Wahrscheinlich war es das Ergebnis eines mehrere Wochen andauernden Verhandlungsprozesses. Womöglich wurde das eigene Angebot kurz vor knapp noch einmal signifikant erhöht. Oder vielleicht musste die Wand mit dem Vereinslogo, vor dem das obligatorische Foto geschossen wurde, vorher noch schnell mit frischer roter Farbe bepinselt werden, und die war gerade aus.
Wie auch immer: Man kann den Verantwortlichen von Stade Rennes zu diesem Schachzug nur gratulieren. Genau drei Tage vor dem Liga-Heimspiel am 18. August verlängerten sie den Vertrag mit einem Eigengewächs um ein Jahr bis 2022. Vergleichsweise still und heimlich, schließlich handelte es sich nicht gerade um einen großen Namen.
Oder besser gesagt: noch nicht. Denn drei Tage später war dieser Spieler im Trikot mit der Rückennummer 18 und dem markanten Haarschopf plötzlich in aller Munde. Gegen Ligue-1-Goliath und Serienmeister PSG lieferte er im zentralen Mittelfeld eine Meisterleistung ab und stellte große Namen wie Marquinhos oder Marco Verratti mühelos in den Schatten. Abgeklärte Körpersprache, kluge Spielverlagerungen, enge Ballführung - sechsmal war er nur durch Foul zu stoppen -, oh, und natürlich die perfekte Vorlage zum 2:1-Siegtreffer.
Das Außergewöhnliche an dieser Performance? Eduardo Camavinga ist gerade mal 16 Jahre alt.
Eduardo Camavinga weckt das Interesse von Europas Topklubs
Man darf sich also in den knalligsten Farben ausmalen, wie in der Chefetage der Rennais die Hände gerieben wurden, als tags darauf ganz Europa über den schlaksigen Linksfuß sprach, der gegen Paris 40 von 41 Pässen zum Mitspieler brachte. Der den Ball nicht nur mit flinken Antritten und Körpertäuschungen verteidigte, sondern sich auch nicht dafür zu schade war, ihn per Grätsche zurückzuerobern. Und der die butterweiche Flanke schlug, die Teamkollege Romain Del Castillo nur noch einzunicken brauchte.
Plötzlich waren sie alle interessiert, die großen Klubs dieser Welt. Real Madrid, Barcelona, Manchester City, Arsenal, Tottenham, Bayern München und den BVB brachten die Equipes und Bilds dieser Welt ins Gespräch. Natürlich dürften einige dieser Klubs auch vorher schon auf Camavinga aufmerksam geworden sein, doch angesichts dieser Leistung gegen ein internationales Schwergewicht wurden die Bemühungen noch einmal intensiviert. Schließlich grüßte der nahende Deadline Day, und Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft.
In der bretonischen Hauptstadt winkten sie jedoch ab, als die Angebote auf den Tisch flatterten: Vertrag bis 2022, Mesdames et Messieurs. Melden Sie sich doch in einem oder zwei Jahren noch einmal, merci. Schließlich mag man sich in Rennes kaum ausmalen, welche Summe für Camavinga aufgerufen werden kann, sollte dessen Entwicklung ähnlich steil voranschreiten wie in den letzten zwölf Monaten.
Eduardo Camavinga: Leistungsdaten bei Stade Rennes in der Ligue 1
Spiele | davon Startelf | Einsatzminuten | Tore | Vorlagen |
11 | 8 | 724 | - | 1 |
Talentschmiede Stade Rennes: "Wenn du gut genug bist, bist du auch alt genug"
In Frankreich besitzt die Talentschmiede von Stade Rennes einen exzellenten Ruf. In regelmäßigen Abständen wirft die Jugendakademie Supertalente ab, von Syvain Wiltord über Yoann Gourcuff und Moussa Sow bis hin zu Ousmane Dembele. Es gibt kaum ein Talent, das dem Netzwerk des Klubs im Nordwesten Frankreichs durch die Lappen geht.
So war es auch bei Camavinga. In Angola geboren, kommt er mit seiner Familie früh nach Frankreich und wächst mit fünf Geschwistern in Fougeres auf, rund 50 Kilometer nordwestlich von Rennes. Judo, seine zweite Leidenschaft, gibt er 2009 auf, um sich auf Fußball zu konzentrieren - schließlich ist sein Potenzial nicht zu übersehen.
"Einen so talentierten Spieler hatte ich noch nie gesehen", erzählt der 75-Jährige Ju Burel, Jugendtrainer bei AGL Drapeau-Fougeres, zuletzt gegenüber Le Point. "Wenn wir ein Ergebnis halten wollten, spielte er in der Defensive, wenn wir ein Tor brauchten, stellten wir ihn zentral in den Sturm. Er konnte beides." Camavingas Fähigkeiten verbreiten sich schnell bis zum Partnerklub in Rennes: "Als man uns fragte, ob wir gute junge Spieler haben, sprachen alle nur über Eduardo."
Mit elf Jahren wechselt Camavinga an die Akademie der Rot-Schwarzen und entwickelt sich dort unter Nachwuchscoach Julien Stephan weiter. Getreu dem Mantra "Wenn du gut genug bist, bist du auch alt genug", geht es im Juli 2018 von der U19 zur zweiten Mannschaft, und als Stephan im Dezember 2018 zum Cheftrainer befördert wird, bekommt sein Juwel umgehend einen Profivertrag. Als Camavinga den unterschreibt, ist er 16 Jahre, einen Monat und vier Tage alt. Vereinsrekord.
Eduardo Camavingas Entwicklung: "Der Erfolg wird ihn nicht verändern"
Im gleichen Tempo geht es weiter: Sein Debüt in der Ligue 1 feiert der Mittelfeldmann, nein, der "Mittelfeldteenager", im April. Einen Monat später darf er bereits über die volle Distanz ran, in der Sommerpause bekommt er das Trikot mit der Nummer 18. In der neuen Saison hat er noch keine Ligaminute verpasst, spätestens nach dem Auftritt gegen PSG wurden Rufe laut, ihn möglichst schnell einzubürgern und an die Equipe Tricolore zu binden. Dabei wird er erst im November 17 und geht neben seinen Verpflichtungen als Profi noch zur Schule.
Die rasante Entwicklung Camavingas ist nicht nur seinen fußballerischen Fähigkeiten geschuldet. Eine Katze sei er in der Verteidigung, die sich im Angriff in eine Gazelle verwandle, schwärmt Burel. Noch wichtiger jedoch ist die persönliche Reife, die Camavinga an den Tag legt. "Er hat keine Flausen im Kopf, der Erfolg wird ihn nicht verändern", sagt Landry Chauvin, der ehemalige Leiter der Jugendakademie, im Gespräch mit SPOX und Goal. "Er ist bescheiden und hat vor dem Hausmeister genauso viel Respekt wie vor dem Cheftrainer."
Das kommt auch im Team gut an, wie Stephan verrät: "Die älteren Spieler haben ihn unter ihre Fittiche genommen, weil er in der Kabine sehr bescheiden ist und ihren Ratschlägen ganz genau zuhört. Er ist diesen Sommer im Team förmlich aufgeblüht."
Eduardo Camavinga: Schlägt er Dembeles Weg ein?
Trotz all dieser Qualitäten: Stephan weiß, dass er sein Juwel schützen muss. Vor den hohen Erwartungen der Fans und der Öffentlichkeit, und vor der langen und harten ersten Profi-Saison - mit Gegenspielern, die mittlerweile wissen, wer da vor ihnen steht. "Er ist noch keine 17", betont Stephan, "er befindet sich noch im Muskelaufbau und kennt die Intensität einer Ligue-1-Saison noch nicht." Wobei sich Camavinga mit seinen 1,82 Metern Körpergröße durchaus behaupten kann.
Mindestens eine weitere Saison wird der "Spieler des Spiels" vom 18. August gegen PSG also noch in Rennes bleiben, sich an den Profi-Alltag gewöhnen und derweil an seinen Schwächen arbeiten. Derer gibt es durchaus noch einige, sei es sein schwacher rechter Fuß, das eine oder andere überflüssige Dribbling im Mittelfeld oder seine bis dato eher dürftig ausgeprägte Torgefährlichkeit.
Aber, so betont Stephan, "es ist doch klar, dass er mit 16 noch kein fertiger Fußballer ist". In Paris, München, Dortmund und den übrigen Fußball-Metropolen wird man Camavingas Entwicklung mit Argusaugen beobachten. Zumal der unlängst seinen Berater wechselte und nun von Moussa Sissoko betreut wird. Der berät unter anderem auch Dembele - und wie schnell dessen Weg zu einem Topklub führte, ist bekannt.