Ruud van Nistelrooy konnte das mit dem Toreschießen ja ganz gut. Als er vor etwas mehr als zehn Jahren noch bei Real Madrid spielte, nahm er sich häufiger den jungen und damals noch weniger treffsichereren Gonzalo Higuain zur Seite, um ihn aufzumuntern, wenn es mal wieder nicht lief. "Das mit dem Toreschießen ist wie mit dem Ketchup", meinte der Niederländer den Erzählungen Higuains zufolge. "Manchmal kommen die Tore einfach nicht, so sehr du es auch versucht, aber irgendwann fallen sie alle auf einmal."
Würde "Van the Man" noch heute das weiße Trikot tragen, hätte er wohl ähnliche Worte für Luka Jovic parat. Erst am vergangenen Sonntag, als Real beim FC Valencia zu Gast war, hatte Jovic wieder dieses Ketchup-Problem. Es lief gerade die zweite Minute der Nachspielzeit, als die Zuschauer im Estadio Mestalla gebannt den Atem anhielten. Eine von Sergio Ramos per Kopf verlängerte Hereingabe auf den zweiten Pfosten landete bei dem völlig freistehenden Serben, für den es ein Leichtes war, den Ball aus kürzester Distanz über den herausgeeilten Valencia-Keeper Jaume Domenech hinweg in die Maschen zu heben.
Just in dem Augenblick, als der vermeintliche Torschütze zum so wichtigen 1:1-Ausgleich zum Jubeln abdrehte, ertönte die Pfeife von Schiedsrichter Jose Maria Sanchez Martinez. Abseits. Kein Tor. Glückseligkeit auf den Rängen. Groll bei Jovic.
Zidane: Jovic ist "nicht verloren"
Der Unglücksrabe und seine Mitspieler sollten sich keine drei Minuten später zwar doch noch über ein Tor und einen Punkt freuen, im Mittelpunkt stand aber wieder nicht er, wieder nicht Jovic. Ausgerechnet der andere Mittelstürmer im Kader der Königlichen, Karim Benzema, bugsierte den Ball nach einer chaotisch verteidigten Ecke irgendwie über die Linie und erntete tags darauf neben dem stark aufgelegten Torhüter Thibaut Courtois die Lobeshymnen der spanischen Presse.
Dass der erneut erst spät, in der 80. Minute, eingewechselte Jovic auch ins mediale Abseits geriet, dürfte ihn herzlich wenig interessiert haben, noch spricht der Neuzugang ohnehin kein Spanisch. Ein persönliches Erfolgserlebnis hätte ihm aber sehr wohl sehr gut getan. Gerade, nachdem er wenige Tage zuvor im Champions-League-Gruppenspiel gegen den FC Brügge kaum Werbung in eigener Sache betreiben konnte. Beim 3:1 in Belgien wirkte Jovic, der in dieser Saison erst ein Tor für Real erzielte, blass, ja "fast schon verloren", wie es die Sportzeitung Marca hinterher formulierte.
"Er ist nicht verloren, aber ein Spieler muss nun einmal sehr viel spielen, um auf ein hohes Niveau zu gelangen", ordnete Zinedine Zidane Jovics ersten Einsatz seit fast einem Monat ein und gab dem 21-Jährigen den Rat mit auf den Weg, weiter im Training dranzubleiben, um sich mehr Einsätze zu verdienen.
Reals Sturmspitze: An Benzema ist kein Vorbeikommen
Gleichwohl machte Reals Trainer keinen Hehl daraus, wie schwierig es sei, Jovic in den kommenden Wochen viel Spielzeit von Anfang an einzugestehen. Das wusste der ehemalige Frankfurter aber schon, eher er im Sommer einen Sechsjahresvertrag in Madrid unterzeichnete.
60 Millionen Euro Ablösesumme hin oder her: Real sah in Jovic eine Investition in die Zukunft, vorerst einen Perspektivspieler hinter Benzema. Der Franzose, der sich seit seinem Wechsel im Jahr 2009 ins Estadio Santiago Bernabeu schon gegen so einige Weltklasse-Konkurrenten behauptete, ist in Abwesenheit von Cristiano Ronaldo zum Fixpunkt der Madrider Offensive gereift und bekleidet mit seinen 31 Jahren obendrein auch eine wichtige Führungsrolle.
Zidane wagt sich nicht, auf seinen Landsmann zu verzichten, was dieser ihm eindrucksvoll zurückzahlt: Zwölf Tore stehen allein in der spanischen Liga auf Benzemas Konto, nur Weltfußballer Lionel Messi (ebenfalls zwölf Tore) kann mit ihm mithalten. Benzema hat im Gegensatz zu Jovic aber nicht nur genügend Ketchup, er hat ähnlich wie Messi für Barca einen immens hohen spielerischen Wert für Real: Abgesehen von Robert Lewandowski versteht es aktuell wohl kein Neuner, den Ball unter Gegnerdruck so gut festzumachen und im letzten Drittel so klug zu verteilen wie Benzema.
Zidanes System ist fast schon auf den oft unterschätzten Angreifer zugeschnitten, was es Jovic umso schwerer macht, Fuß zu fassen. Er ist zudem ein völlig anderer Stürmertyp als Benzema, eher typischer Vollstrecker als kombinationsfreudiger Wandspieler.
Seit 2009 bei Real: Diese Stürmer verdrängte Benzema
Spieler | Saisons | Tore |
Gonzalo Higuain | 4 | 86 |
Emmanuel Adebayor | 1 | 8 |
Javier "Chicharito" Hernandez | 1 | 9 |
Alvaro Morata | 3 | 30 |
Borja Mayoral | 1 | 7 |
Mariano Diaz | 3 | 9 |
Jovics größtes Problem ist Reals System
Im Grunde genommen bräuchte Jovic seinen vermeintlichen Konkurrenten Benzema an seiner Seite, so wie er in Frankfurt etwa Sebastien Haller an seiner Seite hatte. Einen Partner, der ihn besser macht und häufiger in Abschlusssituationen bringt. Benzema kann das, Zidane aber hält in der Regel an dem seit Jahren bewährten, weil ausbalancierten 4-3-3 mit nur einem echten Stürmer und zwei klassischen Außenstürmern fest. Das 3-5-2, in dem sich Jovic bei der Eintracht pudelwohl fühlte, wurde nur wenige Male in der Saisonvorbereitung getestet, nach einer dürftigen Vorstellung bei der AS Rom (2:2) verwarf Zidane jedoch dieses Experiment.
Tatsächlich standen Jovic und Benzema nur einmal zusammen von Beginn auf dem Platz: Beim 2:2 gegen den FC Villarreal Anfang September, als Real in einer Art 4-4-2 antrat. "Es macht Spaß, mit Benzema zu spielen. Wir haben gegen Villarreal festgestellt, dass das gut funktioniert", erklärte Jovic, der in jener Partie sogar ein Tor per Hacke vorbereitete.
Das Problem: "Wir haben nicht das gewünschte Ergebnis erzielt." Das genügte dem zu jenem Zeitpunkt gewaltig unter Druck stehenden Zidane, die Gedanken an ein Sturmduo Benzema-Jovic vorerst zu begraben. Zumal sich in der Real-Offensive neben fertigen Topspielern wie Eden Hazard oder Gareth Bale ja noch weitere verheißungsvolle Talente tummeln, die nicht weniger mit den Hufen scharren.
Jovic: "Das Schönste und Schwierigste zugleich"
Die beiden Brasilianer Vinicus Junior (19) und Rodrygo (18) kosteten zusammen an die 100 Millionen Euro, auch von ihnen versprechen sich Klubverantwortliche und Fans gleichermaßen in den kommenden Jahren Großes. Was es für sie einfacher macht, sich ins Team zu integrieren: Bei Real spricht ein großer Teil der Mannschaft Portugiesisch, zumal Spanisch für Brasilianer leichter zu erlernen ist als für andere Ausländer.
Jovic, der nur gebrochen Englisch spricht, kann bis auf den Kroaten Luka Modric mit keinem Mitspieler einwandfrei kommunizieren. Kein Wunder, dass er schon kurz nach seinem Wechsel sagte: "Hier zu spielen, ist das Schönste und das Schwierigste zugleich."
Die bisher nur 405 Spielminuten stellen für ihn aber keinen Grund dar, über einen vorzeitigen Wechsel im Winter nachzudenken. Ein möglicher Tausch mit Arsenal-Stürmer Pierre-Emerick Aubameyang, von dem zuletzt englische Medien berichteten, ist nach Informationen von SPOX und Goal ohnehin kein Thema für Real. "Zidane hat gesagt, dass er mir vertraut und glücklich ist, dass ich hier bin", bekräftigte Jovic selbst vor kurzem gegenüber der Zeitung Gloria. "Mit der Zeit werde ich mehr Minuten auf dem Feld kriegen." Und dann ja vielleicht auch zumindest mehr Ketchup.
Luka Jovic im Steckbrief
geboren | 23. Dezember 1997 in Bijeljina, Bosnien-Herzegowina |
Größe | 1,82 m |
Gewicht | 85 kg |
Position | Mittelsturm |
Fuß | beidfüßig |
Stationen | FK Loznica Jugend, Roter Stern Belgrad Jugend, Roter Stern Belgrad, Benfica, Eintracht Frankfut, Real Madrid |
Profispiele/-tore/-vorlagen | 157/54/15 |