Angefangen hat alles mit einem Praktikum bei Bayer Leverkusen. Danach folgte ein weiteres Praktikum beim FC Bayern, dann erste kleinere Jobs für Michael Reschke. Dann wurde Jonas Boldt Reschkes rechte Hand in Leverkusen, verband einen Südamerika-Aufenthalt mit ersten Scouting-Arbeiten für Bayer, kehrte zurück und brachte die damals noch etwas altbackene Abteilung der Werkself auf den neuesten technischen Stand.
Nach Reschkes Abgang rückte Boldt auf, wurde erst Chefscout und später Direktor Sport - ehe er dem Lockruf des Hamburger SV folgte und dort seit Beginn dieser Saison als Sportvorstand arbeitet. Jonas Boldt, erst 37 Jahre alt, hat einen überaus interessanten Werdegang, über den er offen und ausführlich in der neuen Ausgabe von "kicker meet DAZN - Der Fußball Podcast" spricht.
Außerdem erinnert sich Boldt an seine Anfänge als Scout, spricht über seine Erfahrungen mit Jupp Heynckes, mentalen Stress der Spieler und seine Aufgabe beim Hamburger SV.
Boldt fasziniert von Zusammenarbeit mit Heynckes
"Daten helfen" sagt Boldt etwa im Hinblick auf das große Feld der so genannten Big Data, "sie machen das Arbeiten schneller und effizienter." Den Schlüssel zu einem erfolgreichen Scouting sieht er darin aber nicht primär. "Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass eine Live-Sichtung unabdingbar ist. Scouting ist ein people's business. Und am Ende ist ein Scout mittlerweile noch mehr Profiler - und der Trainer ist für mich der erste Psychologe. Es ist nicht nur Handwerk und Taktik. Das ist Leadership."
Unheimlich viel gelernt habe Boldt dabei von Jupp Heynckes, als der Trainer bei Bayer 04 war. "Es war so faszinierend, mit ihm zu arbeiten. Weil er es einfach verstanden hat, jeden auf seine unterschiedlichste Art und Weise mitzunehmen. Und trotzdem dabei allgemeingültige Regeln anzuwenden."
Die große Belastung der Spieler gerade im Fußball sei ein Problem und auch nicht unbedingt vergleichbar mit anderen Sportarten. "Klar haben andere Sportler wie etwa in der NBA mehr sportliche Belastung bei 80 Spielen pro Saison. Aber das Entscheidende ist ja die mentale Belastung. Die beginnt da so richtig erst in den Playoffs. Davor sind das eher Events, sind zum Beispiel drei Auswärtsniederlagen am Stück zwar nicht schön, aber auch kein Problem. Im Fußball wird alle drei Tage Schwarz oder Weiß gezeichnet. Abstieg oder Nichtabstieg. Da geht es um Existenzen. Wenn man weiß, dass man gar nicht erst absteigen kann, trifft man Mitte einer Saison vielleicht völlig andere, strategische Entscheidungen. Wenn es aber wie im Fußball darum geht, kurzfristig das Ruder rumzureißen, ist das wieder etwas ganz anderes. Das wird mir viel zu sehr verkannt."
Boldt und der HSV: "Das ist es jetzt, geh all-in!"
Als das Angebot vom HSV kam und Boldt wieder "voll Lust hatte zu arbeiten", stand der Entschluss schnell fest. "Ich dachte: Das ist es jetzt, geh all-in! Genau das Konträre zu machen zu dem, was in Leverkusen war, war am Anfang schon ungewohnt. Von der Infrastruktur und vom Personal war ich von Leverkusen anderes gewohnt. Und in Hamburg waren viele im Urlaub und nach dem verpassten Aufstieg in einer gefühlten Depression. Es war untereinander kein richtiges Vertrauen da."
Trotzdem hätten sie beim HSV mit einem neu strukturierten sportlichen Team die Dinge schnell verändert, wie Boldt erzählt. "Der HSV ist ein riesen Verein, jeder ist daran interessiert. Und du bist verantwortlich dafür und musste Dinge entscheiden - auch mal gegen den Willen der meisten anderen. Es geht nicht darum, Jonas Boldt zu gefallen, sondern den HSV nach vorne zu bringen."
Boldt über HSV-Aufstieg: "Druck kann auch Antrieb sein"
Trotz der Rückschläge in den Spielen vor der Winterpause verfolgte Boldt weiter "eine klare Idee" und kaufte in der Winterpause demnach noch Spieler zu. "Nicht durch Harakiri-Aktionen, sondern mit einer nachhaltigen Idee, mit klaren Profilen der gewünschten Spieler." Bei der Verwirklichung der großen Ziele beim HSV sollen auch Spieler aus dem eigenen Nachwuchs helfen. "Aber das benötigt Zeit. Dafür muss man kurzfristig stabil sein, um im Hintergrund die Zeit zu bekommen, Rohdiamanten zu entwickeln. Das ist eine komplexe Geschichte."
Für den HSV zähle natürlich nichts anderes als der Aufstieg in dieser Saison. "Den Druck spürst du vom ersten Tag an jedes Spiel", sagt Boldt. "Wir sind davon überzeugt, dass es klappt. Wir gehen in Vorleistung, damit das Vertrauen wieder zurückkommt. Aber der Verein ist so aufgestellt, dass es auch in der zweiten Liga funktionieren würde, wirtschaftlich, von der Kaderstruktur und den Verträgen her. Aber unser Ziel ist es trotzdem, aufzusteigen. Nur: Dafür gibt es im Fußball keine Garantie. Der Druck ist da, aber der Druck kann auch Antrieb sein."