Zur Personalie von Louis van Gaal fiel dem einen oder anderen Beobachter auf der Insel das alte Lied von den Rolling Stones ein. "Man bekommt nicht immer das, was man will; aber manchmal bekommt man das, was man braucht", heißt es in "You can't always get what you want" vom Album Let it Bleed (1969) sinngemäß.
Es ist kein großes Geheimnis, dass Manchester United anstatt dem Mittsechziger aus Amsterdam lieber den Heavy-Metal-Fan Jürgen Klopp oder den selbsterklärten Coldplay-Versteher Pep Guardiola engagiert hätte.
Mit van Gaal, dem ersten Kontinentaleuropäer in der United-Geschichte, kommt nun jedoch ein Trainer ins Amt, der in vielerlei Hinsicht sehr gut zum Verein passt. Vor allem hat er dank seiner Erfolge bei europäischen Spitzenklubs die nötige Statur und das unerschütterliche Selbstbewusstsein, das ein Manager von United braucht.
Jene Zweifel und Verzagtheit, die Vorgänger David Moyes verströmte, kann sich ein Klub dieser Kragenweite nicht leisten, schon gar nicht in der kommenden Saison. Ein zweites Jahr ohne Champions League wäre ein unvorstellbare Schmach für den "größten Verein der Welt", wie es van Gaal formulierte.
Taktische Entwicklung
Rein fußballerisch wird United von seinen Impulsen enorm profitieren. Seit Carlos Queiroz sich 2008 nach dem Gewinn der Champions League als Assistenztrainer von Alex Ferguson verabschiedete, hat sich die Mannschaft in taktischer Hinsicht zurück entwickelt, was sich besonders in der Champions League mit jedem Jahr ein Stückchen mehr offenbarte.
Kaderstärke, Routine und Sir Alex' einzigartige Motivationskünste hielten den Klub bis zum Vorjahr wettbewerbsfähig, doch eine spielerische Identität oder gar ein ganzheitlicher Ansatz a la Dortmund oder Barcelona fehlten gänzlich.
Es wird spannend sein, welches Konzept van Gaal seiner Elf verpassen wird, und mit welchem Personal. In den ersten Wochen beim FC Bayern hatte er es mit einer Raute und Franck Ribery auf der "Zehn" probiert. Bis er sich auf das 4-2-3-1 festlegte, dauerte es ein paar Monate. So viel Zeit wird er im Old Trafford eher nicht bekommen, noch dazu steigt er nach der WM erst relativ spät in die Vorbereitung ein.
Van Persie als Kapitän?
Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass Robin van Persie, der Kapitän der niederländischen Nationalelf, auch bei United die Binde tragen wird. "Wir beide teilen die gleiche Philosophie, auf dem Platz und daneben," sagte van Gaal am Wochenende. Der Klub muss sich deshalb nicht länger um den Verbleib des Spitzenstürmers sorgen - der 30-Jährige war von Moyes so unbeeindruckt, dass er seinen Berater andere Optionen ausloten ließ - bekommt aber unter Umständen ein anderes Problem.
Man hatte Wayne Rooney vor seiner Vertragsverlängerung im Februar für die kommende Saison das Amt als "skipper" in Aussicht gestellt. Wie wird der 28-Jährige diese Zurückstufung verarbeiten? Das Verhältnis der beiden Stürmer gilt als leicht angespannt. Nach dem 0:2 im Champions-League-Achtelfinale gegen Olympiakos hatte van Persie sich über Mitspieler beschwert, die sich "in seiner Zone" aufgehalten hätten.
Ferguson schien vor seinem Abschied gewillt, den englischen Nationalspieler zu verkaufen - der Schotte erzählte ungefragt, dass Rooney einen Wechsel wünsche - und beklagte immer wieder die unprofessionelle Lebensführung des gebürtigen Liverpoolers. Van Gaals Toleranzschwelle liegt bekanntlich noch niedriger. Falls er es schafft, Roo dauerhaft zu alter Klasse zurückzuführen und auch bei den Kollegen wieder jene Disziplin und ernsthafte Einstellung herzustellen, die unter Moyes weitgehend verloren gegangen war, ist schon viel gewonnen.
Andererseits birgt seine Kompromisslosigkeit auch die Gefahr eines großen, kostspieligen Knalls. Nach dem Umbruch im Kader - die Veteranen Ryan Giggs (als Spieler), Rio Ferdinand und Nemanja Vidic sind abgetreten - kann der Klub unschwer auf einen weiteren Leistungsträger verzichten. Rooney könnte so die Schlüsselpersonalie für van Gaals Amtszeit werden.
Van Gaal vs. Medien
Dass der streitbare "Tod oder Gladiolen"-Coach sich mit dem einen oder anderen Medienvertreter auf der Insel überwerfen wird, stört im Klub niemand. Ferguson boykottierte schließlich sieben Jahre lang den Staatssender "BBC" und verbannte die Hälfte der Zeitungen aus seinen Pressekonferenzen.
Ein derart starker Mann auf der Bank hilft dem Klub (sprich: Geschäftsführer Ed Woodward) darüberhinaus, sich von Ferguson zu emanzipieren. Der Schotte hatte Moyes bekanntlich persönlich berufen, in der Suche nach einem Nachfolger des Nachfolgers hatte er jedoch eine untergeordnete Rolle gespielt.
Der Talentausbilder
Zu guter Letzt ist van Gaal auch in puncto Nachwuchsförderung ein Trainer nach dem Geschmack der amerikanischen Glazer-Brüder, die den Klub seit 2005 kontrollieren.
Obwohl viel von einer Kriegskasse von knapp 200 Millionen Euro für Neuverpflichtungen die Rede ist und die englischen Blätter jeden Tag einen anderen Spieler von Bayern und/oder Dortmund als Verstärkung ins Spiel bringen, hat der Niederländer clever auf seine Erfahrung als Talentausbilder verwiesen.
Das Börsenunternehmen United hat zwar Geld, aber auch Verbindlichkeiten von 420 Millionen Euro. Ein Trainer, der "David Alaba" antwortet, wenn ihn der Klub nach Sami Khedira fragt - wie beim FC Bayern 2010 geschehen - ist den Glazers naturgemäß äußerst sympathisch.
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