Gerade mal elf Monate ist es her, da herrschte Panik in Bolton. Abstiegspanik. Die Wanderers, seit 2001 ohne Unterbrechung in der Premier League vertreten, standen auf dem drittletzten Rang und es zogen die üblichen Automatismen: Teammanager Gary Megson musste am 30. Dezember 2009 seinen Hut nehmen.
Viel entscheidender war aber die Wahl seines Nachfolgers: Knapp eine Woche nach Megsons Entlassung kauften der Klub Owen Coyle aus seinem laufenden Vertrag beim Abstiegskonkurrenten FC Burnley raus. Und seitdem läuft alles anders in Bolton.
"Er ist nicht der Messias. Er ist nichts weiter als ein unartiger Bengel. Und jetzt verpisst euch!" So lautet einer der denkwürdigen Sprüche aus dem Monthy-Python-Klassiker "Das Leben des Brian". Die ersten beiden Sätze aus diesem Zitat musste der strenggläubige Coyle lesen, als er mit seiner neuen Mannschaft am 26. Januar 2010 im heimischen Reebok Stadium auf seinen Ex-Klub traf.
Sakrilege und Fleischwaren
"Judas" und "Verräter" waren weitere populäre Titulierungen auf den Schildern im Gästeblock, dazu Zeilen wie "Vom Held zur Niete" und "Niemals vergessen, niemals verzeihen". Ausdruck der Enttäuschung vieler Burnley-Fans, die den Trainer noch wenige Monate zuvor mit "Owen Coyle ist Gott"-Transparenten gefeiert hatten.
Kein Wunder, denn unter dem 44-jährigen Schotten war der kleine Klub aus dem Landkreis Lancashire 2009 nach 33 Jahren Abstinenz in die Premier League zurück gekehrt. Ein lokaler Metzger hatte aus Dankbarkeit sogar eine Wurstsorte nach ihm benannt. Umso mehr schmerzte es die Anhänger, dass ihr Erfolgscoach sie mitten in der Saison schlagartig verlassen und beim gerade mal 50 Kilometer entfernt spielenden Rivalen angeheuert hatte. Coyle schlug sein altes Team mit seinem neuen 1:0 und am Saisonende musste Burnley runter in die Championship, während die Wanderers als 14. die Klasse hielten.
Auch wenn er den Wechsel als "rein sportliche Entscheidung" bezeichnet - Bolton ist für Coyle mehr als nur ein Job. Eine Herzensangelegenheit. Zwischen 1993 und 1995 bestritt er 78 Partien für die Trotters. "Ich möchte die guten Zeiten zurück bringen. Ich bin absolut begeistert, wieder bei den Bolton Wanderers zu sein", erklärte Coyle, der in England nicht erst seit dieser Saison als einer der talentiertesten jungen Teammanager gilt, bei Amtsantritt.
Vom Abstiegs- zum Europa-League-Kandidat
Kein Jahr später steht er mit seiner Mannschaft in der Premier League auf Platz sechs und ärgert die Großen. Klubs wie der FC Everton, Aston Villa oder der FC Liverpool, die mit deutlich größeren Erwartungen in die Saison gegangen sind, finden sich in der Tabelle hinter den Wanderers wieder.
In 15 Partien gab es gerade mal zwei Niederlagen. Nur Tabellenführer Manchester United steht noch besser da. Zudem erzielte Bolton, wo unter anderem die Ex-Bundesliga-Profis Ivan Klasnic und Martin Petrov kicken, die viertmeisten Treffer der Liga (28).
Unter Coyle haben sich mehrere Spieler, die unter seinen Vorgängern teilweise für horrende Summen verpflichtet wurden und enttäuschten, zu wichtigen Leistungsträgern entwickelt. Bestes Beispiel: Das Sturmduo Elmander/Davies.
Leistungsexplosion des Millionenflops
Johan Elmander kam 2008 für die vereinsinterne Rekordablösesumme von 12,6 Millionen Euro vom FC Toulouse, den der Schwede in seiner einzigen Saison in Frankreich mit elf Treffern in die Champions-League-Qualifikation geschossen hatte. Bei Bolton enttäuschte Elmander in seinen ersten beiden Spielzeiten jedoch auf der ganzen Linie und erzielte in 55 Ligaspielen gerade mal acht Treffer. In dieser Saison hat er in 15 Begegnungen bereits genauso oft getroffen und liegt in der englischen Torschützenliste auf Platz vier.
Kapitän Kevin Davies steht seit 2003 bei den Wanderers unter Vertrag und erlebt gerade die erfolgreichste Saison seiner Karriere. Am 12. Oktober bestritt er in der EM-Qualifikation gegen Montenegro sein erstes Länderspiel - im Alter von 33 Jahren und 200 Tagen. Damit ist er der älteste Debütant bei den Three Lions seit 60 Jahren.
Auch aus Gary Cahill holt Motivator Coyne das Maximum raus: Der Innenverteidiger, der 2008 von Aston Villa nach Bolton wechselte, steht seit dieser Saison im Kader der englischen Nationalmannschaft und bei Arsenals Arsene Wenger ganz oben auf dem Wunschzettel. "Ich bin sehr beeindruckt von Coyles Enthusiasmus, er liebt diesen Sport einfach", erklärt der ehemalige Bolton-Manager und heutige TV-Experte Jimmy Armfield. "Das Geheimnis jedes guten Managers ist es, seine Spieler motivieren zu können und und ihnen seine Spielphilosophie zu vermitteln."
111 Millionen Euro Verbindlichkeiten
Trotz des Aufschwungs ist bei weitem nicht alles rosig in Bolton. Den Verein drücken 111 Millionen Euro an Verbindlichkeiten, resultierend aus teuren Fehlkäufen, einem aufgeblähten Kader sowie der Abfindung für Megson. Das Ergebnis zu hoher Erwartungen, die Coyles Vorgänger nicht erfüllen konnten. Alleine in der Spielzeit 2009/10 machte Bolton 40 Millionen Euro Verlust. Dies lässt sich auch am veränderten Transferverhalten ablesen: Zwischen dem Sommer 2005 und Januar 2010 gaben die damaligen Verantwortlichen 78 Millionen Euro für neue Spieler (u.a. El-Hadji Diouf und Nicolas Anelka) aus, vor dieser Saison waren es gerade mal 2,4 Millionen.
Ein weiteres Problem wird sein, die Leistungsträger zu halten. Der Vertrag von Torjäger Elmander etwa läuft am Saisonende aus. Angesichts des Höhenflugs des Spielers und der finanziellen Schwierigkeiten des Klubs dürfte es schwer werden, ihn zu halten. Eine Situation, die aber nichts Neues ist in Bolton. Die Wanderers sind darauf angewiesen, Spieler Gewinn bringend zu verkaufen. Das gilt angesichts der prekären finanziellen Lage mehr denn je.
Der aktuelle Höhenflug ist Segen und Fluch zugleich. Einerseits gewinnt das Personal an Wert, gleichzeitig aber wird die Konkurrenz auf die Stützen des Teams aufmerksam.
Elmander und Cahill sind momentan die gefragtesten Spieler der Trotters. Und auch die talentierten Mittelfeldspieler Chung-Yong Lee und Fabrice Muamba machen sich mit jedem guten Spiel interessanter. Ganz zu schweigen von Teamchef Owen Coyle, dessen Abgang Bolton und seine Fans wohl nicht weniger schmerzen würde als den FC Burnley vor elf Monaten.
Ergebnisse und Tabelle der Premier League