Kurze Ecke der Roma. Francesco Totti dribbelt in den Strafraum. Er chipt den Ball gefühlvoll an den langen Pfosten. Federico Balzaretti kommt völlig frei zum Schuss. Der aufgerückte Linksverteidiger hämmert das Leder unhaltbar in die Maschen. 1:0 für die Roma! Der Derby-Sieg in Reichweite.
Der Torschütze stürmt den Tränen nahe auf die Fankurve im Olympico di Roma zu. Er wird von den ekstatischen Roma-Anhängern frenetisch gefeiert. Die 63. Minute im "Derby della Capitale" ist sinnbildlich für die bisherige Saison des AS Rom.
Als Neuzugang Adem Ljajic in der 94. Minute mit einem verwandelten Foulelfmeter zum 2:0 alles klar macht, bricht die Euphorie erneut aus. Es ist der lang ersehnte Derbysieg gegen den Stadtrivalen. Seit März 2011 gelang es der Roma nicht mehr, Lazio zu bezwingen.
Der Triumph gegen den Erzrivalen passt in die momentane Stimmung rund um den Hauptstadtklub. Nach dem Trainerwechsel im Sommer weisen die Römer eine makellose Bilanz auf. Unter der Regie von Rudi Garcia gab es vier Siege in vier Spielen. Der französische Coach kam vom OSC Lille, mit dem er 2011 die Meisterschaft in der Ligue 1 holte.
Gepaart mit den Top-Transfers von Kevin Strootman (16,5 Mio. Euro aus Eindhoven), Mehdi Benatia (13,5 Mio. Euro aus Udinese), Adem Ljajic (11 Mio. Euro aus Florenz) und Gervinho (8 Mio. Euro vom FC Arsenal) reitet man in der aktuellen Saison auf einer Erfolgswelle.
Wildes Trainerkarussell nach Führungswechsel
Ein Gefühl, das man in der Hauptstadt Italiens schon lange nicht mehr kannte. Der letzte Scudetto geht auf das Jahr 2001 zurück. In den Folgejahren musste man sich abwechselnd der Dominanz von Juventus, Milan oder Inter beugen, sodass es "nur" für fünf Vize-Titel reichte.
Nach dem Umbruch auf der Führungsebene im April 2011 drohte der Klub völlig ins Mittelmaß der Liga abzudriften.
Mit der Übernahme durch ein US-amerikanisches Konsortium um den Investor Thomas di Benedetto ging die Ära der Sensi-Familie zu Ende, die dem Klub seit 1993 vorstand. Die Investoren traten mit dem ehrgeizigen Ziel an, die Roma mit spektakulärem Fußball zurück an die Spitze des italienischen Fußballs führen zu wollen.
Jedoch ging der Plan zunächst nicht auf. Trotz der immensen Ausgaben von ungefähr 130 Millionen Euro für teure Zugänge wie Erik Lamela (17 Mio. Euro), Pablo Osvaldo (16 Mio. Euro) oder Miralem Pjanic (11 Mio. Euro) erreichte man keinen Champions-League-Platz.
Die Folge waren mehrere Trainerwechsel: Zunächst übernahm Luis Enrique das Amt von Ex-Roma-Stürmer Vincenzo Montella. Nach einem enttäuschenden siebten Platz ersetzte dann Zdenek Zeman den Spanier. Doch auch unter der Leitung des tschechischen Trainers wurde es nicht besser. Interimscoach Aurelio Andreazzoli brachte die Roma schließlich noch auf Platz sechs.
Defensive Stabilität und offensive Flexibilität
Mit Rudi Garcia scheinen die Verantwortlichen nun endlich ein glückliches Händchen bewiesen zu haben. Der 49-Jährige unterschrieb einen Zweijahresvertrag und nahm einige Änderungen in der Mannschaft vor.
So wirkt die neu geformte Defensivachse deutlich stabiler als in den Vorjahren. Leandro und Benatia bilden die solide Innenverteidigung vor Keeper de Sanctis, der im Sommer vom SSC Neapel kam. Mit De Rossi als Abräumer im defensiven Mittelfeld trat der AS Rom bislang sehr kompakt auf und hat in der laufenden Saison erst ein Gegentor kassiert.
Auch im Mittelfeld veränderte Garcia einiges: das Dreiermittelfeld ist im Offensivspiel nun deutlich flexibler, wovon beispielsweise Miralem Pjanic sehr profitiert: "Wir haben keine fixe Positionierung der Mittelfeldspieler. Wir rotieren viel, das will der Trainer so und hilft uns allen. Diese Spielphilosophie gefällt uns sehr gut."
In der Offensive ist man von den taktischen Umstellungen ebenfalls überzeugt. "Ich hatte in der Vorsaison eine andere Rolle: Als wir in Ballbesitz kamen, mussten wir sofort vertikal die Tiefe suchen. Mit Garcia suchen wir mehr den Ballbesitz und schlagen zu, sobald sich der Gegner öffnet", beschreibt Außenstürmer Alessandro Florenzi die Vorgaben des Trainers.
Aus der Not eine Tugend
Wie viele andere Spieler profitiert auch er von der neuen Position der Roma-Legende Francesco Totti. Da dem Kapitän mit 36 Jahren mittlerweile die Dynamik vergangener Tage fehlt, stellt ihn Garcia neuerdings im Sturmzentrum auf.
Aus dieser Position heraus lässt sich Totti häufig ins Mittelfeld fallen, um seine Mitspieler mit intelligenten Pässen in Szene zu setzen.
Florenzi schwärmt: "Für jeden ist es einfach, neben Totti gut zu spielen." Und auch Pjanic gefällt die neue Rolle des Stars: "Dieses Jahr haben wir keine fixen Stürmer, egal wer spielt. Wir spielen in einer bestimmten Art, die mir gefällt. Vielleicht kommt Totti mehr zurück, um den Ball zu holen. Es ist einfach mit ihm zu spielen."
Der Nationalspieler aus Bosnien-Herzegowina sieht jedoch noch einen weiteren Grund für die Siegesserie der Römer: "Die Entschlossenheit, die wir seit Beginn der Meisterschaft haben, ist total anders." Diese Entschlossenheit findet sich auch in einer kuriosen Statistik wieder: Alle zehn Tore der Roma fielen in der zweiten Hälfte.
Legende verlängert um zwei Jahre
Das beweist, dass die Mannschaft auch bei engen Spielen immer an sich glaubt und auch Rückstände, wie im Spiel gegen Parma, drehen kann. Trainer Garcia sieht sich durch die vielen Tore in Hälfte zwei in seiner Saisonvorbereitung bestätigt: "Es ist der Beweis, dass es uns vom physischen Standpunkt her gut geht."
Passend zur ausgezeichneten Stimmung rund um die Roma, verkündete der Klub am vergangenen Freitag eine weitere frohe Botschaft: Francesco Totti hat seinen Vertrag bis 2016 verlängert, was bedeutet, dass Totti auch noch mit 40 Jahren für die Roma auflaufen wird.
"Es gibt keine Altersgrenze bis zu der man spielen kann. Mein Wunsch war immer mit nur einem Trikot zu spielen, dem Trikot des Vereins, von dem ich Fan bin und den ich liebe. Ich werde es bis zum Schluss ehren, solange ich kann. Nun habe ich zwei weitere Jahre und ich bin mir sicher, dass wir zusammen Großes erreichen werden."