Bei seinem allerletzten offiziellen Auftritt als Spieler des FC Bayern München war Christian Früchtl gar nicht Christian Früchtl. "Josip Stanisic, auch deine Meisterschale", rief ihn Stadionsprecher Stephan Lehmann im Mai bei der Titelfeier auf dem Marienplatz zur Balkonbrüstung.
Peinlich berührt sträubte sich Früchtl, seine Keeper-Kollegen Manuel Neuer und Sven Ulreich neben ihm hatten ihren Spaß - und Lehmann machte einfach weiter: "Komm' weiter hier! Trau' dich! Das ist the next generation: Stanisic!" Wenn für Früchtl nicht ohnehin schon klar gewesen wäre, dass ein Abschied aus München überfällig ist - spätestens jetzt hätte er es gewusst.
Acht Jahre zuvor wechselte er im Alter von 14 Jahren nach München, früh galt er als potenzieller Erbe von Manuel Neuer. Schon damals war er fast so groß wie der Stammkeeper des FC Bayern. Mit 15 durfte er als bis dahin jüngster Spieler überhaupt zu einem Trainingslager der Münchner Profis mitreisen.
Früchtl schaffte es zur Nummer eins der Reserve und dritten Keeper der Profis, höher hinaus ging es für ihn beim FC Bayern aber nicht. Nach einer erfolglosen Leihe zum 1. FC Nürnberg in der Saison 2020/21 bekam er in der vergangenen Spielzeit immerhin seinen ersten und einzigen Einsatz für die Profis, ehe er im Sommer mit 22 Jahren für 500.000 Euro zum FK Austria nach Wien weiterzog.
Christian Früchtl avancierte zum Derby-Helden
Sportvorstand Hasan Salihamidzic bezeichnete den Wechsel als "notwendigen nächsten Karriereschritt" und tatsächlich: Früchtl avancierte bei der Austria sofort zum Stammkeeper und verpasste bisher noch keine Pflichtspielminute. "Sehr zufrieden" zeigte er sich bereits Mitte September, sein bislang größter Auftritt in Wien folgte am Sonntag beim Wiener Derby gegen den SK Rapid.
Mit mehreren starken Paraden rettete Früchtl den 2:1-Sieg der Austria. "Das ist das Geilste überhaupt", sagte er anschließend bei Sky. "Es waren drei, vier Paraden, die alle nicht so schlecht waren. Wenn man so ein Spiel gewinnen will, dann muss ein Torwart hinten drinnen stehen, der die Dinger hält - und das habe ich heute gemacht."
Durch den Sieg zog die Austria in der Tabelle am Erzrivalen Rapid vorbei und sprang auf Platz fünf. Der Rückstand auf Spitzenreiter RB Salzburg beträgt jedoch bereits elf Zähler. Wegen finanziellen Verstößen waren der Austria vor der Saison drei Punkte abgezogen worden. Die prekäre Situation animierte sogar Früchtls ehemaligen Bayern-Kollegen David Alaba zu einem Engagement bei seinem Jugendklub.
Christian Früchtl: Rückkehr zum DFB - und zum FC Bayern?
Früchtl spielte sich mit seinen starken Leistungen unterdessen wieder in den Fokus des DFB. Bei der vergangenen Länderspielperiode nominierte ihn U21-Nationaltrainer Antonio Di Salvo erstmals seit rund drei Jahren für eine deutsche Auswahl. Die Niederlagen gegen Frankreich und in England verfolgte er aber nur von der Bank aus. Im Tor stand jeweils Noah Atubolu vom SC Freiburg.
Aufmerksam verfolgen dürfte Früchtls Entwicklung auch der FC Bayern: Ähnlich wie bei den Transfers von Tanguy Nianzou zum FC Sevilla und Joshua Zirkzee zum FC Bologna sicherten sich die Münchner auch bei Früchtl ein Rückkaufrecht. Das große Ziel des gebürtigen Bayer ist weiterhin, irgendwann Neuer im Tor des FC Bayern zu beerben: "Das will ich immer noch."
Früchtl unterschrieb bei der Austria bis 2025, der Vertrag des 36-jährigen Neuer in München läuft noch bis 2024. Ausgerechnet Neuer empfahl Früchtl übrigens den Wechsel nach Wien. "Er hat gesagt: Mach es, das ist ein Superschritt. Bislang hat er recht behalten", sagte Früchtl dem kicker. Beim FC Bayern sei Neuer sein "wichtigster Bezugspunkt" gewesen: "Ich habe mir viel von ihm abgeschaut und versucht zu lernen. Da geht es um torwartspezifische Details. An ihm ist alles Weltklasse."