Als der 1. FC Saarbrücken die interessanteste Mannschaft Europas war: Aufstand des Protektorats

Glorreiche Zeiten: Der 1. FC Saarbrücken ist mit Herbert Binkert (m.) in den 1950er Jahren ein echtes Spitzenteam und Favoritenschreck.
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Saarländische Nationalmannschaft: Verhinderte Weltmeister

Unwirklich erscheint angesichts der Viertklassigkeit des Klubs heutzutage auch das Urteil des damaligen FIFA-Präsidenten Jules Rimet, der Saarbrücken nach dem Triumph in Madrid als "interessanteste Fußball-Mannschaft Europas" bezeichnete. Damals "waren wir in aller Munde", betonte Binkert.

Und nicht nur das: Gemeinsam mit neun anderen Spielern, darunter Stürmer Herbert Martin, Kurt Clemens und Waldemar "Fips" Philippi, stellte Saarbrücken ab 1950 mit der Aufnahme des saarländischen Fußballbundes in die FIFA auch das Gros der saarländischen Nationalmannschaft. Viele von ihnen standen mit guten Beurteilungen im legendären Notizbuch von Bundestrainer Sepp Herberger für die Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz, doch die Zeit war dagegen.

"Die Vorstellung ist schon schön, dass ich 1954 in der Weltmeisterelf hätte stehen können. Aber die Politik ist eben erbarmungslos", sagte Martin einmal. Besonders er, der nach der Wiederaufnahme Saarbrückens in den deutschen Ligabetrieb ab der Saison 1951/52 die Oberliga Südwest zusammenschoss, und Philippi galten damals als Topspieler.

Vor dem beinharten Verteidiger Philippi hatte sogar der große, aber sensible Fritz Walter Angst. "Bei Fips dreht sich mir der Magen um", hatte Walter gesagt. Mit dem 1. FC Kaiserslautern spielte der BRD-Kapitän regelmäßig in der Südwest-Klasse gegen Saarbrücken und Philippi. Einmal, so erzähltes es Walters Mannschaftskamerad Horst Eckel, zog sich Walter sein Trikot erst an, als herausgekommen war, dass "Fips" verletzt ausfallen würde.

Die saarländische Nationalmannschaft vor dem WM-Qualifkationsspiel gegen Norwegen.
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Die saarländische Nationalmannschaft vor dem WM-Qualifkationsspiel gegen Norwegen.

Saarland in der WM-Quali: "Haben einen mit denen getrunken"

1953 und 1954 trafen das Saarland und die spätere Weltmeister-Elf von Bern sogar im Rahmen der WM-Qualifikation aufeinander. Es waren politisch und sportlich höchstbrisante Duelle. Mit einem Sieg im Rückspiel am 28. März 1954 hätte das Saarland sogar ein Entscheidungsspiel erzwingen können.

Beide Male zog die vom späteren Herberger-Nachfolger Helmut Schön trainierte Auswahl - wenn auch unglücklich und den Ergebnissen nicht gänzlich angemessen - den Kürzeren (0:3, 1:3). "Ich weiß noch heute, dass ich nach beiden Niederlagen nicht richtig unglücklich war. Ich fühlte mich als Deutscher und wollte der Elf, in der ich als kleiner Bub immer spielen wollte, nicht den Weg in die Schweiz verbauen", sagte Kurt Clemens: "Wir hätten bei der WM ohnehin keine Chance gehabt."

Er und die anderen Saarbrücker waren im Sommer 1954 dennoch auf Einladung des eigenen Verbandes im Berner Wankdorfstadion anwesend, als Deutschland sensationell zum ersten Mal Weltmeister wurde. "Wir haben die deutsche Mannschaft angefeuert und den Sieg bejubelt", erzählte Binkert. Am Tag nach dem Finale habe man "den Kameraden gratuliert und einen mit denen getrunken".

Abschlusstabelle der WM-Qualifkation von 1954

PlatzMannschaftSpieleSiegeUnentschiedenNiederlagenToreDiff.Punkte
1BR Deutschland431012:3+97:1
2Saarland41124:8-43:5
3Norwegen40224:9-52:6

Saarbrücken schlägt Milan: Die verschworene Gemeinschaft

Ein Jahr später schlug jedoch die große Stunde für Clemens, "Fips", Binkert, Martin und Co. Als Repräsentant des französischen Protektorats durfte der 1. FC Saarbrücken am ersten Europapokal der Landesmeister teilnehmen. Im Achtelfinale traf Saarbrücken auf den AC Mailand, damals als Grande Milan bekannt und gefürchtet.

"Die hatten diesen fantastischen schwedischen Angriff mit Gunnar Nordahl und Nils Liedholm. Der beste Sturm Europas", erklärte Binkert das damalige Kräfteverhältnis. Dazu gesellten sich noch Gunnar Gren, der das gefürchtete schwedische Rossoneri-Trio zum klangvollen wie noch heute bekannten Akronym "Gre-No-Li" komplettierte, und Weltmeister Pepe Schiaffino.

Obwohl Saarbrücken "eine gute Truppe" war, wie es Werner Otto formulierte, war sich Milan seiner Sache sicher und Saarbrücken für den amtierenden italienischen Meister nur eine lästige Pflichtaufgabe auf dem Weg zum Titel. So wurde im Hinspiel am 1. November 1955 vor einer "Geisterkulisse" von nur 18.000 Zuschauern im riesigen San Siro unter anderem Starstürmer Nordholm geschont. Doch das hatte zunächst keine Auswirkungen. Milan spielte seinen Stiefel runter und führte bis zur 37. Minute nach anfänglichem Rückstand mit 3:1.

Kurz vor der Pause verkürzte Philippi auf 2:3. Ein Tor, das Saarbrücken neuen Mut schenkte. "Wir waren eine verschworene Gemeinschaft", betonte Otto, der für den verletzt in Saarbrücken weilenden Binkert spielte. Und der verschworene Haufen aus dem Saarland machte nach der Pause ernst. Milan verfiel in eine spielerische Lethargie, wollte nur noch das Ergebnis verwalten und Saarbrücken gelang nach Toren von Karl Schirra (67.) und Martin (69.) die sensationelle Wende.

Binkert, der von dem Sieg erst durch einen Anruf von Trainer Tauchert nach dem Spiel erfahren hatte: "Ich konnte es natürlich kaum glauben, war außer mir vor Freude. 4:3 in Mailand!

1. FC Saarbrücken im Europapokal: Reise ohne Wiederkehr

Drei Wochen später stand Binkert im Rückspiel 90 Minuten auf dem Platz und erlebte eine andere Milan-Mannschaft als noch im Hinspiel.

"Die Mailänder machten nicht mehr den Fehler, uns zu unterschätzen. Sie entfachten einen wahnsinnigen Druck. Nach dem 0:1 kamen wir trotzdem durch ein Tor von mir zurück. Doch wir waren in der zweiten Hälfte stehend K.o.", erzählte er: "Auch wenn wir während dieser Zeit einen sagenhaft guten Fußball spielten, muss ich gestehen: der AC Mailand war im Rückspiel spielerisch einfach stärker."

Für Saarbrücken war der historische Ausflug in den Europapokal anno 1955 eine Reise ohne Wiederkehr. Bis heute ist das 1:4 gegen Milan im Rückspiel das letzte Europapokalspiel der Vereinsgeschichte. Die Mailänder scheiterten nach der Hürde Saarbrücken erst im Halbfinale und das denkbar knapp am späteren Sieger Real Madrid.

Die Königlichen hatten nach der Schlappe gegen Saarbrücken 1951 noch einmal kräftig nachgerüstet und mit dem Transfer von Alfredo Di Stefano die Weichen für die erfolgreichste Ära der Klubgeschichte gestellt.

Eine Mannschaft voller Weltstars und Profis: Grande AC Milan von 1954/55.
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Eine Mannschaft voller Weltstars und Profis: Grande AC Milan von 1954/55.

1. FC Saarbrücken jagt 2020 den Glanz vergangener Tage

Und während die Königlichen (13) und auch Milan (7) mittlerweile insgesamt 20 Landesmeister- oder Champions-League-Titel vereinen, war das Gründungsmitglied der Bundesliga Saarbrücken lange Zeit aus dem Profifußball verschwunden. 2008 folgte sogar der Sturz in die Oberliga. Nur ein paar Mal noch machte der Verein sportlich auf sich aufmerksam.

Nach dem Anschluss des Saarlandes an die Bundesrepublik in Folge einer Volksbefragung am 1. Januar 1957 stand Saarbrücken im gleichen Jahr, ein Jahr später und noch einmal 1985 im Halbfinale des DFB-Pokals. Eine andere Sternstunde erlebte der Klub im April 1977, als Saarbrücken als Aufsteiger den großen, wenn auch sportlich in der Zeit eher unerfolgreichen FC Bayern München mit 6:1 zerlegte.

In der Saison 2019/20 jagte der Klub jedoch dem Glanz vergangener Tage mehr als erfolgreich hinterher. In der Regionalliga Südwest war Saarbrücken vor der Corona-bedingten Zwangspause mit sechs Punkten Vorsprung Spitzenreiter. Ende Mai folgte der Saisonabbruch, in dessen Folge Saarbrücken zum Meister und Aufsteiger in die 3. Liga gekürt wurde.

Die Feierlichkeiten mussten jedoch noch ein wenig warten. "Wir haben als Mannschaft gesagt, dass wir erst richtig feiern werden, wenn der DFB-Pokal gespielt ist", sagte etwa Stürmer Sebastian Jacob. Dort wartete bei der vierten Halbfinalteilnahme der Vereinsgeschichte der Champions-League-Aspirant Bayer Leverkusen.

Gesichter einer neuen königlichen Ära: Real Madrids Präsident Santiago Bernabeu und Superstar Alfredo Di Stefano.
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Gesichter einer neuen königlichen Ära: Real Madrids Präsident Santiago Bernabeu und Superstar Alfredo Di Stefano.

Die Sensation blieb am Ende aus, der Finaleinzug nach der 0:3-Niederlage nur ein Traum. Doch das war nicht weiter schlimm für die Saarländer. Denn zum einen polierte das Vordringen unter die letzten vier Mannschaften die Finanzen des Mitte der 1990er Jahre noch insolvent gegangenen Klubs auf. Zum anderen wird die Mannschaft aktuell einer Behauptung des Anfang 2020 verstorbenen Binkert gerecht. Der sagte 2013: "Der 1. FC Saarbrücken hat jedenfalls immer noch einen guten Namen."

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