Der Kapitän hatte zum Grillen im kleinen Spielerkreis eingeladen, der Trainer spazierte einsam am Atlantik-Strand, Neymar turtelte mit Freundin Bruna im Hotel: Abstand gewinnen, Ruhe haben, ausspannnen hieß es für Brasiliens Selecao-Stars am freien Tag nach der ernüchternden Nullnummer gegen Mexiko.
Der versammelte Fußball-Sachverstand des WM-Gastgeberlandes rätselte und spekulierte derweil über zwei wenig überzeugende Auftritte zum Turnierauftakt. Der Schwung des Confed-Cup-Triumphs scheint wie weggeblasen. Viel schlimmer: Die scheinbar unantastbare Anfangself in den WM-Plänen von Coach Luiz Felipe Scolari ist ins Wanken geraten.
"Nach vorne tun wir uns schwer"
"Ab der Mitte nach hinten stehen wir ja ganz gut, aber von der Mitte nach vorne tun wir uns schwer", bemängelte Fußball-Idol Pele, für den die Probleme schon im WM-Kader anfangen. Der dreimalige Weltmeister hätte sich Spieler mit mehr Erfahrung gewünscht und führte als Beispiele Ronaldinho, Kaka oder Robinho an. Ein Trio, das bei Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari früh durch das Raster gefallen war.
"Das Team ist irgendwie ineinander verheddert, scheint verloren. Sie können Weltmeister werden, aber spielen hässlichen Fußball mit hohen Bällen, ohne Spielzüge, und kopflos in den letzten Minuten" - auch Gerson, der an der Seite von Pelé 1970 den Titel holte, nahm bei seiner Kritik kein Blatt vor den Mund.
Rai, Ex-Nationalspieler und Weltmeister 1994, nannte die Sorgenkinder gar beim Namen. Paulinho habe eine schlechte Saison hinter sich, und Fred gehöre auf die Bank. "Wir müssen aufhören mit dieser Idee, dass Brasilien einen Mittelstürmer braucht. Mit Neymar vorne drin wären mehr Lösungen da", schrieb der 49-Jährige in seiner WM-Kolumne für das französische Sportblatt "L'Equipe".
Verwirrspiel um Hulk
Zur Personalie Oscar, wegen schwacher Leistungen vor dem WM-Auftakt in Frage gestellt, gesellte sich am Mittwoch das Verwirrspiel um Hulk: In die heile Welt der "Familia Scolari" mischen sich Misstöne. "Er hätte spielen können. Ich habe eine Wahl getroffen. Wenn er sich wieder besser fühlt, vor allem mental, hat er eine Chance, ins Team zurückzukehren", erläuterte Scolari trocken. "Was kann ich machen? Ich muss das akzeptieren", antwortete spürbar unzufrieden der bullige Angreifer Hulk, den eine Muskelverletzung im linken Oberschenkel zwickt.
Der Zauber des Confed Cups ist jedenfalls dahin. Von der Dampfwalze, die im Vorjahr vom Anpfiff weg Pressing spielte und meist schon nach wenigen Minuten in Führung lag, von den fünf Siegen in fünf Spielen, ohne jemals in Rückstand geraten zu sein, vom Selbstvertrauen, damals noch favorisierten Gegnern wie Italien oder Spanien entgegenzutreten, ist nicht viel geblieben.
"Favoritenstellung Brasiliens irreführend"
Ob Brasilien zu schlagen sei, wurde Mexikos Andres Guardado nach dem Duell in Fortaleza gefragt, und der Mittelfeldspieler antwortete ohne Zögern: "Natürlich, das haben wir ja gezeigt." Das Rezept? Die Brasilianer selber angreifen, zu Fehlern zwingen.
Und so erkennt auch Rai "Im Moment ist die Favoritenstellung Brasiliens irreführend." Da hilft seiner Meinung nur eines: Die Selecao braucht einen großen Sieg, um das Selbstvertrauen zurückzugewinnen. Am besten am Montag im abschließenden Gruppenspiel gegen Kamerun. Denn ab dem Achtelfinale kommen andere Kaliber.