Als Andrea Pirlo am 13. Juni dieses Jahr bei Fatih Karagümrük vorgestellt wurde, platzte der angemietete Pressesaal aus allen Ecken und Enden. Noch nie versammelten sich so viele Journalisten bei einer vom Klub organisierten Medienrunde.
Der italienische Weltmeister von 2006, einer der besten Mittelfeldspieler der Geschichte auf dem Trainerstuhl eines Istanbuler Stadtbezirksklubs. Zwar musste Pirlo auch ein paar seltsame Fragen wie zum Kopfstoß von Zinedine Zidane im WM-Finale gegen Marco Materazzi beantworten, aber insgesamt war die Begeisterung zu spüren.
Die Aufmerksamkeit gehörte in jenen Tagen nicht Besiktas, Fenerbahce, Galatasaray und Trabzonspor - wie sonst so üblich - sondern Karagümrük. Doch aus der Rieseneuphorie, die Pirlo im Juni entfachte, ist heute kaum noch etwas zu spüren. In zwei Liga-Spielen kassierte Karagümrük schon acht Tore.
Andrea Pirlo: "Wir können so nicht weitermachen"
Zum Auftakt gegen Alanyaspor, das vom jungen Italiener Francesco Farioli trainiert wird, und nun am Wochenende beim 1:4 bei Besiktas. Dabei hatte die Pirlo-Truppe auch noch Glück. Allein zwei Tore des Ex-Wolfsburger Wout Weghorst wurden wegen knapper Abseitsstellungen nicht gegeben, viele weitere Chancen vergab Besiktas kläglich.
Zwar spielte Karagümrük im zweiten Durchgang dann in einer Phase sehr ordentlich mit, aber die erneute Niederlage war dennoch mehr als verdient. "Wir können so nicht weitermachen, wir können so nicht verlieren. Wir können nicht jede Woche vier Tore kassieren", schimpfte Pirlo. "Das heißt für uns, dass wir wohl nun einen Richtungswechsel vornehmen müssen."
In der Türkei ist das eine gefährliche Aussage, weil das meistens einem Trainerwechsel gleichkommt - gerade Karagümrük-Präsident und Eigentümer Süleyman Hurma gilt als Typ, der da gerne mal schnell schießt. Aber Pirlo, der für ein Jahr unterschrieben hatte, will den fatalen Start selbst wieder gut machen. "Wir dürfen nicht mit Angst spielen. Wir brauchen Charakter auf dem Platz."
Andrea Pirlo: Auch bei Juventus hatte er kein Glück
Es ist eine deutliche Rückentwicklung bei Karagümrük zu spüren. In der Vorsaison spielte man unter Ex-Profi Volkan Demirel lange sehr ansehnlichen Fußball. Nun ist davon kaum noch etwas zu sehen. "Mit diesem Tempo wird es für Pirlo nicht nur schwierig, die Saison dort zu beenden, wo er es gerne hätte, so wird es schwierig für ihn, die Saison überhaupt zu beenden", schreibt der berühmte Fußball-Experte Mehmet Demirkol in seiner Fanatik-Kolumne am Montag und spielt auf einen vorzeitigen Abschied ab.
Für Pirlo wäre es nach Juventus schon der nächste Klub, bei dem sein Versuch als Trainer Fuß zu fassen, missglücken würde. Beim italienischen Rekordmeister wurde er nach einer Saison als Trainer entlassen, nachdem er mit der "Alten Dame" erst am letzten Spieltag den Einzug in die Champions League packte und auch in der Königsklasse schon im Achtelfinale gegen den FC Porto rausflog.
Bei Karagümrük wollte er nun fern von allen kritischen Augen in Italien einen Neuanfang starten, doch der ist ihm bisher nicht geglückt. Zugutehalten muss man Pirlo, dass die Umstände im Klub äußerst schwierig sind.
Der Klub hat weder ein eigenes Stadion noch eigenes Trainingszentrum und muss jede Woche neu organisieren. Klub-Chef Hurma drohte schon mit seinem Rückzug, sollte sich bald keine Lösung anbieten. Nicht auszuschließen ist aber, dass - wenn die Ergebnisse weiter nicht stimmen - er dabei auch den Trainer in die Arbeitslosigkeit mitnimmt.