Drei Polizei-Vans blockierten die Einfahrt zum Parkplatz. Vier Beamte brachten sich auf Fahrrädern in Stellung und 16 weitere sicherten weiträumig das Trainingsgelände ab.
Es war eine skurrile Szenerie, die sich am 22. Juni um 8.30 Uhr in Marseille abspielte. Die Polizei fahndete keineswegs nach einem Schwerverbrecher oder flüchtigen Autoknacker. Der Auftrag war, jeden, der sich dem Gelände von Olympique Marseille nähert, aufzuhalten und wieder wegzuschicken.
Die Ordnungshüter mussten es in den kommenden Stunden mit geschätzten 40 Menschen aufnehmen, darunter jede Menge Kinder, die ihre Helden ablichten und im Idealfall ein Autogramm ergattern wollten.
Der Verein hatte die letztlich völlig übertriebene Blockade umgesetzt, um seine Anhänger abzustrafen, genauer gesagt ein paar Unverbesserliche, die Tage zuvor "beleidigende" Banner am Trainingsgelände aufgehängt hatten.
Präsident Vincent Labrune und Klub-Eignerin Margarita Louis-Dreyfus stehen im Zentrum der Fan-Kritik. "F*** off, VL" und "F*** off, MLD", stand auf den Bannern - in den Augen der OM-Chefs war die Grenze damit überschritten.
Bielsas heftiger Flirt mit Mexiko
Die Polizei-Aktion passt ins Bild, das der Verein in der Saisonvorbereitung abgibt. Trainer Marcelo Bielsa schwänzte den Trainingsauftakt, weil er keinen Vertrag für die kommende Saison besaß. Mittlerweile haben sich Klub und Coach auf einen neuen Einjahresvertrag geeinigt.
Ob Bielsa aber tatsächlich in Marseille bleibt, ist völlig offen. Der mexikanische Fußballverband buhlt - nicht zum ersten Mal - heftig um den Argentinier als Nachfolger für den nach dem Gewinn des Gold Cup entlassenen Miguel Herrera.
Laut L'Equipe sollen sich Bielsa und Mexikos Verbandschef Decio de Maria letzten Dienstag in Marseille getroffen haben. Bielsa sei "sehr interessiert" an dem Job und habe Dossiers und Videos aller aktuellen und möglichen kommenden Nationalspieler von El Tri angefordert.
Revolutionär der Ligue 1
Der heftige Flirt mit den Mexikanern kommt nicht überraschend. Seine lange Zeit ungeklärte Vertragssituation und das Zögern des Klubs in Sachen Transfers haben Bielsa geärgert. Das Verhältnis zu den Anhängern ist deutlich abgekühlt.
Dabei hatte Bielsa in kürzester Zeit aus einem durchschnittlichen Kader eine Top-Mannschaft geformt, die mit dem typischen Bielsa-Fußball monatelang die Ligue 1 aufmischte. Erbarmungslos jagten die OM-Spieler ihre Gegner quer über den Platz. Bielsas Vorliebe fürs Gegenpressing und enorme Intensität kam voll zum Tragen.
"Gegen Marseille zu spielen, macht keinen Spaß. Wenn dir der Ball zugespielt wird, stehen entweder schon zwei Spieler auf deinen Füßen oder rasen von zwei Seiten auf dich zu", beschrieb PSG-Spieler Javier Pastore die Duelle mit OM.
Die Zeitungen bezeichneten Bielsa als "Revolutionär der Ligue 1". Nie zuvor hatte eine Mannschaft in Frankreich Fußball a la Bielsa gespielt. "Wie im Bienenschwarm" würde OM rennen, attackieren, rennen, attackieren.
Mit Kühlbox zur Kultfigur
Zudem erlangte Bielsa schnell Kultstatus. Dank seiner ritualisierenden Spaziergänge am Spielfeldrand - immer 13 Schritte hin und 13 Schritte zurück - und seiner besonderen Beziehung zu einer Kühlbox. Im Gegensatz zu früheren, aufbrausenden Zeiten, verbrachte Bielsa die Spiele überwiegend sitzend. Auf immer der gleichen Kühlbox.
Bis in den April hinein war Marseille im Rennen um die Meisterschaft, eine unglückliche 2:3-Heimpleite gegen Paris bedeutete dann das Ende der Titelträume. OM verlor auch die nächsten drei Spiele und musste den Champions-League-Quali-Platz noch an Monaco abgeben. Und Bielsa verlor Kredit bei den Fans.
Im ersten Saisonspiel gegen Caen wird der Argentinier auf der Bank von OM sitzen. Aber die Anzeichen verdichten sich, dass es eines der letzten Spiele von Bielsa als Coach der Weißblauen sein wird.
Der Kader von Olympique Marseille