sind uns noch gar nicht bewusst, was das bedeutet", sagte Uru-Kapitän Diego Lugano damals. Auch Atletico-Coach Diego Simeone zog Godin unmittelbar nach der Partie an sich und schrie ihm ins Ohr: "Du wirst für immer und ewig Teil der Geschichte von Atletico bleiben."
Godin dachte im Moment des Triumphes jedoch an einen Landsmann. "Ich kann nun nachempfinden, wie sich Alcides Ghiggia 1950 bei seinem entscheidenden Tor im WM-Finale im Maracana gegen Brasilien gefühlt hat. Das ganze Stadion ist auf einmal mucksmäuschenstill", erzählte Godin im Anschluss an die Partie.
Der Doppelschlag aus Meisterschaft und Champions League blieb Godin zwar verwehrt, dennoch werden sie sich in Uruguay auch weiterhin die Geschichten von Godin erzählen. Dem Landsmann, der mit seinem Kopfball das mächtige Camp Nou erstummen ließ. Zur Unsterblichkeit reichte es aber nicht ganz. Dazu fehlten 131 Sekunden.
Diego Godin im Porträt