Vor wenigen Tagen lag Casemiro in seinem Bett, als um 4 Uhr nachts eine WhatsApp-Nachricht auf dem Bildschirm des Brasilianers aufpoppte. Es war Toni Kroos. "Er hat gefragt, ob ich gehe. Ich sagte ihm, dass es stimmt. Er war krank und hat daher nicht geschlafen", erzählt Casemiro, der Kroos dann darum bat, jetzt schlafen zu dürfen.
Als Casemiro die Anekdote erzählt, lacht und weint er zugleich. Er lacht, weil er mit Kroos, Luka Modric und "allen anderen" Spielern von Real Madrid eine tiefe Freundschaft aufgebaut hat und es einem Menschen grundsätzlich gutgeht, wenn er über seine Liebsten sprechen darf. Er weint, weil Casemiro Real Madrid und seine Freunde nach neun Jahren verlässt und zu Manchester United wechselt.
Neben hunderten von Einsätzen sind es vor allem fünf Champions-League-Titel, die sportlich in Erinnerung bleiben. Casemiro ist ein elementarer Grund, warum Real Madrid in der letzten Dekade so außergewöhnlich erfolgreich war. Zinedine Zidane opferte bei den Ausläufern der Galaktischen einst einen offensiven Spieler, um den Brasilianer zu installieren und sammelte so viele Titel, weil er die perfekte Absicherung fand.
Als im Frühjahr letzten Jahres die ersten Prognosen für eine Traumelf von Real Madrid 2022/23 aufgestellt wurden, war Casemiro genauso mit dabei wie auch Kylian Mbappé. Man ging davon aus, dass Casemiro hier alt wird und dass der Franzose von Paris Saint-Germain kommt und endlich mal wieder ein richtig großer Name den Weg zu Real Madrid findet.
Kylian Mbappé: Die absolute Demütigung für Real Madrid
Aber die Geschichte ist bekannt: Mbappé ließ Real im Regen stehen, weil... ihr wisst schon. Während bei Casemiros Abgang selbst Real-Präsident Florentino Perez den Tränen nahestand, war der Baulöwe bei Mbappe mindestens sehr verstimmt. Diese Art von Demütigung ist der stolze Präsident Real Madrids nicht gewohnt.
Der von langer Hand geplante Mbappé-Deal - mit einer voluminösen Echtzeit-Überweisung aus Katar - es war alles dahin. Real Madrid sparte sich das Budget für eine Verpflichtung des Franzosen an: Die Weggänge von Sergio Ramos, Raphael Varane und Martin Ödegaard gehörten genauso zum Plan wie die Nicht-Verpflichtung von Erling Haaland. Wobei da sicherlich auch die unfassbare Form von Karim Benzema eine Rolle spielte.
Gleich am nächsten Tag machte die Real Madrid wohlwollend zugeneigte Zeitung Marca mit einer Geschichte auf, dass den Königlichen nun über 200 Millionen Euro zur Verfügung stehen und spekulierte munter darauf los, wen die Madrilenen nun alles holen könnten. Es war der Versuch, die geschundenen Seelen zu heilen. Von Darwin Nunez bis Mohamed Salah war alles dabei und man wartete regelrecht darauf, dass es so richtig knallt.
Der Knall blieb aus. Die Verpflichtung von Aurelien Tchouameni für 80 Millionen Euro von der AS Monaco war unabhängig von Mbappé sowieso geplant. Aber der Mega-Transfer für die Offensive, der Mbappé vergessen lassen sollte? Es ist nicht passiert.
Florentino Perez: Auf einmal verliebt in die Sachlichkeit
"Mbappé wollte nicht und das muss man dann jetzt auch nicht immer wieder thematisieren. Wir sind zufrieden und haben eine solide Basis", sagte Präsident Perez damals. In Spanien spekulierte man dennoch weiter. Verständlich, dass man dem Hinweis eines Präsidenten auf eine "solide Basis" nicht das endgültige Vertrauen schenkt, wenn dieser der größte Verfechter der europäischen Superliga ist und deren Idee nicht die sportliche Herausforderung, sondern pures Entertainment darstellt. So einer soll mit einer soliden Basis zufrieden sein?
Aber Perez hielt Wort. Er vertraut tatsächlich dem Fundament, das unter Carlo Ancelotti wieder geschaffen wurde und Real zu einer bemerkenswerten Sachlichkeit verholfen hat. Mbappé kommt nicht? Na und, sagt Trainer Ancelotti, der seit der Saisonvorbereitung den längst als Flop abgestempelten Eden Hazard stark redet und ihm mehr Spielzeit geben will.
Casemiro ist weg? Na und, sagt Trainer Ancelotti: "Wir hatten mit Casemiro sieben Spieler für das Mittelfeld, jetzt haben wir sechs Mittelfeldspieler. Das genügt." Zu den Kandidaten auf der Sechserposition zählte er neulich auch Kroos auf und verwies auf dessen Rolle in der Saison 2014/15, "als wir 22 Spiele in Folge mit ihm auf dieser Position gewannen".
Spanische Medien spekulierte neulich, dass Kroos sich wehren würde, dort zu spielen. Was natürlich nicht stimmt, aber Ancelotti nahm es mit Humor. "Mir hat er nicht gesagt, dass ihm die Position nicht gefällt", so der Italiener: "Kann sein, dass er es jemand anderem gesagt hat, aber mir nicht. Wenn er es mir sagt, macht das nichts, dann spielt er trotzdem dort." Er lacht mit, als die Journalisten lachen.
Alle Transfers von Real Madrid
Zugänge | Abgänge |
Aurelien Tchouameni (AS Monaco) | Casemiro (Manchester United) |
Antonio Rüdiger (FC Chelsea) | Borja Mayoral (Real Betis) |
Tekafusa Kubo (Real Sociedad) | |
Miguel Gutierrez (FC Getafe) | |
Victor Chust (FC Cadiz) | |
Luka Jovic (AC Florenz) | |
Isco (FC Sevilla) | |
Gareth Bale (Los Angeles) | |
Marcelo (vereinslos) |
Carlo Ancelotti baute eine Wohlfühloase bei Real Madrid auf
Diese eingekehrte Sachlichkeit ist stark mit seiner Person verbunden. Schon seit jeher ist Ancelotti als Spielerversteher bekannt. Nur in München verstanden sie nicht so sehr, aber das ist eine andere Geschichte. Er weiß, seine Mannschaft abzuholen und anders ist beispielsweise der Champions-League-Titel der vergangenen Saison kaum zu erklären. Spielerisch wirkten die Gegner oft stärker, es gab Phasen gegen Paris Saint-Germain oder Manchester City, in denen Real kaum noch Lösungen fand.
Und doch besiegte man die vermeintlich stärkeren Gegner mit ihren ausgefallenen Matchplänen, weil Real jedes Mal eine Energie entwickelte, um doch noch zurückzukommen.
Ancelotti scharte in diesen Spielen seine Führungsspieler um sich herum und ließ während in der Crunchtime Kroos, Marcelo und Co. mitcoachen, um sie emotional mitzunehmen. Das schaffte ein Zusammengehörigkeitsgefühl, was zu Großleistungen führen kann und Ancelotti und Perez bei der Abschiedspressekonferenz von Casemiro zu Tränen rührte. Bei Real Madrid ist ein verschworener Haufen entstanden und der Erfolg verstärkt das Ganze.
Auch wenn die Mannschaft auf einigen wenigen Positionen in die Jahre gekommen ist, will man diese Wohlfühloase aktuell nicht aufgeben und macht es sich in ihrem Schatten gemütlich. Dass Perez, der nach der Mbappé-Schmach erstmal komplett still war und erst nach dem gewonnenen Champions-League-Finale gegen den FC Liverpool in Paris sprach, davon überzeugt werden konnte, dass man keine Eile hat und die Sachlichkeit zur Tugend macht, ist bemerkenswert.
Als es Spekulationen gab, ob man Cristiano Ronaldo nicht zurückholen könnte, lächelte Perez das weg und verwies auf das Alter des früheren Propheten Real Madrids. Er fand schon die Frage empörend.
Toni Kroos jetzt allein in der Sauna
So ließ er sich auch nicht von der Kaufwut des ewigen Rivalen FC Barcelona beeindrucken. Den Transfer-Sommer diktierte europaweit Barca, holte Robert Lewandowski, Raphinha, Andreas Christensen und Co. Der Konter von Real blieb aus.
Ganz im Gegenteil: Neben Tchouameni kam in Antonio Rüdiger noch ein ablösefreier Verteidiger vom FC Chelsea, der bisher einen guten Job macht. Nicht spektakulär, aber sehr effektiv - klingt nicht nach Perez, aber wenn es funktioniert, ist alles gut.
Neben Casemiro verließen Real u.a. auch Gareth Bale, Isco, Marcelo - Marco Asensio könnte demnächst folgen. Aber auch dann wird nichts passieren. "Wenn Marco geht, werden wir niemanden verpflichten, weil wir das nicht bräuchten", sagt Ancelotti: "Wir sind bereit für alle Optionen."
Die Spieler danken es ihm mit einer Loyalität. Von Benzema und Modric bis hin zu den Jüngsten wie Eduardo Camavinga oder Rodrygo, die er genauso stark redet und schon in der letzten Saison in den wichtigen Spielen (wie gegen Manchester City im Rückspiel) einwechselte und sie ein Teil der einer großen Erfolgsgeschichte werden ließ. Dieses Jahr sollen sie nun noch mehr Verantwortung übernehmen.
Wenn sie Tipps brauchen, wie sie es noch besser machen können, sollten sie die Sauna auf dem Trainingsgelände aufsuchen. Dort finden sie Toni Kroos, der nach dem Weggang von Casemiro nun allein ist und sicher Zeit hat.
In seinem Podcast mit Bruder Felix hat Kroos die nächtliche SMS erklärt: "Ich habe das erstmal nur für ein Gerücht gehalten. Aber es gibt dann doch ein, zwei Zeitungen hier, die ein bisschen besser informiert sind. Als dann immer mehr berichtet und über Details gesprochen wurde, war es so, dass ich um drei, vier Uhr nachts wach war, als ich krank war. Ich habe im Internet rumgelesen, da stand viel über das Thema. Dann habe ich ihm halt nachts um vier geschrieben, ob er mich jetzt wirklich allein lässt in der Dampfsauna."
Wenn alle Stricke reißen, wird Ancelotti schon jemanden für die Begleitung finden.