Die erfolgreichsten Mannschaften der vergangenen Jahre - Welt- und Europameister Spanien, Pep Guardiolas Barcelona, aber auch Borussia Dortmund unter Jürgen Klopp - reüssierten alle mit bahnbrechend wirkenden Innovationen, die Maßstäbe setzten und zur neuen Normalität wurden, weil die Konkurrenz dieser Brillanz sofort nacheiferte.
Auch das majestätische "Tiki-Taka" von Barcelona und Spanien, ein Kombinationsfußball, der Ballbesitz zum höchsten Gut erklärt, wurzelt in erster Linie in dem Eingeständnis eines Defizits.
"Wir merkten irgendwann, dass wir mit unseren Spielertypen nicht mit der Wucht und Dynamik der Engländer, Franzosen oder Deutschen mithalten können", erinnert sich Journalist und Autor Guillem Balagué ("Pep Guardiola", "Messi"). "Also mussten wir einen anderen Weg gehen. Die Idee war, Gegner und Spiel mit Hilfe des Balls zu kontrollieren."
Nahe an der Perfektion
Die Perfektion, die beide Mannschaften darin erreichten, machte es den minderbegabten Gegnern sogar unmöglich, über Härte ins Spiel zu finden - der Ball war immer schon wieder weg, bevor man zu einer Grätsche ansetzen konnte. "Und wenn wir doch mal im Ball Ballbesitz waren, waren wir zu kaputt und müde, um umzuschalten", sagte Miroslav Klose nach Deutschlands 0:1 gegen die Spanier im WM-Halbfinale von 2010.
Tiki-Taka hat als Gegengift extremen Defensivfußball nach sich gezogen; unter anderem haben der FC Chelsea und José Mourinhos Inter Mailand das "Anmischen von Beton" in der eigenen Hälfte, die in den dreißiger Jahren vom gebürtigen Österreicher Karl Rappan erfundene Zerstörertaktik, wieder salonfähig gemacht.
Umso wichtiger wird es für Mannschaften der "spanischen Schule" - zu der seit vergangenem Sommer auch der FC Bayern mit Guardiola auf der Trainerbank gehört -, Offensivspieler in ihren Reihen zu haben, die in Einzelaktionen den Sperrriegel überwinden können.
Taktik-Experte Jonathan Wilson ist der Meinung, dass die Zeit der Revolutionen auf dem Rasen vorbei sei und sich das Fußballspiel in seinen grundsätzlichen Abläufen insgesamt nur langsam verändern werde. Es wird die komplizierteste aller Mannschaftssportarten bleiben, weil die relative Seltenheit der Tore einen Großteil der Bemühungen vergebens macht.
"Die Wahrheit auf dem Platz"
Chris Anderson und David Sally, zwei US‑amerikanische Wirtschaftsprofessoren, haben in ihrem Buch "Die Wahrheit liegt auf dem Platz" (Rowohlt) überzeugend dargelegt, dass die Hälfte aller Treffer mehr oder minder zufällig erfolgt. "Wir müssen akzeptieren, dass die Hälfte dessen, was auf dem Platz geschieht, nicht in unserer Hand liegt", schreiben sie. Fußball ist, zumindest statistisch gesehen, ein Glücksspiel und "ein Sport der glorreichen Ineffizienz".
Das heißt jedoch nicht, dass man nicht alles versuchen sollte, um gegen den Faktor Glück anzukämpfen. Es wird Verbesserungen bei der medizinischen und mentalen Betreuung der Spieler geben, hier hat der Fußball im Vergleich mit den US-amerikanischen Sportarten großen Nachholbedarf.
Top-Teams setzen Trend
Wer eine Vorstellung davon haben will, wie der Fußball im Jahre 2050 aussehen wird, muss sich die führenden Teams der Gegenwart anschauen. Die Spieler werden noch athletischer sein und mit dem Ball noch gepflegter umgehen können, gleichzeitig werden es aber auch die Underdogs besser verstehen, Qualitätsunterschiede durch effizienteres taktisches Verhalten infolge profunderer Schulung wettzumachen.
Die einzigartige Stellung des Fußballs - in keinem anderen Mannschaftssport gewinnt der Außenseiter statistisch gesehen häufiger - wird also bestehen bleiben. Und damit auch jene Unwägbarkeit, die nicht zuletzt den Reiz dieses Sports ausmacht.
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