"Wayne was the main attraction", sagte Evertons neuer Innenverteidiger Michael Keane kürzlich und meinte natürlich Wayne Rooney. Eigentlich bezog er sich mit dieser Aussage auf den Hinspiel-Sieg seines Klubs gegen MFK Ruzomberok in der Europa-League-Qualifikation, aber er hätte auch alles andere, was den FC Everton seit dem 9. Juli 2017 betrifft, meinen können. Oder auch vor dem 31. August 2004, denn damals verließ eben jener Wayne Rooney, 18-jährig und als Wunderkind betitelt, seinen Jugend-Klub.
Everton verbrachte die folgenden 13 Jahre zwischen dem oberen und dem unteren Tabellen-Mittelfeld der Premier League als schlafender Riese und Rooney verbrachte sie als schlafender Everton-Fan. "Meine Kinder und ich haben in den letzten 13 Jahren Everton-Schlafanzüge getragen", erklärte er bei seiner Rückkehr. Fortan muss er das Design seiner Schlafanzüge nicht mehr verheimlichen, fortan darf er sich öffentlich dafür rühmen und wird deshalb nur umso mehr geliebt, als er ohnehin schon geliebt wird.
Womöglich hat seine Enthüllung in Fan-Kreisen zu einem Ansturm auf Everton-Schlafanzüge geführt, im offiziellen Online-Shop sind aktuell jedenfalls keine Modelle verfügbar. Für 16,95 Pfund dagegen immerhin welche auf Amazon. Guten Absatz versprechen sicherlich auch die neuen Rooney-Trikots mit der Nummer 10 - die Rückkehr des Stürmers löste schließlich eine Euphorie aus, die der Verein lange nicht mehr erlebte.
"Es ist eine aufregende Zeit", sagt Leighton Baines und wenn das jemand beurteilen kann, dann er, ist der Linksverteidiger doch gemeinsam mit Phil Jagielka der dienstälteste Evertonian. Für all diese Aufgeregtheit sorgt aber nicht nur die Rückkehr von Rooney alleine, sondern auch die Verpflichtungen von Jordan Pickford und Michael Keane, zwei Senkrechtstarter der vergangenen Premier-League-Saison, sowie gleich einer Gruppe junger Talente, die Everton im Blut, Gefühl in den Füßen und seit diesem Sommer eine Trophäe im Lebenslauf haben.
Calvert-Lewin, Lookman, Dowell, Kenny: Talent-Nachschub aus der Jugend
Gleich vier Evertonians standen in der Startelf der englischen Junioren-Nationalmannschaft, die im Finale der U20-WM in Südkorea gegen Venezuela den ersten Titel Englands auf FIFA-Ebene seit 51 Jahren gewann. Das entscheidende 1:0 erzielte Everton-Stürmer Dominic Calvert-Lewin. Als Stoßspitze wurde er von seinen Vereinskollegen Ademola Lookman und Kieran Dowell flankiert, rechts hinten verteidigte Jonjoe Kenny.
Während Dowell für eine Saison an Nottingham Forest verliehen wurde, wird das verbliebene Trio weiterhin behutsam in den Profi-Kader Evertons integriert. Dort trifft es auf die bereits reichlich integrierten Tom Davies und Mason Holgate. In die Saison 2016/17 starten sie noch gemeinsam mit dem erfolgreichen WM-Quartett für Evertons U23. Diese U23 gewann letztlich die Junioren-Premier-League, aber Davies und Holgate hatten sich zum Zeitpunkt der Feierlichkeiten bereits Stammplätze in der Profi-Mannschaft erkämpft.
All diese Talente wandeln auf den Spuren Rooneys, der sich einst auch aus der Jugend-Abteilung zu den Profis emporkämpfte. Als "academy graduate" wurde der 31-Jährige stolz in einem Nachbericht des Sieges in der Europa-League-Qualifikation auf der Vereins-Homepage bezeichnet. Rooney, die Identifikationsfigur. "Er wird unseren großartigen Talenten einen richtigen Schub geben", erklärte Klub-Botschafter Ian Snodin neulich.
Pickford und Keane: Senkrechtstarter im Schatten
Bereits einen Schub gab Rooney den allgemeinen Ambitionen seines alten, neuen Vereins. "Wir sind mit Sicherheit in der Lage, einen Pokal zu holen", sagt Rooney, der mit Manchester United immerhin einmal die Champions League und auch noch einige andere nicht unwichtige Pokale gewann. Völlig zu Recht erklärt Trainer Ronald Koeman deshalb: "Er weiß, wie man Titel gewinnt." Rooney verkörpere "genau die Ambition und Siegermentalität, die wir brauchen".
Gleichzeitig zieht Rooney das öffentliche Scheinwerferlicht auf sich und schafft so reichlich Schatten. Schatten, in dem sich all die nachrückenden Talente geruhsam entwickeln können genau wie die eingekauften Senkrechtstarter der vergangenen Premier-League-Saison: Torwart Pickford (23) vom AFC Sunderland und Innenverteidiger Keane (24) vom FC Burnley.
Obwohl sie mit ihren Ex-Vereinen über weite Strecken der abgelaufenen Spielzeit in den Tiefen der Tabelle herumdümpelten, überzeugten Pickford und Keane und empfahlen sich sogar für das Nationalteam, in das sie im Laufe der vergangenen Saison beide erstmals berufen wurden. Zweimal 28,5 Millionen Euro überwies Everton, um das Duo zu verpflichten - was auch Rooney begeistert: "Es wurde das richtige Kaliber an Spielern verpflichtet."
Klaasen, Ramirez - und Sigurdsson? Neue Offensive nach Lukakus Abschied
Neben Pickford und Keane sind das bisher noch Sandro Ramirez und Davy Klaasen. Mit seinen erst 24 Jahren trug Mittelfeld-Regisseur Klaasen, der 27 Millionen Euro kostete, bereits zwei Spielzeiten lang die Kapitänsbinde von Ajax Amsterdam. Sein Landsmann Koeman schätzt vor allem Klaasens Pressing-Fähigkeiten und Kreativität.
Einsetzen soll er mit dieser auch den neuen Stürmer Ramirez. 22 ist er mittlerweile, stammt aus der Jugend des FC Barcelona und erzielte in der vergangenen Saison 14 Ligatore für den FC Malaga. Gemeinsam mit Rooney gilt es, den für 80 Millionen Euro verkauften Romelu Lukaku zu ersetzen.
Diese Kader-Rochade ermöglicht es Koeman, die etwas eindimensionale Spielweise mit der Stoßspitze Lukaku durch eine flexiblere Ausrichtung zu ersetzen. Und das ist so ganz nebenbei exakt nach dem Geschmack von Trainer Koeman, der im vorderen Spielfeld-Drittel schon seit jeher einen kombinationslastigeren Ballbesitz-Fußball mit rotierenden Offensiv-Spielern präferiert. "Ich bevorzuge es, wenn einige Spieler zehn bis 15 Tore erzielen als einer 25", erklärt Koeman.
Eine fixe Position für Rooney hat er in seinen taktischen Überlegungen keine reserviert. Der Heimkehrer könne laut Koeman sowohl im Sturmzentrum als auch etwas dahinter oder auf links zum Einsatz kommen. Aller Voraussicht nach wird eine dieser Positionen aber noch mit Gylfi Sigurdsson besetzt. Eifrig umwirbt Everton den Isländer, der wohl über 50 Millionen Euro kosten würde.
Gute Mischung und Rooney
Ob mit oder ohne Sigurdsson und trotz des bevorstehenden Abgangs von Ross Barkley verfügt Everton über ein "großartiges Team", wie Neuzugang Keane erklärt, das "auch die nötige Tiefe im Kader" besitzt. Diese Tiefe bekommt unter anderem Keane selbst zu spüren. Auch er muss um seinen Platz kämpfen, in der Innenverteidigung konkurriert er mit gleich vier renommierten Bewerbern um zwei Plätze.
Sein Verteidiger-Kollege Baines ist überzeugt von der "guten Mischung" des Kaders. "Wir haben einige Jungs, die schon lange hier sind und über viel Erfahrung verfügen", sagt Baines und meint damit unter anderem auch Baines, "außerdem Nachwuchsspieler voller Talent und Enthusiasmus und darüber hinaus einige Legionäre."
Und dann eben noch ihn, "the main attraction": Wayne Rooney. "Eine große Persönlichkeit", schwärmt Baines und lobt Rooneys Präsenz in der Kabine und auf dem Trainingsgelände. "Er liebt Everton", sagt Koeman. Und aus dem geliebten Everton soll er nun ein siegendes machen. Klub-Mitbesitzer Farhad Moshiri kündigte vor einiger Zeit an, es sei künftig nicht mehr genug, "dass es heißt, wir seien besonders und auch ein ganz toller Klub". Er will einen erfolgreichen Klub: "Wir wollen kein Museum sein, wir müssen gewinnen."
Der letzte relevante Titel Evertons, ein Sieg im FA Cup, liegt schon 22 Jahre zurück. Rooney war damals neun Jahre alt und schlief in Everton-Schlafanzügen - ganz ohne es zu verheimlichen. So wie jetzt also.