James Rodriguez wusste genau, was die Stunde geschlagen hatte. Im letzten Heimspiel der zurückliegenden Saison lief die 61. Minute, als auf der Wechseltafel des vierten Offiziellen eine rote Zehn aufleuchtet. Der Kolumbianer stand in der Mitte des Feldes, nahm die Arme hoch und applaudierte - sekundenlang. Sein Blick wirkte traurig, seine geknickte Körperhaltung und sein langsamer Gang unterstreichen das Bild. Zwei Mal hielt er auf dem Weg zur Seitenlinie bewusst an und drehte sich gemächlich um 360 Grad. Es schien, als wolle er noch einmal die Atmosphäre im Estadio Santiago Bernabeu einsaugen und ganz leise Abschied nehmen.
Es war aller Voraussicht nach das letzte Heimspiel für James Rodriguez im Trikot von Real Madrid. Der 25-Jährige steckt nach drei Jahren bei den Königlichen in der Sackgasse fest und wird den Verein im Sommer wohl verlassen. Zahlreiche Topklubs aus Europa wedeln mit den Geldscheinen und bieten vor allem einem eines: Spielpraxis.
Für 75 Millionen zu Real Madrid
Mit Pauken und Trompeten wechselte James nach der Weltmeisterschaft 2014 zu Real Madrid. Real-Präsident Florentino Perez soll noch während des Turniers feuchte Hände bekommen haben, als er den jungen Kolumbianer in Brasilien sah. Für den 70-jährigen Real-Boss ergab alles schnell Sinn. Der aufmüpfige Angel Di Maria wird verscherbelt und für das gleiche Geld lockt Real das neue Sternchen im Fußball-Universum in die spanische Hauptstadt.
Perez griff schnell zum Hörer und forderte den Generaldirektor Jose Angel Sanchez auf, er möge den Deal mit Berater Jorge Mendes eintüten. Stattliche 75 Millionen Euro überwiesen die Königlichen für Rodriguez nach Monaco. "Ich bei Real? Für mich ist ein Traum wahr geworden", frohlockte Rodriguez bei seinem Antritt im Bernabeu.
Auch die spanische Presse hob den damals 23-Jährigen bereits prompt in den Fußball-Olymp. "Mit James komplettiert Madrid ein Team mit der Lizenz zum Träumen", titelte beispielsweise die Marca. Träume soweit das Auge reichte. Die Frage, wo der Kolumbianer überhaupt spielen sollte, wurde in der Euphorie vor allem von Vereinsseite achselzuckend gekonnt ignoriert. Dabei gab es die Position des klassischen Zehners im System des damaligen Real-Coaches Carlo Ancelotti eigentlich nicht.
Starke erste Saison von Rodriguez
Doch der italienische Maestro bog seine Startelf zurecht. Meist wurde Rodriguez etwas defensiver an der Seite von Toni Kroos und Luka Modric im zentralen Mittelfeld eingesetzt. Nach vorne wurde er mit ausreichend Freiheiten ausgestattet, sodass er in seiner Premierensaison in der Liga bei 29 Spielen satte 13 Tore erzielte und weitere 13 vorbereitete. Es wird, davon kann man ausgehen, der Höhepunkt von Rodriguez bei Real bleiben.
Während James das Benitez-Intermezzo aufgrund einer Muskelverletzung nahezu komplett verpasste, sollte unter Zinedine Zidane schließlich alles besser werden. Er, das Genie a.D., wird den kolumbianischen Dribbelkünstler schon verstehen und einen entsprechenden Platz im System schaffen, so die einhellige Meinung. Doch ausgerechnet unter dem Franzosen, den James bei der Ernennung zum Chefcoach als "sein Vorbild" bezeichnet hatte, nahm der Einfluss des 25-Jährigen merklich ab.
Transfers und Gerüchte: Wen holt Real Madrid?
Zidane legte sich schnell auf ein 4-3-3 fest und etablierte um Kroos, Modric und Casemiro ein massives Dreiermittelfeld. Zwar kam James weiterhin zu seinen Einsätzen, er spielte jedoch eher den Lückenfüller für den ersten Anzug. Partien gegen Deportivo La Coruna oder den FC Granada standen auf der Tagesordnung.
Rodriguez mit beachtlicher Quote
Ob oder gerade deshalb: Die Werte des 25-Jährigen sind für einen Spieler in der Sackgasse mehr als beachtlich. In seinen 22 Ligaspielen (acht Tore, sechs Assists) war er alle 84 Minuten direkt an einem Tor beteiligt. Im aktuellen Kader kommen nur Cristiano Ronaldo (82 Minuten) und Alvaro Morata (70 Minuten) auf eine noch bessere Quote. Zudem lieferte er statistisch gesehen alle 180 Minuten eine Torvorlage - Bestwert bei Real Madrid.
In den wirklich kribbeligen Spielen war James jedoch meist außen vor. So kam er in der Champions League in den entscheidenden Spielen eigentlich gar nicht mehr zum Einsatz und stand ab dem Viertelfinal-Hinspiel in der K.o.-Phase nur noch sieben Minuten auf dem grünen Rasen. Im Finale gegen Juventus schaffte er nicht einmal den Sprung in den Kader.
Trotz allem sind sie sich im königlichen Lager durch die Bank einig, dass sie ein riesiges Juwel in den eigenen Reihen haben. Doch Coach Zidane hat den Verantwortlichen mit seiner strikten Umstellung und dem Selbstverständnis von zwei CL-Titeln verdeutlicht, dass er das Potenzial von James derzeit schlichtweg nicht vollständig ausschöpfen kann.
Offen kommuniziert wird das zwar nicht, dem Kolumbianer werden bei einem entsprechenden Angebot aber wohl keine Steine in den Weg gelegt. "Ich weiß nicht, was mit James passieren wird. Er ist außergewöhnlich. Aber es gibt immer jemanden, der Opfer bringen muss", gab sich Real-Präsident Perez zuletzt nebulös.
James gibt sich kämpferisch
Dass es für James in Madrid inzwischen auch außerhalb des Platzes holpert, passt ins Bild. Zum einen ist er ins Visier der Steuerfahnder gerutscht. Zum anderen hat sich seine Beziehung zur spanischen Presse in der letzten Zeit nochmals verschlechtert. Während sie ihn zu Beginn noch als Messias empfingen, bekommt James jetzt oft die volle Breitseite ab. Nicht selten wird ihm mangelnder Einsatz und eine gewisse Affinität zu den Nachtklubs der Stadt nachgesagt. Die spanischen Journalisten meidet James deshalb bewusst.
"Ich hatte keine schlechte Zeit. Nur weil ich nicht mit den Medien spreche, heißt das nicht, dass ich zu allen eine schlechte Beziehung habe. Ich will dem Team immer helfen, nicht nur mit Toren und Assists", erklärte er selbstbewusst.
Doch bereits im letzten Sommer kochten die Gerüchte um seine Person hoch. Damals wie heute schwirren mit Manchester United, dem FC Chelsea und den AC Milan zahlreiche Vereine umher, die als potenzieller Abnehmer mehr oder weniger intensiv den Finger heben.
Damals, vor rund einem Jahr, gab sich James noch kämpferisch: "Meine Familie und ich fühlen uns sehr wohl in Madrid und im Team. Ich werde dafür kämpfen, hier für immer zu spielen. Real Madrid ist mein Traum. Ich hoffe er geht noch lange weiter." Da ist er wieder, der Traum von Real Madrid. Am 37. Spieltag, bei der Auswechslung, wurde ihm allerdings bewusst, dass dieser Traum nun ausgeträumt ist.