Sie waren und sind in Ländern aktiv, deren Präsidenten Erdogan und Putin gerade in Deutschland in der Kritik stehen. Wie stehen Sie dazu?
Neustädter: Viele Leute möchten mich politisch immer in eine Schublade drücken. Aber ich bin ja nicht in die Türkei gewechselt, um Erdogan zu unterstützen oder nach Russland, um für Putin zu spielen. Ich bin zu den Vereinen gewechselt und diesen beiden Klubs galt und gilt meine Aufmerksamkeit.
Sind Sie bei Dynamo Moskau zufrieden?
Neustädter: Ja, total. Der Saisonbeginn lief für uns zwar nicht so toll und wir standen an einem Spieltag sogar kurz einmal am Tabellenende. Aber mittlerweile haben wir uns auf Platz 6 hochgearbeitet. Der Verein hat wirklich einen klaren Plan, um langfristig oben in der Liga mitzuspielen. Neben Philipp wurden mit Clinton N'Jie aus Marseille und dem polnischen Nationalstürmer Sebastian Szymanski von Legia Warschau ja weitere Hochkaräter geholt.
Und im Februar dann auch noch Zeljko Buvac als Sportdirektor.
Neustädter: (lacht) Ja, das war wirklich lustig, als ich ihn auf dem Trainingsgelände wiedergesehen habe. Ich kenne ihn, seit ich sechs Jahre alt bin. Mein Vater hat mit ihm zusammen gespielt und er war in Mainz mein Co-Trainer unter Jürgen Klopp. Danach sind wir uns nur noch in der Bundesliga über den Weg gelaufen, sonst hatten wir leider keinen Kontakt. Wir haben uns erst einmal herzlich umarmt und gelacht, dass wir uns nach so vielen Jahren ausgerechnet in Moskau wiedertreffen. Diese Personalie ist ein weiterer Beweis, dass der Verein etwas erreichen will.
Roman Neustädter im Steckbrief
geboren | 18. Februar 1988 in Dnepropetrovsk |
Größe | 1,88 m |
Gewicht | 83 kg |
Position | defensives Mittelfeld, Innenverteidiger |
starker Fuß | rechts |
Stationen | Mainz 05 Jugend, 1. FSV Mainz 05, Borussia Mönchengladbach, FC Schalke 04, Fenerbahce, Dynamo Moskau |
Bundesligaspiele/-tore | 181/8 |
Neustädter über Klopp, Favre und Stevens
Was ist Ihnen von Jürgen Klopp in Erinnerung geblieben?
Neustädter: Zu Beginn waren wir ein wenig auf Konfrontationskurs. Er wollte aus mir gleich einen Innenverteidiger machen, ich lieber wie bei der U23 auf der Sechs oder Acht spielen. Zumal wir damals mit Nikolce Noveski und Bo Svensson auf der Position sehr stark besetzt waren. Da hätte ich nichts mitzureden gehabt.
Was macht Klopp aus?
Neustädter: Ich erinnere mich an die Besprechungen vor und zum Derby gegen Kaiserslautern. Die Art und Weise, wie er jeden Spieler einzeln gepackt hat, ohne sie direkt anzusprechen, war eindrucksvoll. Ich bin aus der Besprechung raus und habe in den Augen jedes Einzelnen dieses Feuer gesehen. Wir sind dann auf den Platz raus und haben für Klopp alles zerstört. Dieses Gefühl hatte ich bei keinem anderen Trainer. So war auch kein anderer Trainer.
Wie lautet sein Erfolgsrezept?
Neustädter: Klopp sieht Qualitäten in Spielern, die andere nicht sehen. Und er weiß dann wie kein anderer, das absolute Maximum aus jedem herauszuholen und dabei trotzdem eine unglaubliche Beziehung aufzubauen. Da muss man sich nur Andrew Robertson anschauen. Der kam von Hull City und ist jetzt für mich der beste Linksverteidiger der Welt. Ähnlich war es damals mit Lukasz Piszczek. Bei Hertha war er ein durchschnittlich guter Flügelspieler. Beim BVB ist er dann hinter Philipp Lahm der beste Rechtsverteidiger der Bundesliga geworden, der Stars wie Franck Ribery oder in der Champions League Cristiano Ronaldo fast immer ausgeschaltet hat.
Hätten Sie Klopp als Trainer gern ein paar Jahre später in Ihrer Karriere erlebt?
Neustädter: Oh ja, das wäre glaube ich eine bessere Konstellation gewesen. Dann hätte ich mit der Erfahrung in vielen Situation sicherlich anders oder besser reagiert.
Welcher Trainer hat Sie am meisten geprägt?
Neustädter: Das war ganz klar Lucien Favre in Gladbach. Von ihm habe ich am meisten gelernt und mein Verständnis vom Fußball erst richtig entwickelt. Zudem habe ich unter ihm den Durchbruch geschafft und bin Stammspieler in der Bundesliga geworden. Selbst als ich zu Schalke gewechselt bin, hatten wir regelmäßig Kontakt. Als ich dort das erste Mal Innenverteidiger spielte, meldete er sich und sagte mir, dass er zwar wusste, dass ich diese Position kann, aber das er gedacht hätte, dass ich da erst später in der Karriere spielen würde. Dazu hat er mit noch Tipps gegeben, wie ich in dieser oder jener Situation zu reagieren hätte. Das war eine sehr lange Nachricht. Auch jetzt telefonieren wir noch mehrmals im Jahr.
Auf Schalke hatten Sie mit Huub Stevens, Andre Breitenreiter, Jens Keller und Roberto Di Matteo gleich vier Trainer. Wer war der Beste und warum?
Neustädter: Da möchte ich bitte nicht werten. Aber das Gute war: Ich habe bei allen Trainern gespielt. (lacht) Sehr herzlich fand ich Huub Stevens, auch wenn ihn alle für einen harten Hund halten. Er hatte diese Gabe, dass man sein vollstes Vertrauen gespürt hat, ohne das er viel mit einem geredet hat. Mit ihm bin ich auch zum Nationalspieler gereift.
Neustädter über Schalke und eine mögliche Bundesliga-Rückkehr
Sie sind nach dem Abgang von Felix Magath nach Gelsenkirchen gewechselt. Hätten Sie Magath gern als Trainer erlebt?
Neustädter: Ich habe seinen Fitnesstrainer Markus Zetlmeisl in der Vorbereitung erlebt. Das hat mir gereicht, denn das waren die schlimmsten Wochen meines Lebens. (lacht) Morgens um 8 Uhr war laufen angesetzt. Ziel war Puls 170 und los. Als wir schon alle am Ende waren und nach einer Pause fragten, hieß es nur: Lauft weiter. Meine neuen Mitspieler sagten mir danach, dass das unter Magath doppelt so hart gewesen wäre.
Schaffen es die Königsblauen mit David Wagner wieder an die Spitze?
Neustädter: Ich hoffe sehr. Deshalb ärgert es mich, dass nur durch die Personalie Alexander Nübel wieder alles aus dem Gleichgewicht kommt. Man kann ihm den Schritt doch nicht vorwerfen, so eine Chance nimmt jeder wahr. Es ist auch nicht das erste Mal, dass ein Spieler, der auf Schalke den Durchbruch schafft, ablösefrei wechselt. Da gibt es mit Goretzka, Leroy Sane oder Joel Matip, der immer belächelt wurde und dann mit Liverpool die Champions League gewinnt, genügend Beispiele. Dass jetzt alles an Nübel festgemacht wird und die Fans ihn ausgepfiffen haben, ist typisch Schalke. Da wird alles, was man vorher für den Verein geleistet hat, vergessen.
Was läuft bei Schalke schief?
Neustädter: Schalke hat sich ein wenig zu einem Ausbildungsverein entwickelt. Als ich dorthin wechselte, gehörten wir mit Bayern und Dortmund zu den Top-Klubs der Liga, hatten zuvor das Halbfinale der Champions League erreicht. Das war für mich ein Wow-Effekt. Mehr war für mich kaum denkbar. Jetzt kann Schalke die Spieler einfach nicht mehr halten. Vielleicht müssen die Verantwortlichen den jungen Spielern frühzeitig mehr Vertrauen schenken und die Verträge verlängern. Sonst werden nach Nübel die nächsten Abgänge Amine Harit, Weston McKennie oder auch Jonjoe Kenny sein, wenn sie so weiterspielen. Ein Ozan Kabak sehe ich in seiner Entwicklung auch erst noch am Anfang. Die Entwicklung ist wirklich schade, denn Schalke müsste zu den Top-3 in Deutschland gehören.
Vielleicht mit einem Rückkehrer Roman Neustädter?
Neustädter: Die Bundesliga würde mich schon wieder reizen. Aber ich kann mir auch vorstellen, irgendwann wieder nach Istanbul zurückzukehren. Momentan fühle ich mich sportlich bei Dynamo Moskau sehr wohl und möchte das Projekt gern weiter mit vorantreiben. Ich lasse das alles auf mich zukommen.
Wollen Sie auch in Moskau bleiben, um die Chancen auf die Nationalelf zu erhöhen?
Neustädter: Nur weil ich bei einem russischen Klub spiele, heißt das nicht, dass ich mehr Chancen bei Nationaltrainer Tschertschessow habe. Denn bei Dynamo spiele ich wieder auf der Sechser-Position, er sieht mich eher als Innenverteidiger. Deshalb bin ich ein wenig froh, dass die EM verschoben wurde, so habe ich noch genug Zeit, mich zu empfehlen.
Wie sollten die Ligen angesichts der Coronakrise reagieren?
Neustädter: Die schlaueste Entscheidung wäre es, die Saison abzubrechen. Aber da würde es immer Härtefälle geben und man würde vielen Teams nicht gerecht werden. Deshalb denke ich, dass irgendwie weitergespielt wird. Wie es dann aber weitergeht, mit der kommenden Saison, da bin ich dann gespannt.