Finnlands erstmalige Qualifikation für ein Großturnier: Sie vergaßen sogar, dass sie Finnen sind

Kapitän Tim Sparv feiert mit den finnischen Fans die erstmalige Qualifikation für ein Großturnier.
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Finnland hat sich für die EM 2020 und somit erstmals für ein Großturnier qualifiziert. Es ist die vorläufige Krönung einer Entwicklung, die im Dezember 2016 ihren Anfang genommen und eine nie dagewesene Fußball-Euphorie im Land ausgelöst hat. SPOX und Goal sprachen vor dem abschließenden EM-Qualifikationsspiel am Montag in Griechenland (20.45 live auf DAZN) mit Kapitän Tim Sparv.

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Am Freitagabend vergaßen die Finnen sogar, dass sie Finnen sind. So sehr hat sie der 3:0-Sieg gegen Liechtenstein und die damit einhergehende erstmalige Qualifikation ihrer Nationalmannschaft für ein Großturnier überwältigt.

"Normalerweise sind wir Finnen introvertiert, zurückhaltend und können unsere Emotionen nicht gut zeigen", sagt der 32-jährige Sparv, der beim dänischen Erstligisten FC Midtjylland spielt. "Umso interessanter war es, was nach dem Abpfiff passiert ist: Die Fans sind auf den Platz gestürmt, dutzende haben mich umarmt, geküsst und mir gesagt, wie sehr sie mich lieben." Der Finne wusste einfach nicht, wohin mit seinen Gefühlen und das ist nicht oft der Fall.

"Der Traum von Generationen ist wahr geworden", schrieb der nationale Fußballverband auf seiner Twitter-Seite. Im Vorfeld der WM 1938 hat Finnland erstmals an einer Qualifikation teilgenommen - und war seitdem über 30 Mal gescheitert. Mit Ajax-Legende Jari Litmanen genau wie mit Liverpool-Legende Sami Hyypiä, den beiden wohl bekanntesten Spielern der finnischen Fußballgeschichte. Alles vergessen! Der 3:0-Sieg gegen Liechtenstein beendete die Turniersperre.

Tim Sparv: "Es ist viel größer als Fußball"

"Ich war noch nie so aufgeregt wie vor diesem Spiel", sagte der immerhin schon 29 Jahre alte Stürmer Teemu Pukki, der letztlich mit zwei Treffern zum Sieggaranten wurde. Umso größer war die Erlösung danach. "Nach der Feier mit den Fans auf dem Platz waren wir eine halbe Stunde in der Sauna, haben Bier getrunken und Lieder gesungen. Dann waren wir mit unseren Familien essen und anschließend in einem Club in Helsinki, wo wir die restliche Nacht durchgefeiert haben", sagt Sparv. Auf den Straßen herrschte unterdessen Volksfeststimmung.

"Ich habe noch nichts erlebt, was damit nur annähernd zu vergleichen ist. Es geht nicht nur um Fußball, es ist viel größer als das. Es hat sich angefühlt, als ginge es um das ganze Land", sagt Sparv.

Finnlands Erfolgslauf begann 2018

Für die finnische Nationalmannschaft ist die EM-Qualifikation die vorläufige Krönung einer Entwicklung, die im Dezember 2016 ihren Anfang genommen hat. Unter Nationaltrainer Hans Backe hatte Finnland zuvor seit über einem Jahr kein Spiel gewonnen: vier Remis, neun Niederlagen und dabei lediglich sechs erzielte Tore. Backe wurde durch dessen vormaligen Co-Trainer Markku Kanerva ersetzt und es ging aufwärts.

Anfang Januar 2017 gewann Finnland mal wieder ein Fußballspiel, scheiterte in der folgenden WM-Qualifikation aber deutlich. 2018 begann schließlich der Erfolgslauf, der im Sieg der Nations-League-Gruppe, dem damit einhergehenden Aufstieg in die zweite Liga und letztlich der EM-Qualifikation resultierte. Im Eishockey-Land Finnland brach unter Trainer Kanerva eine nie dagewesene Fußball-Euphorie aus.

"Das Trainerteam hat ein gutes Arbeitsklima geschaffen. Wir dürfen auf dem Platz ins Risiko gehen, ohne Angst haben zu müssen, angeschrien zu werden", erklärt Sparv. Das Vertrauen zwischen den Spielern und dem 55-jährigen ehemaligen Lehrer Kanerva ist groß, viele kennen ihn schon seit seiner Tätigkeit als U21-Nationaltrainer. "Er hört auf uns Spieler, will unseren Input und unser Feedback. So können wir mitbestimmen, wie wir spielen", sagt Sparv. "Das fühlt sich gut an."

"Er hört auf uns Spieler, will unseren Input und unser Feedback": Das Vertrauensverhältnis zwischen Nationaltrainer Markku Kanerva und seinen Spielern ist groß.
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"Er hört auf uns Spieler, will unseren Input und unser Feedback": Das Vertrauensverhältnis zwischen Nationaltrainer Markku Kanerva und seinen Spielern ist groß.

Kaum Gegentore und vorne Teemu Pukki

Und das sieht auch gut aus. Denn wie die finnischen Fans nach der Qualifikation vergaßen, dass sie Finnen sind, vergaßen die finnischen Fußballer zuvor, dass sie eigentlich finnisch spielen. "Unsere Spielweise hat einige untypische Eigenschaften für eine Mannschaft aus unserem Land", sagt Sparv. "Wir verteidigen zwar um unser Leben, fühlen uns aber auch im Ballbesitz wohl. Wir bauen das Spiel ruhig von hinten auf, statt die Bälle vorzudreschen und haben dafür auch die nötigen, technisch beschlagenen Spieler." Etwa den 24-jährigen Glenn Kamara von den Glasgow Rangers, der mit Sparv im 4-4-2 die Doppelsechs bildet, oder den 26-jährigen rechten Mittelfeldspieler Robin Lod vom MLS-Klub Minnesota United.

Die Führungsspieler der Mannschaft sind neben Kapitän Sparv der ehemalige Schalker Pukki von Norwich City, der im Laufe der Qualifikation neun der 15 finnischen Tore schoss, sowie das Defensivtrio: Keeper Lukas Hradecky von Bayer Leverkusen und die beiden langjährigen Innenverteidiger Paulus Arajuuri (31, vom zypriotischen Erstligisten FC Pafos) und Joona Toivio (31, vom schwedischen Erstligisten BK Häcken). Bei allen sechs Siegen in der EM-Qualifikation stand die Null.

Am Montag steigt in Athen das nun unbedeutende letzte Qualifikationsspiel gegen Griechenland. "Am Dienstag reisen wir dann zurück nach Helsinki, wo am Abend eine große Parade mit den Fans steigen wird", sagt Sparv. Ein wunderbarer Anlass für die finnischen Fans, nochmal zu vergessen, dass sie eigentlich Finnen sind.

Finnlands Weg zur EM-Qualifikation

GegnerOrtErgebnis
ItalienA0:2
ArmenienA2:0
Bosnien-HerzegowinaH2:0
LiechtensteinA2:0
GriechenlandH1:0
ItalienH1:2
Bosnien-HerzegowinaA1:4
ArmenienH3:0
LiechtensteinH3:0
GriechenlandAMontag, 20.45
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