In der spanischen Medienlandschaft ergötzen sie sich ja gerne an öffentlichen Umfragen, vor allem dann, wenn es bei einem großen Klub überhaupt nicht läuft. Dann wird schnell nach einem Schuldigen gesucht, nach jemandem, auf den man schonungslos mit dem Finger zeigen kann.
Bei Real Madrid, dem doch recht unsanft gestürzten Champions-League-Sieger, war das zuletzt allen voran Florentino Perez. Der Hauptvorwurf an den mächtigen Präsidenten der Königlichen: Er sei nicht mehr er selbst, er sei nicht mehr Florentino Perez.
Es gab bekanntermaßen Zeiten, da schickte sich der mächtige Bauunternehmer an, dem anspruchsvollen Opernpublikum im Estadio Santiago Bernabeu Sommer für Sommer mindestens einen neuen Ausnahmekönner mit galaktischer Note und dem Hang zur Trikotverkaufmaschine zu präsentieren. 2009 zum Beispiel, als Perez in einer Transferperiode mit Cristiano Ronaldo, Kaka, Karim Benzema und Xabi Alonso gleich vier Topspieler für 250 Millionen Euro kaufte.
In der jüngeren Vergangenheit machte sich der gebürtige Madrilene jedoch eher einen Namen als bescheidener und besonnener, vielleicht auch zu sehr in die Jahre gekommener Geschäftsmann, der sich viel lieber seinen Bauprojekten wie der 500 Millionen Euro schweren Modernisierung des Stadions widme, anstatt sich auf das Wesentliche zu fokussieren, nämlich auf das, was auf dem Rasen geschehe.
Reals Neuzugang Eden Hazard: Besessen vom weißen Trikot
Die unwürdige, von jahrelangen persönlichen Reibereien geprägte Trennung von Rekordtorjäger Ronaldo, das blinde Vertrauen in einen Kader voller satter Stars sowie die verkorkste Saison ohne Titel und mit zwei Trainerwechseln rückten den mittlerweile 72-Jährigen zusätzlich in einen schlechtes Licht. Er wurde von keinem geringen Teil der Real-Fans angefeindet. Bis zum vergangenen Freitag.
Da gönnte sich Perez nämlich erstmals seit der WM 2014, als er James Rodriguez für knapp 75 Millionen Euro von der AS Monaco in die spanische Hauptstadt geholt hatte, einen fertigen Superstar. Und was für einen.
Eden Hazard, den aktuell vielleicht besten und dribbelstärksten Außenbahnspieler der Welt, der sich bei all seiner technischen Schlitzohrigkeit nicht wie die Trommel einer brasilianischen Waschmaschine über den Rasen dreht, wenn er zu Fall gebracht wird. Einen, der in Zeiten von Selbstdarstellern ganz frei von Starallüren daher kommt, distanziert von Instagram, Fortnite und eigenen Unterwäschekollektionen. Einen, der einfach nur davon besessen davon ist, sich das weiße Trikot überzustreifen und es unter der Regie seines Kindheitsidols Zinedine Zidane wieder mit Glanz und Glorie zu füllen.
Hazard, das zeigt die helle Begeisterung unter den Fans, ist genau der richtige Mann, um das mit dem überraschenden Comeback des französischen Erfolgstrainers im März vorsichtig entfachte Feuer der Euphorie endgültig zum Lodern zu bringen. Die perspektivischen Transfers von Abwehrtalent Eder Militao (21/für 50 Millionen Euro vom FC Porto) und Sturmjuwel Luka Jovic (21/für 60 Millionen Euro von Eintracht Frankfurt) mochten Perez zwar schon vor Hazards Ankunft ein paar Sympathiepunkte eingebracht haben, der Glaube an Titel gedeiht aber erst jetzt. Und er gedeiht in den kommenden Wochen womöglich noch weiter.
Ferland Mendy und Paul Pogba bei Real im Gespräch
Die 100 Millionen Euro für den 28 Jahre alten Belgier waren gewiss nicht das letzte königliche Investment in diesem Sommer. Mit Ferland Mendy ist sich der spanische Rekordmeister laut übereinstimmenden Medienberichten bereits einig, der französische Linksverteidiger soll für 50 Millionen Euro von Olympique Lyon kommen.
Außerdem will man sich im Mittelfeld verstärken. Vor allem Paul Pogba, noch ein von Zidane angepriesener Franzose, wird gehandelt, allerdings muss der Klub zunächst Spieler verkaufen, um Platz für den teuren Mann von Manchester United zu schaffen und die Normen des Financial Fair Plays zu erfüllen. Der vom FC Bayern zurückgeschickte James und die aussortierten Keylor Navas und Gareth Bale könnten zusammen einen dreistelligen Millionenbetrag einbringen, darüber hinaus ist unklar, wie es mit Akteuren wie Marcelo, Isco, Marcos Llorente, Dani Ceballos, Lucas Vazquez, Mariano oder den Leihkickern Mateo Kovacic, Martin Ödegaard und Raul de Tomas weitergeht.
Die "Operacion Salida", so bezeichnen die Spanier die Aussortierung des Kaders, geht bislang nur schleppend voran. Der Sommer ist aber noch lang. So lang, dass Teile der spanischen Presse spekulieren, Perez könnte ja noch auf die Idee kommen, bei einem ganz heißen Eisen in die Vollen zu gehen.
Die Rede ist von einem weiteren Franzosen, von Kylian Mbappe, dem 20 Jahre jungen Weltmeister, der bei Paris Saint-Germain aufgrund von persönlichen Differenzen mit Trainer Thomas Tuchel unglücklich sein und mit einem Wechsel liebäugeln soll. Mbappes Worte vor drei Wochen, er würde sich nötigenfalls auch gerne außerhalb von Paris weiterentwickeln, versetzten Perez jedenfalls in Alarmbereitschaft.
Kylian Mbappe zu Real? Unwahrscheinlich - in diesem Jahr
Dass Mbappe in diesem Sommer ein Königlicher wird, ist aber allein aus finanziellen Gründen unwahrscheinlich. Perez betonte jüngst in einem Interview mit dem Radiosender Onda Cero, dass sich der Verein eine Transferoffensive wie 2009 nicht mehr leisten könne, weil das Gehaltsniveau im Vergleich zu damals weitaus höher sei. Nach Angaben der AS gibt der Verein rund 280 Millionen Euro pro Jahr für Personalkosten aus.
Eine Summe, die sich auch nur dank lukrativer Sponsorendeals wie dem mit Trikotausrüster Adidas stemmen lässt. Der deutsche Sportartikelhersteller bezahlt Real fortan angeblich 120 statt 40 Millionen Euro pro Jahr. Perez, so heißt es, sucht auch noch immer intensiv nach einem freigebigen Namenssponsor für das Bernabeu-Stadion.
"Wir haben es schwerer als andere Klubs in Europa", sagte Perez bei Onda Cero. "Wir haben keinen Investor wie Manchester City oder Paris Saint-Germain und müssen uns deshalb vermehrt auf Spieler fokussieren, die noch nicht so bekannt sind."
Spieler wie Militao, Jovic oder die bereits schon vor einem Jahr verpflichteten brasilianischen Wunderkinder Vinicius Junior und Rodrygo, denen zugetraut wird, eine ähnliche Entwicklung zu nehmen wie Mbappe. Hazard und möglicherweise noch Pogba dürften wohl nur Ausnahmen bilden. Doch selbst eine kurzweilige galaktische Renaissance sorgt schon dafür, dass sie Perez in Madrid wieder lieb haben. Zumindest machen sie seit Freitag keine Umfragen mehr, um irgendeinen Sündenbock zu suchen.
Real Madrid: Die teuersten Käufe der Klubgeschichte
Name | Abgebender Verein | Jahr | Ablöse |
Gareth Bale | Tottenham Hotspur | 2013 | 101 Millionen Euro |
Eden Hazard | FC Chelsea | 2019 | 100 Millionen Euro* |
Cristiano Ronaldo | Manchester United | 2009 | 94 Millionen Euro |
Zinedine Zidane | Juventus Turin | 2001 | 77,5 Millionen Euro |
James Rodriguez | AS Monaco | 2014 | 75 Millionen Euro |
*Berichten zufolge kann die Summe aufgrund diverser Bonuszahlungen auf bis zu 140 Millionen Euro ansteigen.