"I'm gonna take my talents to South Beach."
Der 8. Juli 2010 war ein historisch bedeutender Tag in der Sportgeschichte. Ein Zeitpunkt, der zweifelsfrei vorher und nachher trennt. LeBron James saß im Boys & Girls Club in Greenwich, Connecticut. Um ihm herum zahlreiche Kameras, Zuschauer, unter die sich auch Superstars wie Kayne West mischten und ein Moderator. Die Sendung hieß The Decision und sollte Aufschluss darüber geben, für welche Franchise LeBron James künftig spielen will.
LeBron gab bekannt, die Cleveland Cavaliers zu verlassen und sich den Miami Heat anzuschließen. Er wollte mit Dwayne Wade und Chris Bosh auf Ringjagd gehen und sportlich sollte es auch eine gute Entscheidung werden, wie sich später herausstellte. Allerdings kam die Art und Weise der Verkündung einem Imagedesaster gleich. James musste sich harscher Kritik stellen, die eigenen Belange dermaßen so zur Schau zu stellen.
Selbst für NBA-Verhältnisse, wo große Show-Einlagen und Personenkult nichts Ungewöhnliches sind, war eine TV-Show zum Klubwechsel zu viel des Guten. Die NBA hatte schon immer ihre Stars und sie wusste, wie sie sie öffentlich einsetzt, um Aufmerksamkeit zu generieren. Ob es die Rivalität zwischen Larry Bird und Magic Johnson war oder später der Hype um Michael Jordan.
Aber LeBrons Entscheidung? Das war was Neues: Es war nicht mehr wichtig, welche Franchise ihn bekommt, sondern welche Entscheidung LeBron trifft.
Ibrahimovic, Messi, CR7 und Co.: Personenkult hyperventiliert
Über zehn Jahre später kann man die Geschehnisse nüchterner betrachten. Zwar hat der geläuterte LeBron seine beiden folgenden Wechsel zu den Cavs und später zu den Los Angeles Lakers mit einem handgeschriebenen Brief und dann mit einer Mail bescheidener verkündet, aber The Decision hat die Sporterzählung entscheidend verändert. Es war der Startschuss zu einer neuen Form von Sportkonsum. Weg von der Mannschaft, hin zur Person. Während die Dynamik im US-Sport früher einsetzte und heute den Weg zur Normalität gefunden hat, dauerte es in Europa noch etwas, um das Konservative aufzubrechen. Doch die neue Art der Erzählung ist angekommen.
Auch der Fußball hat ihre Figuren, die diesen Prozess in den letzten Jahren beschleunigt haben. Einer von ihnen ist Zlatan Ibrahimovic, der sich eine Persona zurechtgelegt hat und sich entsprechend in Szene zu setzt. Zlatan entwickelte eine "Not-In My-House"-Kultur. Bloß keine Schwächen zeigen. Immer der Größte sein. Ist er verletzt, ist es das Pech der Mannschaft. Verlässt er den Verein, hat nicht nur dieser, sondern die ganze Stadt - ach was! - das ganze Land verloren. Er wird auch nach Ende seiner Karriere nicht damit aufhören, weiter den Helden zu spielen. Warum keine Rolle in einem Actionfilm? Warum keine zweite Karriere als YouTube-Star oder Entertainer? Hauptsache, er ist in Szene.
Und natürlich haben auch Cristiano Ronaldo und Lionel Messi ihre Rollen. Die beiden immer noch größten Stars der Fußballwelt. Sie haben den Personenkult in den letzten Jahren hyperventiliert. Sie spielen bei Topklubs und dennoch dreht sich alles nur um Ronaldo und Messi. Sie sind ihre eigene Netflix-Serie - mit seit Jahren andauernden Episoden, die immer noch fette Einschaltquoten haben. Messi spielt dabei den netten, kleinen Jungen von nebenan, der eigentlich nur spielen will, während Ronaldo das Image des unnahbaren Weltstars hat. Natürlich sind beide, ob dieser Rollen, nicht unzufrieden. Ihre Experten haben sie so geschaffen und pflegen dieses Image seit Jahren.
Mbappe: Als Nummer zwei lässt sich keine Top-Marke entwickeln
Natürlich nimmt man es einem Messi ab, wenn er nach einer Ewigkeit beim FC Barcelona emotional angefasst ist und Tränen vergießt, wenn er den Klub verlässt. Doch er wechselt dann zu Paris Saint-Germain, in der Tradition und Emotion im Vereinswappen nicht verewigt sind. Aber wie gut die Masche läuft, zeigt die Wirkung des Wechsels. PSG werkelt seit Ankunft der Katar-Scheiche mit großen Scheinen am Image, holt Jahr für Jahr Topspieler und bezahlt extra viel, um das Image auch zu bedienen. Aber Messis Ankunft sprengte alles. Der Klub erzielte Rekordzuwächse in den sozialen Medien und ist jetzt der Klub, wo Messi spielt.
Dass man da als Mitspieler, der eigentlich auch Lust hat, eine eigene Marke zu werden, nicht im Schatten stehen will, ist verständlich. Kylian Mbappe (22) zum Beispiel. Der Franzose hat das Potenzial, die nächste Generation nach Messi -oder Ronaldo-Niveau zu prägen. Er ist gesegnet mit so vielen Talenten und einer Ausstrahlung, eine eigene Ära zu schaffen. Und natürlich hat Real Madrid unfassbare Lust darauf, diesen Glanz für sich zu nutzen, um selbst wieder einen absoluten Weltstar in den eigenen Reihen zu haben. Auch Mbappe spricht sehr offen über seinen Wunsch, eine neue Aufgabe anzunehmen.
Die Verlockung, für Real Madrid zu spielen, ist sicherlich sehr groß und muss nicht weiter erläutert werden. Doch klar ist auch, dass Mbappe den Schritt auch für die eigene Marke machen muss. Auch wenn Mbappe davon schwärmt, mit Messi in einer Mannschaft zu spielen und Dinge sagt wie: "Ich hätte nie gedacht, dass er hierherkommt. Er ist einer der wenigen Spieler, die ich in eine 'Unmöglich, dass ich mit ihm spiele'-Box gesteckt habe. Dass er Barcelona verlässt, war unvorstellbar. Ich genieße jeden Moment neben ihm." Aber als Nummer zwei lässt sich keine Top-Marke entwickeln. Mit Neymar, der sich in seiner sportlichen Rolle als Zuarbeiter für Mbappé zurechtgefunden hat und dafür auch gut bezahlt wird, ging es noch. Aber wenn Messi da ist, ist Messi da und sonst nichts.
90 Minuten Fußball sind der Generation Z zu lang
Zu Ende ist die Zeit der Galacticos, als Zinedine Zidane, Luis Figo, David Beckham, Ronaldo, und Roberto Carlos zeitgleich bei Real Madrid spielten und es für all diese Stars eine Ehre war, mit zum Ensemble zu gehören. Sie wurden zu Marken mit ihren Leistungen und sie nahmen alle ihre Rolle auf dem Platz ein, ohne sich selbst darstellen zu wollen. Sie hatten wohl auch ein anderes Publikum, das sich auf 90 Minuten Fußball konzentrieren konnte und wollte. Inzwischen belegen Studien, dass der Generation Z die Fußballspiele viel zu lange dauern. Sie begnügen sich mit viralen Highlight-Videos und ärgern sich auch nicht, wenn ihre Mannschaft verloren hat, weil sie keine mehr haben, die sie so innig verfolgen wie einst.
In einer Studie, die die DFL 2019 in Auftrag gegeben hat, heißt es wörtlich: "Gerade im Kontext von Bundesliga-Übertragungen, [...] formuliert die GenZ aber auch Ansprüche. Ganz oben auf der Prioritätenliste steht der Wunsch nach kürzeren und kurzweiligen Medienformaten. Laut der Studie verfolgen die 10- bis 22-Jährigen ein Fußballspiel seltener als ältere Generationen über die gesamte Spieldauer. [...] Damit einher geht der Wunsch nach Individualisierung der Inhalte, Highlight-Zusammenfassungen sollten auf persönliche Interessen zugeschnitten sein - zum Beispiel durch eine Schwerpunktsetzung auf Spieler mit bestimmter Nationalität oder Torwartparaden."
Ergebnisse, zu denen auch andere Topligen gekommen sind. Und so ist es auch nicht verwunderlich, wenn Real Madrid und Co. den Fußball verändern wollen (Super League!) und sich den Wünschen der neuen Generation beugen. Man wird dafür auch gut bezahlt. Als PSG den Wechsel von Messi bekanntgab, produzierte man mehrere Videoclips. Es war eine Mini-Serie mit einem triumphalen Ende. Wenn Kylian Mbappe seinen Wechsel zu Real Madrid bekannt gibt, könnte er ja mal bei LeBron nachfragen, wie man es am besten macht.