Vor sechs Monaten wusste kaum jemand in Spanien oder gar England wer Miguel Perez Cuesta ist. Fragt man heute jemanden, würde wohl immer noch fast keiner wissen um wen es sich handelt - was aber wohl eher an seinem geläufigeren Spitznamen liegt. Einem Spitznamen, der seit dieser Saison in aller Munde und der das Synonym für das Schnäppchen der Saison geworden ist: Michu.
Michu verzückt gerade die Insel: 13 Tore in 22 Premier-League-Spielen sind ihm für Swansea City gelungen. Gerade einmal 2,5 Millionen Euro zahlten die Swans im Sommer an Rayo Vallecano.
"Nur 2,5 Millionen und ich habe nie wirklich etwas von ihm gehört. Ich sollte mal mit meiner Scouting-Abteilung sprechen", sagte ManUnited-Manager Sir Alex Ferguson anerkennend. Swansea hat den Braten gerochen, dass Michu Begehrlichkeiten wecken könnte, und hat den Vertrag bis 2016 verlängert.
Kein spanisches Team bot um Michu mit
Dass Michu für derart kleines Geld nach England wechselte, liegt zum einen an der Ausrichtung der Premier League, aber auch an der finanziellen Misere in Spanien. Die Vereine der Primera Division sind aufgrund der hohen Schuldenlast alle zuerst daran interessiert, Geld einzunehmen, um ihre Bilanzen auszubalancieren.
Swanseas Coach Michael Laudrup ist in Spanien gut vernetzt, da er bereits den FC Getafe und Real Mallorca trainiert hatte. Er erkannte das Schnäppchen als Erster, reagierte am schnellsten und schlug zu. Die Premier-League-Vereine haben aufgrund ihres TV-Vertrags viel mehr finanziellen Spielraum.
Sogar ein kleiner Verein wie Swansea hat so genug Geld zur Verfügung, um sich mit Spielern aus dem Ausland zu verstärken. Ein Beweis dafür ist auch der Kauf von Valencias Pablo Hernandez, der die Waliser satte sieben Millionen kostete.
Spanier dominieren die Premier League
Aufgrund der Finanzkrise des Landes, aber auch der Vereine, ist Spanien zu einer Exportnation geworden. Die besten Fußballer - wenn sie nicht gerade zu Barcelona oder Madrid wechseln - gehen immer öfter ins zahlungskräftige England. Der Spielmacher von Chelsea (Juan Mata), der Spielmacher von Manchester City (David Silva), der Spielmacher von Arsenal (Santi Cazorla) und nun auch der Spielmacher von Swansea - sie sind allesamt Spanier.
Rayo hätte Michu natürlich gerne behalten - sportlich retteten seine Tore die Ligazugehörigkeit. Er war der mit Abstand beste Torjäger der Mannschaft und der torgefährlichste Mittelfeldspieler der spanischen Liga. Vallecano war aber schlicht gezwungen, ihren aufstrebenden Star zu verscherbeln - sie mussten ihre Schulden tilgen. Die zweithöchste Transfereinnahme in ihrer Vereinsgeschichte kam ihnen da gerade recht.
"Rayo hat kein Geld, also sind die 2,5 Millionen für sie wie 'Wow!'", sagt Michu. "Ich bin ablösefrei zu Rayo gewechselt. Sie haben katastrophale wirtschaftliche Verhältnisse. 2,5 Millionen ist für sie wirklich sehr gut."
Wie schlecht es Rayo wirklich geht? Letzte Saison fuhren der Klub die rund 450 Kilometer zum Auswärtsspiel nach San Sebastian über die Landstraßen. "Wir hatten kein Geld für die gebührenpflichtigen Straßen. Es war verrückt", sagt Michu.
Mit Cazorla und Mata bei Oviedo
Wie Arsenals Santi Cazorla und Chelseas Juan Mata stammt auch Michu aus der Jugendabteilung von Real Oviedo. Jahrelang dümpelte Michu erst in der dritten, dann zweiten Liga herum. Als Oviedo 2007 wieder in die dritte Liga abstieg, entschied er sich zu einem Wechsel zum Zweitligisten Celta Vigo.
Im Jahr 2010 kam dann seine große Chance auf die Karriere im Oberhaus. "Ich hätte bei Sporting Gijon einen Fünfjahres-Vertrag mit mehr Geld unterschreiben können. Aber ich komme aus Oviedo - Sporting ist unser Erzivale, also konnte ich nicht für sie spielen. Oviedo ist mein Verein, egal ob sie in der dritten, zweiten oder ersten Liga spielen."
Ein seltener Charakterzug für einen Profifußballer. Im November, als sein Heimatverein vor dem Konkurs stand, kaufte er sogar Anteile von Real Oviedo und erhielt so den Verein am Leben.
Wechsel zu Celta Vigo
Mit Vigo hatte Michu auf sportlichem Wege die Chance auf den Aufstieg in Liga 1. In den Zweitliga-Playoffs verschoss er aber den entscheidenden Elfer gegen Granada. Celta Vigo schied im Elfmeterschießen aus und verpasste den Aufstieg. Michus Vertrag lief Ende der Saison aus, und das frisch in die Primera Division aufgestiegene Rayo Vallecano sicherte sich ablösefrei seine Dienste.
Der damalige Trainer von Vallecano, Jose Ramon Sandoval, erkannte Michus Talent. Michu spürte das Vertrauen seines Trainers und wurde auf Anhieb unumstrittener Stammspieler.
"Sandoval war wie ein Vater und sehr wichtig dafür, wo ich jetzt bin. Ich glaube an mich, aber das wichtigste ist, dass der Trainer an dich glaubt. Bei Rayo habe ich die ganze Zeit gespielt. Du bekommst Selbstvertrauen und explodierst." Sein Selbstvertrauen war letzte Saison so groß, dass er für Rayo als offensiver Mittelfeldspieler 15 Tore in 37 Spielen schoss. Genauso viele wie in drei Jahren bei Celta Vigo zusammen.
Michus typischer Jubel sagt viel aus
Sein ehemaliger Trainer bei Rayo ist bis heute sein wohl größter Fan und immer noch voll des Lobes: "Er war immer ein Spieler, der auf konstruktive Kritik reagierte, mit einem unersättlichen Wunsch besser zu werden." Dieser Hunger war der Grund, wieso Sandoval ein Bild von Michu in seinem Büro bei Vallecano hängen hatte.
"Darauf jubelt er gerade über ein Tor, das er gegen Getafe erzielt hat. Seine Zunge hängt heraus, sein Haar ist überall und er schlägt sich auf das Wappen auf seiner Brust." Der Jubel sei "die Verkörperung von Hunger und Verlangen", erläutert Sandoval.
Es ist der gleiche Jubel, den man fast Woche für Woche bei Swansea von Michu bestaunen darf. Auch für die Waliser trifft er regelmäßig.
Anpassungsprobleme an die raue Gangart, das schnellere Spiel in der Premier League hatte der Spanier keine. Bereits in seinem ersten Spiel gegen die Queens Park Rangers knippste der Hüne zwei Mal. Und überraschte die Premier League von Beginn an.
Selbst Swans-Coach Michael Laudrup rechnete nicht damit, dass Michu gleich so gut einschlagen würde: "Ich würde von einem neuen Spieler niemals erwarten, dass er gleich reinkommt und so viele Tore schießt." Genau das machte Michu aber. "Wenn man bedenkt, dass er nie eine Nummer Neun war, ist es unglaublich was er macht," so der Däne.
Vielseitig und unberechnbar
Michus größte Stärke ist die Unberechenbarkeit: Er kann als Mittelfeldspieler auf der Zehn, als hängende Spitze oder alleine in vorderster Front agieren.
Durch seine Größe von 1,90 Metern ist er ein gefährlicher Kopfballspieler. Spielt er als einzige Spitze, kann er den Ball äußerst gut behaupten. Kommt er aus dem Mittefeld, hat er die Gabe, zur richtigen Zeit im Strafraum aufzutauchen. Und er ist ein unermüdlicher Kämpfer, der sich nicht zu schade für Arbeit nach hinten ist.
Durch diese Vielseitigkeit gibt er Swansea und Trainer Michael Laudrup verschiedene Möglichkeiten in der Aufstellung. Als Brecher im 4-2-3-1 hat Michu drei Tore in acht Spielen erzielt. Effektiver ist er aber weiter zurückgezogen. Als offensiver Mittelfeldspieler konnte der Spanier gar zehn Tore in 13 Spielen verbuchen.
Die ganze Premier League wundert sich nun über das 2,5-Millionen-Euro-Schnäppchen. Nur einer sah die Entwicklung schon immer kommen, Jose Ramon Sandoval. "Sie hielten mich für verrückt, als ich letztes Jahr meinte, er müsste mit zur EM", erklärt der jetzige Coach von Sporting Gijon.
Verrücktheit würde Sandoval jetzt keiner mehr unterstellen. Michu wurde vor wenigen Tagen von Nationaltrainer Vicente del Bosque für Spaniens Testspiel gegen Uruguay nominiert.
Michu im Steckbrief