Nicholson lebte seine Vision
1955 beendete Nicholson seine aktive Karriere und wechselte in den Trainerstab. "Bills große Liebe war das Training", sagt Welch, "war es, an taktischen Abläufen, Standardsituationen und Rollenverteilungen zu arbeiten." 1958 wurde er Cheftrainer der Profimannschaft und stellte sich mit einem 10:4-Sieg gegen Everton vor. Spektakel mit Ankündigung.
Rebellisch und anders war der Fußball, den die Spurs unter Nicholson spielten. Er war die federleichte Antwort auf das rustikale, urenglische Spiel, mit dem die Wolverhampton Wanderers den englischen Fußball der 1950er Jahre dominierten. "Bill hatte die Vision, eine wundervolle Angriffs-Mannschaft zu formen", sagt Welch. Er sollte seine Vision leben.
"Es ist besser, hohe Ziele zu haben und zu scheitern, als geringe und diese beim Erreichen als Erfolge zu verkaufen. Und die Ziele der Spurs sind sehr hoch", sagte Nicholson mal. "So hoch, dass uns selbst bei Niederlagen ein Hauch von Ruhm umgibt."
Chat mit der Prinzessin
Dem Klub mangelte es damals nicht an finanziellen Mitteln und Nicholsons Genialität sorgte dafür, dass das Geld sinnvoll investiert wurde. Unter anderem für die Mittelfeldspieler Danny Blanchflower und Dave Mackay sowie die Angreifer John White und Cliff Jones. "Die Spurs waren der reiche Glamourklub, das Chelsea ihrer Zeit", sagt Welch. Die Mannschaft war aber nicht nur eine Ansammlung von Fußballern, sondern auch von Freunden. Eine Mannschaft, die ihre Bezeichnung verdient.
1961, vor dem FA-Cup-Finale gegen Leicester City, war es, als die Prinzessin von Kent auf einmal vor Kapitän Blanchflower stand. Er solle ihr doch seine Mitspieler vorstellen. "Die Leicester-Spieler tragen alle ihre Namen auf dem Trainingsanzug, warum ihr nicht?", fragte die Prinzessin also und Blanchflower erwiderte: "Yes Ma'am, wir kennen uns alle auch so."
Sie kannten sich, sehr gut sogar, und harmonierten auf dem Platz. Blanchflower war als Kapitän und Mittelfeldspieler der verlängerte Arm des Trainers und dazu bestimmt, das Spieltempo der Elf auf dem Platz vorzugeben und auch in Eigenregie taktische Feinjustierungen durchzuführen. "Er war ein Genie und der interessanteste Fußballer, den ich je gesehen habe", sagt Welch, "vielleicht sogar der interessanteste Mensch."
Ein Satz als Erinnerung
Angeführt von Blanchflower stürmte Tottenham über die englischen Fußballplätze, steigerte sich von Saison zu Saison und holte 1961 schließlich souverän das Double. 1963 folgte dann der Triumph im Europapokal der Pokalsieger. 5:1 fegten mittlerweile durch Stürmer Jimmy Greaves verstärkte Spurs Atletico Madrid aus dem Rotterdamer De Kuip. Es war der letzte Titel dieser so speziellen Mannschaft.
Titel waren unter Nicholson aber nie das Einzige, was zählte. "Es geht darum, mit Stil und auch Schnörkeln zu spielen. Es geht darum, die Gegner zu besiegen und nicht auf sie zu warten und in Langeweile zu sterben", sagte Blanchflower und verkündete: "The game is about glory!"
Sein Klub schrieb sich diesen Spruch später auf die Tribünen-Balustraden an der mittlerweile abgerissenen White Hart Lane, von wo er Fans und Spieler jahrelang bei jedem Heimspiel entgegenleuchtete. In Erinnerung an das Team, das "The Spurs Way" perfektionierte und lebte und im Sommer 1964 sein tragisches Ende fand. Zunächst musste Blanchflower wegen Knieproblemen seine Karriere beenden, wenige Wochen später beendete der Blitzschlag Whites Leben.
Mackay saß der Legende nach gerade in seiner Libelingskneipe Viking, als ihn per Telefon die Nachricht von Whites Tod ereilte. Wie in Trance soll er die Bar verlassen, sich in sein Auto gesetzt und das Radio eingeschaltet haben. Es lief Roy Orbison: "It's over."