Sultan auf großer Mission

Von Fatih Demireli
Wesley Sneijder hat bei Galatasaray bis 2016 unterschrieben
© anadolu

Der Wechsel von Wesley Sneijder zum türkischen Spitzenklub Galatasaray verblüfft. Dabei hat der wohl größte Transfercoup der türkischen Fußball-Geschichte nur eine sportliche Note. Der Niederländer soll für eine neue Ära stehen, die das Fußball-Land Türkei unbedingt benötigt.

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Sie waren schon vor einer Woche da. Zahlreich waren sie erschienen, nachts um 1.30 Uhr am Istanbuler Flughafen, um ihren Messias zu empfangen.

Experten einer Fußball-(Trash)-Talk-Sendung, die es in der Türkei jeden Sonntag- und Montagabend zuhauf gibt, hatten lauthals angekündigt, dass Wesley Sneijder um 1.30 Uhr in Istanbul landen werde.

Ihre Quelle war der Boss der Galatasaray-Ultras, der "von jemanden aus Holland gehört hat", dass Sneijder kommt. Der gute Mann wurde sogar live zugeschaltet, um die bestenfalls vagen Informationen durchzugeben. Eine Breaking News, die zur späten Stunde überall Anklang fand - und eine Gruppe von Galatasaray-Fans voreilig den Weg zum Flughafen antreten ließ - sie warteten grundlos eine halbe Ewigkeit.

Sneijders Ja-Wort

Sneijder weilte zu diesem Zeitpunkt in Mailand, mit großer Wahrscheinlichkeit schlief er in seiner Wohnung, die er nicht auflöste, weil seine Zukunft mitnichten so klar war, wie die Herren im türkischen TV wissen wollten.

Zwar waren sich Galatasaray und Inter hinsichtlich der Ablöse von 7,5 Millionen Euro einig, und auch Sneijder recht schnell angetan vom Angebot des türkischen Meisters, aber da waren noch Details mit Inter zu klären. Werbeverträge, die ihre Gültigkeit verlieren, wenn Sneijder sein Arbeitsverhältnis mit Inter auflöst. Sneijder wollte entschädigt werden - und notfalls sogar bleiben, wenn es keine Lösung geben würde.

Ein letztes Gespräch am Sonntag mit Inter-Boss Massimo Moratti sorgte für Klarheit: Für Sneijder, für Inter, für Galatasaray, denn noch am gleichen Tag gab Sneijder sein endgültiges Ja-Wort und setzte sich am nächsten Tag in den Privat-Jet von Aydin Dogan. Der türkische Medienmogul hatte Gala seinen Flieger bereitgestellt, damit es der größte Transfer der türkischen Fußallgeschichte nach Istanbul so bequem wie möglich hatte.

"Veslii, Foto!"

Wieder waren die Galatasaray-Fans da. Tausende. Gesehen haben ihn die wenigsten, weil Sneijder gleich in einen gepanzerten Van gesetzt wurde, um dem Tohuwabohu zu entkommen. Vorher wurde er noch vom Flughafenpersonal abgeknutscht. "Veslii, Foto!" hallte aus allen Ecken und Enden. Der Niederländer machte artig mit.

Als Sneijder kurz noch die wartenden Fans grüßen wollte, indem er seinen Kopf aus dem Van streckte, stürzten sie sich auf den Wagen und liebkosten Sneijder. "Einfach unglaublich. Ich wusste ja von meinen türkischen Freunden, dass mich etwas erwartet, aber dieses Ausmaß hätte ich nicht erwartet", sagte Sneijder.

"So etwas hat Wesley noch nie erlebt. Weder in Madrid, noch in Mailand. Sehr beeindruckend", sagte Jeffrey Sneijder, der Bruder des Mittelfeldspielers, der ihn nach Istanbul begleitete.

Dreieinhalb Jahre geht der Vertrag des niederländischen Nationalspielers beim 18-maligen Meister der türkischen Süper Lig. "Er will seine Karriere hier beenden", verkündete Galatasaray-Präsident Ünal Aysal, der den Deal dank seiner guten Kontakte zu Moratti erst ermöglichte.

Warum wechselt Sneijder in die Türkei?

Doch ein Gros der Fußball-Welt stellt sich die ultimative Frage: Warum?

Warum geht ein Spieler dieses Kalibers im besten Fußball-Alter in eine Liga, die zugegeben nicht zur Creme de la Creme des europäischen Fußballs zählt. Warum geht er - trotz einer Vielzahl von Angeboten - nicht in die Premier League, wo er für Liverpool oder Tottenham Hotspur hätte spielen können.

Die Antwort "Geld" eliminiert sich beinahe von selbst, zumal Sneijder deutlich lukrativere Angebote aus Russland, unter anderem von Anschi Mahatschkala, abgelehnt hatte.

"Anschi hat ihm 12 Millionen Euro und dazu Bonuszahlungen in Höhe von vier Millionen Euro angeboten, aber er lehnte ab", sagt Unternehmer Ali Güven, der zu den Strippenziehern des Transfers gehört.

Sneijder wird bei Galatasaray jährlich 4,5 Millionen Euro netto verdienen, dazu gibt's Einsatzprämien und Bonuszahlungen bei Titelgewinnen. Alles im Rahmen europäischer Standards bei Spielern dieses Formats.

Mourinho und van Gaal: Geh' zu Galatasaray

Was ist es also dann, das den Champions-League-Sieger 2010 in die Türkei lockt? Sneijder selbst klärt auf: "Ich habe Jose Mourinho und Louis van Gaal angerufen, weil beide in meiner Karriere eine wichtige Rolle spielen und ihre Meinung mir wichtig ist."

Beide Trainer rieten Sneijder zu einem Wechsel: "Beide haben das Gleiche gesagt: 'Mach es!' Sie haben mir den letzten Push gegeben, auch weil sie wissen, dass der türkische Fußball im Kommen ist."

Finanziell ist die Süper Lig europaweit die sechste Macht. Nur in England, Spanien, Deutschland, Frankreich und Italien werden mehr TV-Gelder verteilt als in der Süper Lig. Jährlich fließen 375 Millionen Dollar in die Liga. Gerade die großen Klubs finanzieren sich dadurch immer größere Stars.

Kamen einst nur betagte Ex-Stars in die Liga, die den Herbst ihrer Karriere am wunderschönen Bosporus verbringen wollten, hat sich das Beuteschema längst verändert. Fernando Muslera, Felipe Melo, Emmanuel Eboue, Nordin Amrabat und Co. kamen im besten Fußball-Alter zu Galatasaray.

Hauptkonkurrent Fenerbahce, das kurz vor einem Transfer von Shootingstar Younes Belhanda steht, schmückt seinen Kader mit Raul Meireles, Miroslav Stoch, Moussa Sow oder Milos Krasic. Ebenfalls Spieler, die anderswo ebenfalls gute Chancen hätten, auf hohem Niveau zu spielen.

Imagepflege mit dem neuen Superstar

Diese Spieler, aber vor allem Sneijder, sollen die Liga nun auch sportlich zu einer angesehenen Adresse werden lassen, denn da hat die Süper Lig noch viel Luft nach oben. Galatasaray holte 2000 den UEFA-Cup, 2001 den Supercup, danach gab es mal ein Viertelfinale in der Champions League, aber ansonsten vermisste man internationale (Achtungs-)erfolge türkischer Klubs.

Der Manipulationsskandal, den die Türkei vor eineinhalb Jahren heimgesucht hat, half der Imagepflege nicht wirklich. "Der Ruf des türkischen Fußballs hat zuletzt stark gelitten. Ein Transfer dieser Größenordnung wird auch das Ansehen verbessern. Dieser Transfer ist eine wichtige Message an die Fußball-Welt ", sagt Galatasarays Geschäftsführer Lütfi Aribogan.

Sneijder selbst betrachtet die Dinge realistisch: "Ich weiß, dass die Süper Lig nicht zu den besten fünf Ligen Europas gehört. Aber die Erwartungen sind hoch, wir haben Ziele in der Meisterschaft und in der Champions League und es ist für mich ein Schritt nach vorne."

Auch Markus Merk, der seit zwei Jahren als TV-Experte in der Türkei arbeitet, wohnt dem Transfer eine große Bedeutung bei: "Für den internationalen Stellenwert ist der Transfer sehr wichtig. Er wird die Beachtung der türkischen Liga erhöhen."

Hilbert: "Er ist nicht der erste Star"

Die Verwunderung, dass Sneijder zu Galatasaray wechselt, kann Merk nicht verstehen: "Man darf Galatasaray nicht unterschätzen. Das ist ein großer Klub, der internationale Titel geholt hat und nun im Achtelfinale der Champions League steht."

SPOX-Kolumnist Roberto Hilbert sieht es ähnlich: "Die türkische Liga wird in meinen Augen übrigens noch immer unterschätzt, obwohl sie eine gute Qualität hat, auch wenn vielleicht noch einige Sachen verbessert werden können."

Hilbert, der bei Besiktas selbst mit Stars wie Guti, Quaresma oder Simao zusammenspielte, sagt: "Ich kann das nicht ganz nachvollziehen, dass der Wechsel von Sneijder zu Galatasaray für so viel Aufregung sorgt. Er ist nicht der erste Star, der in die Türkei gekommen ist."

Galatasaray zu Titeln verhelfen, das Image des türkischen Fußballs verbessern, den Erwartungen gerecht werden: Der Sultan, wie die "Gazzetta dello Sport" Sneijder nach dem frenetischen Empfang in Istanbul nannte, ist auf großer Mission.

Der Galatasaray-Kader im Überblick