In Sachen ausgewogenes Wirtschaften ist Manchester City ein sehr, sehr schlechtes Vorbild, aber seitdem ausgewogenes Wirtschaften in der englischen Premier League nicht mehr relevant ist, ist das traurigerweise zu vernachlässigen. Hinsichtlich der sportlichen Entwicklung ist Manchester City nämlich ein sehr, sehr gutes Vorbild.
Der Klub von Trainer Pep Guardiola hatte in der vergangenen Saison einen begeisternden Angriff, gewann damit aber keinen Titel. Im Sommer verstärkte City deshalb seine Defensive für 178,5 Millionen Euro (Ederson, Benjamin Mendy, Kyle Walker, Danilo) und führt die Premier League nun mit 15 Punkten Vorsprung und den wenigsten Gegentoren der Liga an.
Auch der FC Liverpool hat einen begeisternden Angriff, gewann damit unter Jürgen Klopp aber noch keinen Titel. Um das zu ändern, beschloss der Klub offenbar, auf dem Transfermarkt den gleichen Weg wie City einzuschlagen.
Van Dijk, die perfekte Mixtur
Der FC Southampton durchschaute diesen Ansatz aber schnell. Mit Virgil van Dijk führte der Klub zufälligerweise einen sehr guten Innenverteidiger im Kader und hatte außerdem das Glück, nicht in der Champions League zu spielen. Für Liverpool ergab das die perfekte Mixtur: Ein sehr guter und in der Champions League spielberechtiger Innenverteidiger. "Southampton hätte jeden Preis aufrufen können. Sie wussten, dass Liverpool verzweifelt nach einem Innenverteidiger suchte", sagt Alan Shearer korrekt, obwohl das Analyse-Fachgebiet des Ex-Stürmers eigentlich die Offensive ist. Shearer findet: "Van Dijk ist dieses Geld nicht wert."
84,5 Millionen Euro sind viel Geld, klar. Der oftmals und gerne kopfschüttelnd angeführte Zusatz "... für einen Verteidiger" aber natürlich Blödsinn. Da Liverpool dieses Geld offenbar zur Verfügung hatte, war es die einzig richtige Entscheidung, es in einen Verteidiger zu investieren. Die Offensive von Liverpool ist nämlich bereits titelreif (die zweitmeisten Tore ligaweit), die Defensive jedoch nicht (die zweitmeisten Gegentore der sieben bestplatzierten Klubs).
Will sich Liverpool zu einem Titelkandidaten entwickeln, muss die Defensive verstärkt werden: die Innenverteidiger, die Außenverteidigung und die Position des Torhüters. Der Kauf von Innenverteidiger van Dijk war der erste Schritt.
Zweifacher Meister mit Celtic, besser als Carragher
"Er bringt viel mit", lobt Klopp: "Qualität, Mentalität, Charakter." Gewonnen hat van Dijk bisher zwei schottische Meistertitel mit dem Celtic FC, für die niederländische Nationalmannschaft absolvierte er 16 Spiele. Im Laufe seiner Profi-Karriere erzielte er für den FC Groningen, Celtic und Southampton bereits durchaus beeindruckende 30 Tore und bereitete zwölf weitere vor.
In dieser Saison kam van Dijk für Southampton in zwölf Premier-League-Spielen zum Einsatz und gewann dabei etwa 73 Prozent seiner Zweikämpfe. Von allen Verteidigern der Liga, die mindestens 40 Zweikämpfe bestritten haben, ist das der zweitbeste Wert nach Stoke Citys Kurt Zouma. Außerdem gewann der 1,93 Meter große van Dijk knapp 74 Prozent seiner Kopfballduelle - der drittbeste Wert nach Zouma und Joel Matip.
Eben jener Matip wird nun wohl van Dijks Partner in Liverpools Innenverteidigung, außerdem stehen Klopp auf dieser Position noch Dejan Lovren und Ragnar Klavan zur Verfügung. "Van Dijk ist besser als alle Abwehrspieler, die Liverpool im Kader hat und wird in der Innenverteidigung sofort die Nummer eins sein", sagt Jamie Carragher, der jahrelang als Liverpools Abwehrchef fungierte.
"Er ist in der Luft besser als ich, er ist schneller als ich, er ist ruhiger am Ball als ich und er schießt keine Eigentore", schrieb Carragher auf Twitter und meinte damit nicht den 39-jährigen TV-Experten Carragher, sondern den ehemals als Innenverteidiger aktiven Carragher.
Klopps widersprüchliche Aussagen
In sportlicher Hinsicht ist der Transfer für Liverpool zum aktuellen Zeitpunkt die optimale Problemlösung. Moralisch ist er dagegen gleich in zweierlei Hinsicht fragwürdig. Der Transfer und sein Zustandekommen enttarnten Klopp und auch seinen Klub als durchaus meinungsflexibel. Man könnte auch sagen: Hochgradig opportunistisch.
2016, kurz bevor Manchester United Paul Pogba für 105 Millionen Euro verpflichtete, sagte Klopp einige interessante Sätze, die ihn wie einen Fußball-Romantiker erscheinen ließen. Zum Beispiel: "An dem Tag, an dem das Fußball ist, werde ich meinen Job nicht mehr machen." Oder auch: "Ich will das anders machen. Das würde ich sogar, wenn ich mehr Geld zur Verfügung hätte."
Nachdem Klopp den Transferrekord für einen Verteidiger um fast 30 Millionen Euro gebrochen hat, sagt er dagegen: "Wir bestimmen die Preise nicht, es ist der Markt. Die Liverpool-Fans sollten sich darüber keine Gedanken machen." Gedanken sollten sie sich aus seiner Sicht wohl auch besser nicht über das Zustandekommen des Transfers machen. Denn auch das ist fragwürdig.
Liverpools fragwürdiges Verhalten
Bereits im Frühjahr soll sich Klopp erstmals mit van Dijk getroffen haben. Da dieser aber noch bis 2022 in Southampton unter Vertrag stand und sein Klub die Kontaktaufnahme nicht gestattet hatte, war das nicht zulässig. Southampton beschwerte sich daraufhin bei der Premier League und Liverpool entschuldigte sich in einem offiziellen Statement, in dem es hieß: "Wir können bestätigen, dass wir jegliches Interesse an dem Spieler zu den Akten gelegt haben."
Van Dijk wollte sich damit aber nicht abfinden und bekräftigte seinen Wechselwunsch, Southampton schmetterte diesen jedoch ab - zumindest für den Sommer, als Liverpool lediglich kolportierte 70 Millionen Euro bot. Die 84,5 Millionen nun reichten Southampton, bereits in den vergangenen drei Premier-League-Spielen kam van Dijk nicht mehr zum Einsatz. Wahrscheinlich verhandelte er in dieser Zeit seinen Vertrag mit Liverpool, der ihm über zehn Millionen Euro pro Jahr einbringt und bis 2023 gültig ist.
Der englische Daily Telegraph nennt den Transfer "Triumph und Befreiung" für Klopp. Sportlich ist er das zweifelsohne, moralisch jedoch nicht.