"Das ist eine Katastrophe für den Fußball", mäkelte Matthias Sammer, nachdem Chelsea den FC Barcelona in der Champions League ausgeschaltet hat. "Jetzt spielen im Finale der Fünfte der englischen Liga gegen den Zweiten der deutschen", stichelte Jose Mourinho. Und tatsächlich scheinen sich nur die Bayern über den Finaleinzug Chelseas gefreut zu haben. Doch sie sollten gewarnt sein: Der FC Chelsea dieser Tage schiebt längst nicht mehr den Blues.
Jüngstes Beispiel ist der furiose Sieg im Londoner Derby gegen die Queens Park Rangers. Mit 6:1 fegte Chelsea QPR vom Platz und zeigten sich spielfreudig wie lange nicht mehr. Mit sehenswerten Kombinationen zerlegten die Gastgeber ihren Gegner förmlich.Frank Lampard, der seinen Vertrag gerne über 2013 hinaus verlängern möchte, dirigierte sein Team wie zu besten Tagen und selbst der Millionenflop Fernando Torres ist nicht wiederzuerkennen: Drei Tore schenkte er den Rangers ein. Der Spanier scheint endgültig in London angekommen zu sein, und er spricht etwas an, das die Bayern beunruhigen muss: "Das Team spielt derzeit so gut wie nie in dieser Saison, und es kommen noch wichtige Spiele."
Chelsea kann auch Offensive
Besonders brisant für die Bayern: Bis auf John Terry könnte Chelsea mit derselben Elf wie gegen die Rangers auch im Champions-League-Finale antreten. Trainer Roberto Di Matteo ließ die im Finale gelbgesperrten Ramires und Raul Meireles zunächst auf der Bank, Branislav Ivanovic stand auch in der Liga wegen einer Gelbsperre nicht zur Verfügung.
Und die Londoner zeigten auch ohne die Drei, dass sie nicht nur diszipliniert verteidigen können wie noch über 180 Minuten gegen Barcelona, sondern auch in der Offensive zur europäischen Spitze gehören - selbst mit Spielern wie Drogba oder Malouda auf der Bank - angesichts der zu erwartenden bayerischen Rumpfverteidigung im Finale sind das keine guten Nachrichten.
Dass dem so ist, haben die Blues vor allem Roberto Di Matteo zu verdanken. Der Interims-Coach, ursprünglich als Notlösung eingesetzt, hat der Mannschaft seinen Stempel aufgedrückt und ihr wieder Selbstvertrauen eingeimpft. Die Grüppchenbildung um die Akteure der alten Chelsea-Garde um Lampard, Drogba und Terry und Neuzugängen wie Juan Mata oder Fernando Torres, die Andre Villas-Boas noch zum Verhängnis wurde, scheint aufgebrochen.
"Er hat alles verändert"
Denn beide Lager sind gleichermaßen überzeugt von der Arbeit des Italieners mit Schweizerischen Wurzeln: "Ich kann ihn nicht genug loben für das, was er gemacht hat. Er ist unglaublich", sagt etwa Frank Lampard: "Was wir geschafft haben, seit Robbie das Team übernommen hat, ist kein Zufall." Verteidiger Branislav Ivanovic sieht es ähnlich: "Er hat einen tollen Job gemacht. Er hat einfach alles verändert."
Und wie! In der Mannschaft hat sich nach dem Weiterkommen gegen Barcelona eine gesunde Mischung aus Zusammenhalt und Konkurrenzkampf um die begehrten Stammplätze für das Champions-League-Finale eingestellt. Symbolisch feierte die gesamte Ersatzbank Jose Bosingwa bei seiner Auswechslung gegen QPR, wohingegen Joker Malouda gegen die Rangers traf und sich damit als echte Alternative für das Finale in Position brachte.
Inzwischen ist der FC Chelsea in der Premier League seit sechs Spielen ungeschlagen, selbst Rang drei ist noch drin. Insgesamt verloren die Blues unter Di Matteo nur eines von 16 Pflichtspielen.
Volle Konzentration auch in der Liga
Wegen eben dieser Erfolgsserie können es sich die Londoner im Gegensatz zu den Bayern nicht leisten, die Saison im Schongang zu Ende zu spielen. Denn die Blues befinden sich zusammen mit Newcastle United und Tottenham Hotspur mitten im Dreikampf um Platz vier, der zur Champions-League-Qualifikation berechtigt.
Und das Restprogramm hat es in sich: Am Mittwoch wartet Newcastle, danach der FC Liverpool. An den Einsatz einer reinen B-Elf, wie es die Bayern in der Bundesliga praktizieren, ist da nicht zu denken.
Das könnte sich für Chelsea auch als Vorteil herausstellen. Bleibt seine Mannschaft von Verletzungen verschont, hat Di Matteo am 19. Mai eine Mannschaft zur Verfügung, die anders als die Bayern nicht wochenlang aus dem Spielrhythmus gerissen wurde.
Müller warnt vor Hochmut
Nicht umsonst warnte Thomas Müller auch nach dem Spiel gegen Stuttgart vorsichtig im Hinblick auf Bayerns Favoritenrolle im "Finale dahoam": "Die Euphorie finde ich ja gut, aber im Moment kommt es mir ein bisschen so vor, als hätten wir das Finale schon gewonnen. Da muss ich den Finger heben."
Wohl weil er weiß, dass Chelseas Finaleinzug trotz einer über weite Strecken mäßigen Saison kein Zufall war - und keine Katastrophe für den Fußball.
Der FC Chelsea im Überblick