Im Gespräch mit SPOX und Goal äußert sich Cardoso zu den Gewaltexzessen vom vergangenen Samstag in Buenos Aires, der darauffolgenden Absage des Rückspiels zwischen River Plate und den Boca Juniors im Finale der Copa Libertadores und erklärt, warum eine Neuansetzung der Partie auf argentinischem Boden keinen Sinn macht.
SPOX/Goal: Herr Cardoso, sie sagten einmal, dass Buenos Aires die Welthaupstadt des Fußballs sei. Am Samstag schaute tatsächlich die ganze Welt auf die Stadt und sah erschreckende Szenen von Boca-Spielern, die von Fans auf dem Weg zum Finalrückspiel angegriffen wurden. Wie haben Sie das alles wahrgenommen?
Rodolfo Esteban Cardoso: Das ist eine Schande für die ganze Fußballwelt. Normalerweise muss das Spiel eine große Feier sein und es endet in einem Drama. Was da abgelaufen ist, was ich in den letzten Tagen gesehen habe, das ist kein gutes Signal an die ganze Welt. Es sollte ein richtig schönes Finale sein, ein tolles Spiel und jetzt ist die ganze Sache in Gefahr und fraglich, dass es überhaupt stattfindet. Das ist eine Katastrophe.
SPOX/Goal: Wie sehr hat Sie das auch persönlich als ehemaliger Spieler der Boca Juniors mitgenommen?
Cardoso: Das macht mich traurig. Das ist nicht der Fußball, den wir in Argentinien wollen. Einem Land, in dem wir so fußballbegeistert sind. Ich weiß selbst, dass es nicht so einfach ist, dort Fußball zu spielen, weil die Hooligans hier das ganze Land beherrschen wollen. Aber dass es so weit kommen konnte, wie am Samstag, hätte ich nicht für möglich gehalten.
SPOX/Goal: Nun gibt es Überlegungen, das Spiel zwar nachzuholen, jedoch nicht in Argentinien auszutragen, sondern in einem anderen Land.
Cardoso: So wie sich die Fans in Argentinien präsentiert haben, haben wir es nicht verdient, so ein Finale in unserem Land auszutragen. Ich spreche hier nicht von allen Fans. Beim Hinspiel ist zum Beispiel nichts passiert. Klar haben auch die Boca-Fans dort provoziert und auf den Gegner geschimpft, aber Randale gab es nicht.
Cardoso: Superclasico-Verlierer? "Das sind vor allem die Fans"
SPOX/Goal: Der Verlierer der Ereignisse vom Samstag ist also der argentinische Fußball.
Cardoso: Das sind vor allem die Fans, die tausend Kilometer gereist sind, um das Spiel zu sehen und ein Spektakel erwartet haben. Das sind am Ende die Verlierer. In einer anderen Dimension ist aber auch die Sicherheit jetzt wieder ein großes Thema. Die kriegen es nicht hin, einen Bus zum Stadion zu geleiten. Da frage ich mich auch, was da los gewesen ist.
SPOX/Goal: Sie haben Ende der Neunziger in Argentinien für Boca, aber auch für Estudiantes de La Plata gespielt. Haben Sie dort ähnliches als Spieler erlebt, was die Gewaltexzesse und den Hass zwischen rivalisierenden Fanlagern angeht?
Cardoso: Bei Boca nicht, aber beispielsweise bei Estudiantes. Die Fans drehen manchmal einfach durch und kennen keine Grenzen. Wenn es mal nicht so gut läuft, werden die Spieler sofort unter Druck gesetzt. Was die Fans betrifft, ist das hier eine andere Nummer als in Europa. Wenn du als Spieler von Argentinien nach Spanien, Deutschland oder Italien gehst, fühlst du keinen Druck, weil das einmalig ist, was du mit den Fans hier manchmal erlebst. Ich hatte auch schon ein paar Erlebnisse hier, wo man es als Spieler mit der Angst zu tun bekam.
SPOX/Goal: Erzählen Sie.
Cardoso: Wir hatten mit Estudiantes einmal einen schlechten Lauf und haben ein paar Spiele in Folge verloren. Da sind dann ein paar Jungs ins Training reinmarschiert und haben uns mit Pistolen bedroht und gesagt, dass wir jetzt gewinnen müssen. Nach einem Spiel mussten wir beispielsweise mit Polizeischutz die Kabinen verlassen.
SPOX/Goal: Wie geht man mit einer so bedrohlichen Situation um?
Cardoso: Meistens heißt es dann: "Weitermachen, weitermachen, weitermachen." Aber irgendwann muss auch Schluss sein und diese Leute zur Verantwortung gezogen werden. Es gab mal einen Vorfall, als wir unseren Trainer auf dem Weg von der Kabine zum Mannschaftsbus schützen mussten. Die Polizei war zwar auch da, nur nicht genug. Also mussten wir als Mannschaft unseren Trainer schützen.
SPOX/Goal: Wenn wir die hässlichen Szenen rund um das Spiel am Samstag mal kurz ausblenden, ist es doch eigentlich das Größte für einen argentinischen Fußballspieler, einmal bei einem Superclasico auf dem Platz zustehen. Sie haben Ihre einzige Möglichkeit in Ihrem Jahr bei Boca auf kuriose Art und Weise verpasst.
Cardoso: Das hätte für mich eine sehr schöne Erinnernung werden können, weil wir auch noch zu Hause gegen River gespielt hätten. Aber ich war leider bei der Nationalmannschaft von Argentinien. Das war sehr schade. Daran sieht man auch, dass die Organisation hierzulande ein Chaos und noch weit weg von Europa ist. Parallel zum Finale der Copa lief beispielsweise auch die argentinische Meisterschaft weiter.
Cardoso: "Geht es nach den Regeln, muss River disqualifiziert werden"
SPOX/Goal: Es gibt jetzt drei Szenarien, wie es nach der Spielabsage vom Wochenende in der Copa Libertadores weitergehen kann. Entweder Boca gewinnt am grünen Tisch, das Spiel wird auf neutralem Boden ausgetragen, oder es wird neu angesetzt und im Monumental bei River ausgetragen. Welche Möglichkeit müsste es in Ihren Augen sein?
Cardoso: Für die Zuschauer wäre es natürlich schön, wenn das Spiel stattfindet. Aber ich glaube nicht, dass das in Argentinien oder sogar bei River möglich ist. Bei allem, was jetzt passiert ist, spielt man als Boca-Spieler dann natürlich mit ganz anderen Gedanken und mit der Angst, dass ständig etwas passieren kann. Wenn Boca dann tatsächlich nochmal zu River ins Stadion muss, kann ich mir nicht vorstellen, dass das Spiel zu Ende gespielt wird. Wenn es nach den Regeln des Verbandes geht, muss Boca normalerweise gewinnen und River disqualifiziert werden. Das gab es ja schon mal 2015 im Achtelfinale der Copa Libertadores. Das war eine ähnliche Situation, als Boca-Fans damals River-Spieler mit Pfefferspray attackiert haben. Damals ist River weitergekommen.
SPOX/Goal: Eine andere Stadt als Austragungsort käme für Sie auch nicht in Frage?
Cardoso: Das wäre egal. Die Fans würden überall Ärger machen. Vielleicht täusche ich mich ja, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das Spiel in Argentinien stattfinden kann.