"England? Wie geil!"

Von Interview: Stefan Moser
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© Imago

München - Denkt man an deutsche Torhüter in England, fallen einem in erster Linie Bernd Trautmann und Jens Lehmann ein. Vielleicht noch Lars Leese, aber das ist eine andere Geschichte.

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Seit Sommer spielt aber noch ein weiterer deutscher Schlussmann auf der Insel: Stefan Wessels. Der Ex-Münchner und -Kölner ist beim FC Everton derzeit zwar nur die Nummer zwei, fühlt sich in Liverpool aber pudelwohl.

Vor dem UEFA-Cup-Spiel beim 1. FC Nürnberg sprach SPOX.com mit dem 28-Jährigen über Tragik und Leidenschaft in Liverpool, den Fußball in England und den besonderen Charme von Reihenhäusern. 

SPOX: Wie geht es Ihnen in England? Schon viele schlechte Witze über die deutsche Geschichte gehört?

Stefan Wessels: Nein, noch keinen einzigen. Mir geht es sehr gut, danke. Für die Kürze der Zeit habe ich mich schon gut eingelebt. Sportlich freue ich mich über die Herausforderung, und Liverpool als Stadt gefällt mir auch sehr gut.

SPOX: Sie stehen auf Reihenhäuser und stillgelegte Industriegebiete?

Wessels: Es gibt tatsächlich viele dieser typischen englischen Reihenhäuser. Aber Liverpool ist im nächsten Jahr Kulturhauptstadt Europas. Entsprechend entwickelt sich die Stadt gerade sehr schön. Es wird viel gebaut, und es gibt sehr viele grüne Flecken.

SPOX: Aber Liverpool hat auch seine Schattenseiten und sozialen Brennpunkte. Kurz nach Ihrer Ankunft wurde ein elfjähriger Everton-Fan mit drei Schüssen in den Nacken getötet.

Wessels: Das ist gleich an meinem zweiten Tag in Liverpool passiert. Und es war natürlich ein Riesenschock für mich, für die Stadt, für das ganze Land. Der Junge kommt vom Fußballspielen und wird auf offener Straße erschossen.

SPOX: Inwieweit war das auch ein Thema für die Mannschaft?

Wessels: Wir hatten gleich am folgenden Samstag ein Heimspiel. Die Familie des Jungen war im Stadion und es gab eine Gedenkminute. Man merkte die Trauer und die Solidarität im Publikum noch während des gesamten Spiels. Ich fand die ganze Situation sehr ergreifend. Wir sind mit Teilen der Mannschaft dann auch auf die Beerdigung gegangen, was auch nicht unbedingt eine alltägliche Geste ist. Ich war beeindruckt, wie die Zuschauer und der ganze Verein mit dieser schlimmen Situation umgegangen sind.

SPOX: Abgesehen von dieser Tragödie - wie waren Ihre ersten Eindrücke von Liverpool und dem FC Everton?

Wessels: Was mir gleich aufgefallen ist: Die Leute tragen hier auch im Alltag auf der Straße ihre Fußballtrikots. Die Stadt fiebert und lebt den Fußball, und man erkennt sofort, auf welcher Seite jemand steht: Rot (FC Liverpool) oder Blau (FC Everton, d. Red.).

SPOX: Rot gegen Blau kennen Sie ja schon aus Ihrer Zeit in München - nur dass Sie damals ein Roter waren.

Wessels: Stimmt. Und die Rivalität zwischen Everton und Liverpool ist mit der bayerischen durchaus vergleichbar. Bei meinem ersten Derby hier war die Atmosphäre ziemlich aufgeheizt, nicht nur im Stadion. Wir wohnen in einem Haus circa zehn Minuten von der Innenstadt entfernt, und selbst in meiner direkten Nachbarschaft spürt man diese Rivalität.

SPOX: Auch wenn die großen Erfolge schon eine Weile zurückliegen: Der FC Everton ist mit neun nationalen Titeln und 100 Jahren Erstliga-Zugehörigkeit in England ein absoluter Traditionsverein...

Wessels: Wir sind inzwischen auf ein neues Trainingsgelände umgezogen, aber in den alten Gebäuden spürt man diese Tradition auch noch in jedem Winkel. Genauso im Goodison Park: Ein sehr altes, aber auch sehr schönes Stadion. Man sieht einfach, dass es den FC Everton nicht erst seit gestern gibt. Dasselbe gilt für das enorme Fanpotential: Super viele Fans sind im UEFA-Cup mit uns bis nach Kharkov in die Ukraine geflogen, und garantiert werden auch viele mit nach Nürnberg kommen.

SPOX: Ist die Fan-Kultur ein Teil dessen, was Sie meinten, als Sie sagten, mit dem Wechsel auf die Insel geht ein Traum in Erfüllung?

Wessels: Jeder, mit dem ich vorher darüber gesprochen habe, sagte sofort: "England? Wie geil!". Es hat natürlich viel mit der Atmosphäre im Stadion zu tun. Es gibt keine Zäune, die Fans sitzen so nah dran, dass man der ersten Reihe die Hand schütteln kann. Trotzdem muss man keine Angst haben, dass jemand plötzlich aufs Feld hüpft. Aber wenn ein Verteidiger den Ball ins Aus grätscht, springen sie auf und klatschen. Das gibt es in Deutschland in der Form einfach nicht. Oder wenn ich denn Ball zum Abstoß hole, stehen die Fans auf und jubeln mir zu. Das macht schon Spaß.

SPOX: Sportlich lief es bislang auch nicht schlecht. Sie wurden als Nummer zwei hinter dem US-Keeper Tim Howard verpflichtet, haben aber bereits fünf Spiele für Everton gemacht.

Wessels: Mir war klar, dass ich mich erstmal hinten anstellen muss. Aber ich bekomme meine Chancen, und dabei waren alle mit meiner Leistung bisher zufrieden - vor allem Manager David Moyes. Natürlich würde ich lieber noch öfter spielen - aber allein, dass ich hier mein erstes Spiel gegen Manchester United machen durfte! Wenn mir das vor ein paar Wochen jemand erzählt hätte...

SPOX: Also kein Heimweh nach Deutschland?

Wessels: Ich hatte eine schöne Zeit in Köln. Aber ich denke: UEFA-Cup statt Zweiter Liga - ist nicht so schlecht!

SPOX: Was erwarten Sie für das UEFA-Cup-Spiel am Donnerstag gegen Nürnberg?

Wessels: Auch wenn die englische Liga insgesamt im internationalen Vergleich erfolgreicher ist als die Bundesliga, erwarte ich zwei gleichwertige Mannschaften. Es wird auf Kleinigkeiten ankommen. Wir haben zuletzt viermal in Folge gewonnen und viel Selbstvertrauen aufgebaut. Außerdem haben wir schon drei Punkte im Rücken, das ist sicher ein Vorteil. Und ich denke, dass da am Donnerstag zumindest einer - mit etwas Glück sogar drei Punkte - dazu kommen könnten.

SPOX: Verraten Sie uns auch die Ausrichtung Ihrer Mannschaft?

Wessels: Wir haben eine ziemlich kompakte Mannschaft, stehen defensiv sehr gut und lassen in der Regel kaum Chancen zu. Nach vorne haben wir sehr großes Potential und sind eigentlich in jedem Spiel für ein Tor gut.

SPOX: Auf welche Spieler sollte Nürnberg besonders achten?

Wessels: Den einen Superstar gibt es nicht. Aber noch vorne haben wir etliche gefährliche Spieler: James McFadden, Yakubu und Anichebe etwa. Oder im Mittelfeld Mikel Arteta und Steven Pienaar, der letztes Jahr noch für Dortmund gespielt hat. Leider fehlt uns derzeit allerdings Andy Johnson verletzt.

SPOX: Abschließende Frage: Verfolgen Sie die Entwicklung um Jens Lehmann bei Arsenal? In Deutschland sind viele Beobachter überrascht, dass er im Moment an Manuel Almunia nicht vorbeikommen soll.

Wessels: Almunia wirkt auf mich nicht wie ein Übertorhüter. Und ich halte sehr viel von Jens Lehmann - insofern wundert es mich schon, was da abgelaufen ist. Wobei man über Lehmanns Äußerungen natürlich auch streiten kann. Was mich sehr beeindruckt hat, ist, wie er nach seiner Verletzung die Quali-Spiele durchgezogen hat, das war wirklich stark. Er hat natürlich auch eine Menge Erfahrung - aber das war schon überragend.