15. Februar 2015 im Stadion Atleti Azzurri d'Italia. Inter Mailand hat gerade gegen Angstgegner Atalanta Bergamo mit 4:1 gewonnen. Einer kann sich besonders freuen: Fredy Guarin hat seine Krise der letzten Monate abgelegt und in diesem Spiel bewiesen, wieso ihn Andrea Stramaccioni, damals Trainer bei den Nerazzurri, im Winter 2012 in die norditalienische Metropole geholt hat.
Guarins Leistungen waren ein ständiges Auf und Ab: Nach anfänglich guten Auftritten hatte der Kolumbianer lange einen schweren Stand bei den Inter-Fans. Zu hölzern seine Bewegungen, zu langsam am Ball, zu überhastet seine Torabschlüsse. Nun steht er da als Held: Einen Elfmeter herausgeholt, zwei Tore selbst geschossen, eines aufgelegt.
Nach so einem Sieg möchte man meinen, die ganze Mannschaft hätte eine Bombenleistung abgeliefert. Aber einer steht noch auf dem Platz, den Blick gen Boden gerichtet und grübelt. Lukas Podolski war wie schon in den Spielen zuvor, wo er zum Einsatz kam, kaum anwesend. Atalanta war ab der 52. Minute zu zehnt auf dem Platz - Inter war mit einem Mann weniger schon ins Spiel gestartet. Podolski war das ganze Spiel über ein Schatten seiner selbst. Ein Statist, der zwischen den Verteidigungs- und Mittelfeldreihen der Mannschaft aus Bergamo alibihalber hin und her trottete. Schüsse aufs Tor gab es keine, Torbeteiligungen: Fehlanzeige.
Ausmaße wie bei Mario Gomez
Der Ex-Gunner sollte nach seiner Ankunft im Januar als frisch gekrönter Weltmeister vorneweg gehen und den Aufschwung der "nuova Inter" mittragen, den Roberto Mancini prophezeite. Im Spiel gegen Napoli letzten Sonntag saß der vermeintliche Heilsbringer nur noch auf der Bank, die Medien in Italien änderten zuletzt den Ton gegenüber Podolski.
Es hagelt Kritik, die langsam aber sicher Mario-Gomez-Ausmaße annimmt: "Er macht alles Mögliche falsch und trödelt vor dem Tor", "Er schadet dem Spiel von Inter." Auch der Trainer hat ihn öffentlich schon angezählt: "Podolski muss mehr zeigen, das reicht sicherlich nicht aus. Das weiß er selbst am besten."
Doch das es so weit kommen konnte, ist auch der taktischen Ausrichtung Mancinis geschuldet. Mit Ballbesitzfußball soll Inter in der Serie A wieder an die Erfolge alter Tage anknüpfen. Walter Mazzarri hatte schon versucht, diese Spielweise in Mailand einzuführen.
Mancinis Systemfehler
Doch verlagerte sich das Spiel zu sehr auf die Außen und viel mehr als eine Unzahl an blind geschlagenen Flanken gab es bei Inter nicht zu sehen. Das Spiel von Inter stagnierte zunehmend und schließlich kostete Mazzarri seine Sturheit und taktische Inflexibilität den Job.
Mancini stellte das System von einer Dreier-Abwehrreihe auf eine Viererkette um und setzt auf einen zentralen Sechser mit zwei Halbflügel-Spielern, um das Spiel wieder Richtung Zentrum zu verlagern. Vorne müssen es dann ein zentral-offensiver Mittelfeldspieler und eine Doppelspitze mit den Toren richten. So sollten die dicht gestaffelten Verteidigungslinien, die in Italien immer noch zum Inventar gehören, schnell überbrückt und Torabschlüsse am Fließband generiert werden.
An sich ein System, in dem man einen Lukas Podolski gut einsetzen kann. Eine gute Grundschnelligkeit, genaues Passspiel und sein Torriecher passen gut in das Portfolio, das bei der Beneamata erwartet wird und Mancini neben Mauro Icardi einen flexibleren und dynamischeren Stürmertypus liefert. Was der ehemalige ManCity-Trainer aber in seine Überlegungen nicht einbezog, sind die schon zuvor erwähnten dichten Abwehrreihen, die immer wieder an die Zeiten des Catenaccio erinnern und an denen sich die meisten Offensivbemühungen des Winterneuzugangs festfahren.
Zwischen italienischen Mauern und Mazzarris Erbe
Podolski braucht für seine Spielweise viel Platz. Er muss die Möglichkeit bekommen, mit dem Ball am Fuß Geschwindigkeit aufzubauen und die Gegner im Eins gegen Eins stehen zu lassen. Mit zahlreichen Pässen in die Tiefe kann seine Schnelligkeit umso mehr zur Geltung kommen und die eine oder andere Torchance ermöglichen.
In England unter Arsene Wenger, der eine ähnliche Spielweise wie die von Mancini bevorzugt, konnte er seine Fähigkeiten in den wenigen Auftritten in der Premier League und Champions League immer wieder aufblitzen lassen. Nur verstehen sich Kurzpassspiel gepaart mit einer dynamischen Spielweise nicht mit dem stark von Taktik geprägten Spiel in Italien.
Die gegnerischen Mannschaften stehen hinten meist dicht beieinander und verteidigen grundsätzlich mit zwei Reihen vor dem eigenen Strafraum. Podolski muss die Bälle auf engem Raum immer wieder mit dem Rücken zum Tor annehmen und sich mit meist mehreren Gegenspielern gleichzeitig auseinandersetzen.
Mehr als den Ball klatschen zu lassen oder ihn im Wirrwarr von Beinen zu verlieren, gelingt nicht. Den Rest besorgen dann seine Mannschaftskameraden, die folglich immer wieder am eigenen Unvermögen scheitern: Bis auf Xherdan Shaqiri oder Mateo Kovacic ist niemand in der Lage, das Spiel schnell zu machen, um so die dringend benötigten Räume für den Kölner zu schaffen.
Außerdem ist die Handschrift von Ex-Coach Mazzarri noch genau zu erkennen: Findet sich kein Weg durch die Mitte, wird das Spiel öfter als nötig auf die Außen verlagert und auf Flanken gesetzt. Dabei vertändelt man allzu gerne gute Offensivansätze und findet im Strafraum selten einen Abnehmer. Podolskis Stärken werden durch die zahlreichen Horizontalpässe und träge Spielweise der Mannschaft obsolet.
Keine Krisen im Mailander Frühling
Inter Mailand will in Italien wieder ganz nach oben und mittelfristig auch in Europa wieder mitmischen. Der Weg gestaltet sich bisher zwar grundsätzlich positiv und die Formkurve zeigt langsam wieder nach oben; nur gibt es - wie im Fußball so oft - auch Opfer, die gebracht werden müssen.
Roberto Mancini genießt in Italien und bei Inter ein hohes Ansehen und man gesteht ihm in Inters Umfeld auch wohlwollend die nötige Zeit zu, die Mannschaft neu aufzubauen und einen möglichen schwarz-blauen Frühling einzuleiten.
Podolski jedoch ist ein Fremdkörper in einem System, das noch Schwierigkeiten hat, in Italien seinen Platz zu finden und wofür Mancini die richtigen Spielertypen fehlen. Dass Poldi noch den Durchbruch schafft, ist unwahrscheinlich, auch weil die Voraussetzungen nicht gegeben sind. Im Gegensatz zu Fredy Guarin fehlt es ihm schlichtweg an Zeit, seine fußballerische Identitätskrise zu überwinden und sich bis zum Ende der Saison an den italienischen Fußball heranzutasten.
"Un pesce fuor d'acqua" - wie einen Fisch auf dem Trockenen hat ihn die Gazzetta dello Sport bezeichnet. Ein treffender Vergleich, der deutlich macht, dass es für Podolski schwierig wird, über diese Saison hinaus ein wertvoller Baustein in Mancinis Mosaik zu werden.
Lukas Podolski im Steckbrief