Wenn man sich neben einer Bleibe in Turin, Madrid, Manchester, Paris oder London auch eine in Mailand leisten kann, dann deutet einiges auf finanzielle Prosperität hin. Oder zumindest die Aussicht auf finanzielle Prosperität.
Als Gianluigi Donnarumma also am 12. Juni 2017 davon berichtete, dass er gerade Ausschau nach einem neuen Eigenheim in Mailand halte (es solle "schön" sein und "im Zentrum" liegen), dann war das - wie man mittlerweile weiß - kein Verweis darauf, dass er seinen Hauptwohnsitz längerfristig in Mailand plane. Nein, ganz im Gegenteil: Er werde bald so viel Geld haben, dass er sich problemlos mehrere Immobilien leisten könne.
Die fünf Millionen, die ihm Milan angeblich für eine Verlängerung seines 2018 auslaufenden Vertrags bot, reichten Donnarumma und seinem Berater Mino Raiola nicht. Auch wenn die Versionen der beteiligten Parteien auseinandergehen: Drei Tage nachdem der Tormann seine Immobilienpläne enthüllt hatte, sagte er Milan ab. Wo auch immer der Tormann hinwechseln wird - er wird dort mehr verdienen als bei Milan und genug, um sich zwei Immobilien zu leisten.
中欧体育投资管理长兴有限公司 ersetzt Cavaliere
Donnarumma ist historisch gesehen nicht der erste Milan-Profi, der dieser Logik folgt. Er wäre laut Milans Trainer-Legende Arrigo Sacchi aber auch nicht der erste, der sich später wünschen würde, er hätte es nicht getan: "Diejenigen, die sich wie beispielsweise Kaka und Andrij Shevchenko für das Geld entschieden haben, als sie Milan verließen, haben es im Nachhinein bereut." Sie alle gingen aber nicht als Teenager, sondern erst nach den großen Triumphen.
Kaka, Shevchenko, Sacchi. Das sind Namen, die an ein anderes, längst vergessenes, erfolgreiches Milan erinnern. Ein Milan, das sich nicht gerade so für die Europa League qualifiziert, sondern eines, das stolz Europa dominiert. Sacchi gewann mit dem AC 1989 und 1990 den Henkelpott, Shevchenko 2003 und Kaka 2007.
Verpflichtet wurden sie einst alle von Präsident Silvio Berlusconi, der den Verein in diesem April nach ungefähr 30 Jahren und ungefähr 30 Titeln verkauft hat. Nun hat nicht mehr der Cavaliere das Sagen, sondern 中欧体育投资管理长兴有限公司, die Sino-Europe Sports Investment Management Changxing Co Ltd. Zumindest über den Umweg der Rossoneri Sport Investment Lux mit Sitz in Luxemburg. Kurz: Es ist ein reichlich dubioses Konstrukt, das Milan fortan steuert.
Vertreten wird der Fonds jedenfalls von einem 47-jährigen Chinesen, der zwar eigentlich Li Yonghong heißt, in italienischen Medien aber nur unter Mr. Li firmiert. Geklärt ist nicht, ob er sich denn überhaupt für Fußball interessiert oder auch woher die 740 Millionen Euro (davon 220 Millionen für die Übernahme der Vereins-Schulden) eigentlich genau kommen, die das Konsortium in 99,93 Prozent der Anteile am AC Milan investierte . Geklärt ist aber, dass sich Mr. Li jetzt Presidente nennen darf. Bei seiner ersten Pressekonferenz verkündete er gleich mal den Beginn einer neuen Ära: "Wir eröffnen ein neues Kapitel der legendären Geschichte des AC Milan."
Die Wende von 2011
Gebaut wird dieses neue Kapitel aber auf einem Fundament, das durch den bevorstehenden Abschied des fest eingeplanten Sympathie- und Leistungsträgers Donnarumma schlagartig an Stabilität verloren hat. Denn während Donnarumma selbst nach einem Gebäude sucht, bringt er mit seiner Verlängerungs-Verweigerung die Statik seines baldigen Ex-Klubs ins Wanken. "Wir hatten gehofft, dass er eine Säule ist, auf der wir unser Milan aufbauen können", sagte der neue Geschäftsführer Marco Fassone, "nun müssen wir die komplette Situation neu bewerten."
Fassone selbst, der Mann, der von "unserem Milan" spricht, hat in den vergangenen Jahren übrigens für Juventus Turin, den SSC Neapel und Inter Mailand Kader gebaut, ehe ihn Mr. Li zu Milan holte. Er ist der Nachfolger des ewigen Architekten Adriano Galliani, der Milan knapp drei Jahrzehnte lang plante. Seite an Seite mit Berlusconi hat er erst Titel gefeiert und seit sechs Jahren den schleichenden Abstieg bedauert. Berlusconi dankte im Herbst 2011 als italienischer Premierminister ab, Milan feierte kurz zuvor seinen bis hierhin letzten Meistertitel.
Zuletzt versuchte Berlusconi immer händeringender, den Klub zu verkaufen. Erst scheiterten Verhandlungen mit dem thailändischen Investor Bee Taechaubol und dann kamen eben die Chinesen ins Spiel. Als sich der Deal konkretisierte, schrieb Berlusconi auf Facebook: "Vor 30 Jahren kaufte ich den AC Milan aus Liebe, nun verkaufe ich ihn in einem Akt noch größerer Liebe."
Berlusconi liebt seinen Verein, aber er kann oder will sich Investitionen, die für dessen Wohlergehen nötig sind, nicht mehr leisten. Mr. Li und Co müssen sie sich dagegen leisten. Das Konsortium verpflichtete sich vertraglich dazu, in den kommenden drei Jahren 350 Millionen Euro in den Klub zu investieren.
Start-Up statt Flohmarkt
Davon sind etwa 82 Millionen schon verbraucht, Milan hat in diesem Sommer bisher nach dem FC Bayern München und Manchester City am drittmeisten Geld aller europäischen Vereine in neue Spieler investiert. Und das durchaus vielversprechend: Mit Stürmer Andre Silva (21 Jahre, 38 Millionen Euro vom FC Porto), Innenverteidiger Mateo Musacchio (26, 18 Millionen vom FC Villarreal) und Linksverteidiger Ricardo Rodriguez (24, 18 Millionen vom VfL Wolfsburg) kamen gestandene Spieler, die sich aber noch in entwicklungsfähigen Stadien ihrer Karrieren befinden.
Sie kommen in einen Verein, der sich selbst in einem entwicklungsfähigen Stadium befindet. "Ich denke, dass Milan zu dem zurückkehren kann, was es einmal war", erklärte Rodriguez' Berater nach dessen Wechsel. Und Milan war schließlich mal einer der besten Klubs der Welt. Damals, mit Sacchi, Kaka oder Shevchenko. Auf dem Weg zurück dorthin schloss sich auch Franck Kessie an, der von Atalanta Bergamo nach Mailand wechselte. Der europaweit umworbene und erst 20-jährige Mittelfeldspieler spielt bis 2019 für acht Millionen Euro Leihgebühr bei Milan und wird dann für 20 Millionen fest verpflichtet.
Es ist ein Transfer, der exemplarisch für die aktuelle Entwicklung bei Milan steht. Unter Trainer Vincenzo Montella, der im vergangenen Sommer übernahm und jüngst seinen Vertrag bis 2019 verlängert hat, ist Milan nicht mehr das, was es in den vergangenen Jahren war. "Milan ist ein junges Projekt mit jungen Spielern und einem jungen Trainer", sagte Vereinslegende Alessandro Nesta neulich. Milan steht nicht mehr für abgehalfterte Stars, sondern für entwicklungsfähige Perspektivspieler.
Statt sich auf dem verstaubten Reminiszenzen-Flohmarkt des Fußball-Transfermarkts umzuschauen, bedient sich Milan mittlerweile in der zukunftsträchtigen Start-Up-Szene. Oder in der eigenen Jugendabteilung. Es ist eine Entwicklung, deren Gesichter Innenverteidiger Alessio Romagnoli (22), Rechtsaußen Suso (23) und Mittelfeldspieler Manuel Locatelli (19) sind - und bisher eben auch Donnarumma. Unterstützt werden sie von langjährigen Leistungsträgern wie Ignazio Abate, Mattia de Sciglio oder Riccardo Montolivo.
Rohes Gerüst will Verzierung
Das ist das rohe Gerüst, das Montella mit bereits fix verpflichteten neuen Elementen zu verzieren begann - aber auch noch weiter verzieren wird müssen. Beflügelt von den neuen finanziellen Möglichkeiten steht wohl eine ereignisreiche Transferphase bevor. Ganz gut im schwarz-rot-gestreiften Trikot könne sich Montella etwa das Sturm-Duo Alvaro Morata (aktuell Real Madrid) und Andrea Belotti (FC Turin) vorstellen. "Sie sind komplementär und könnten gut zusammenspielen", erklärt der Trainer.
Um bald Champions League und so in Städten spielen zu dürfen, deren Vereins-Manager und Immobilien-Makler sich nun um Donnarumma balgen, müssten laut Montella "Mentalität und Physis" im Kader verbessert werden. Und Mr. Li weiß: "Wir haben eine große Verantwortung gegenüber den Fans. Wir wollen ihre Erwartungen übertreffen." Damit sprach er übrigens auch Berlusconi an, der mit dem Verkauf des Klubs den Titel auf seiner offiziellen Visitenkarte von Presidente in Tifoso änderte: "Ich werde immer Milans größter Fan sein."
Als Fan wird sich der Cavaliere nun aber an einige Neuheiten gewöhnen müssen. Zum Beispiel an das Geräusch seines Wecker-Klingeltons (oder der Milan-Hymne, sollte sie denn als solcher eingestellt sein): Die Spiele seines Vereins werden nämlich künftig wohl vornehmlich zur chinesischen Prime-Time angepfiffen. Das erste Derby della Madonnina gegen Inter nach der Übernahme starte pünktlich um 12.30 Uhr italienischer Zeit.