Im Schicksal vereint

Von Stefan Rommel
So ein Tag... Thomas Hitzlsperger und Timo Hildebrand holten mit dem VfB Stuttgart 2007 den Titel
© Imago

Sie waren Nationalspieler und gemeinsam deutscher Meister. Heute sind Thomas Hitzlsperger und Timo Hildebrand ohne Arbeit. Wie konnte es so weit kommen? Eine Geschichte voller Missverständnisse, Pech und geplatzter Träume.

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Der geplante Neuanfang endete in einem persönlichen Drama. Thomas Hitzlsperger führte die deutsche Nationalmannschaft im Parken-Stadion in Kopenhagen als Kapitän aufs Feld.

Das bunte Treiben dieser Mannschaft bei der WM in Südafrika war gerade erst vier Wochen her, Hitzlsperger hatte deren Auftritte nicht auf dem Rasen mitbestimmt, sondern zu Hause in Forstinning bei München vom TV-Gerät aus verfolgt.

Kapitän - und Sehnenriss

Bundestrainer Joachim Löw hatte für diesen Un-Termin mittendrin in den ersten Wochen der neuen Saison die Horde der Stammspieler zu Hause bei ihren Vereinen gelassen, stattdessen seine Reserve mitgenommen.

Für Hitz machte das keinen Unterschied. Als Kapitän für einen Tag spielte er befreit auf und in Ansätzen auch wieder so präzise, wie man ihn aus seinen besseren Zeiten kannte. Dann spürte er ein Stechen im Oberschenkel.

Der Verdacht eines Muskelfaserrisses und ein paar Wochen Pause bestätigte sich nicht - es wurden mehrere Monate daraus, weil eine Sehne im Hüftbeuger gerissen war.

Absturz vor der Bergtour

Timo Hildebrand war auch einmal Bestandteil dieser deutschen Nationalmannschaft. Eigentlich ist das gar nicht so lange her. Als dritter Torhüter der WM 2006 galt er als Kronprinz der beiden Fachkräfte Lehmann und Kahn.

Der 16. Mai 2008 bringt sein bis dato noch relativ geordnetes sportliches Leben komplett durcheinander. Hildebrand hat keine besonders glückliche Premieren-Saison beim FC Valencia hinter sich, streng genommen hat er für seine Verhältnisse zwölf Monate quasi verschenkt.

Und trotzdem - oder gerade deshalb - freut er sich auf die anstehende Europameisterschaft. Der DFB hat die komplette Mission auf den Codenamen Bergtour getauft, auf der Zugspitze soll mit der Kadernominierung sinnigerweise ihr Auftakt feierlich begangen werden.

Nichtnominierung als Tiefpunkt

Hildebrand prangt schon Wochen davor als einer der Bergbezwinger von Werbeplakaten, neben Kapitän Ballack und Teamchef Löw.

Als die Öffentlichkeit auf der Präsentation erfährt, dass neben Lehmann auch Robert Enke und Rene Adler mit zur EM dürfen, ist für Hildebrand längst die Welt eingebrochen.

Am Abend davor hatte ihm Bundestorwarttrainer Andy Köpke die Nachricht übermittelt. Ein letzter Tiefschlag, von dem sich Hildebrand so schnell nicht mehr erholen sollte.

"Diese Sache hat mich noch lange Zeit beschäftigt und aufgewühlt", sagte er jüngst in einem sehr offenen Interview mit der "Sport-Bild".

"Ich konnte mich nach der EM auf meine Aufgaben in Valencia nicht mehr konzentrieren. Diese Nichtnominierung war permanent in mir drin", so Hildebrand.

Kaum Training, nur warten

Ein Jahr zuvor erlebte Hildebrand zusammen mit seinem Kumpel Hitzlsperger noch seinen größten Erfolg. Mit dem VfB Stuttgart wurden beide völlig überraschend deutscher Meister.

Hildebrand als Rückhalt im Tor, mit 37 Gegentreffern der zweitbeste Keeper der Saison. Und Hitzlsperger als dominierende Figur im Mittelfeld, mit vier Assists und sieben Treffern. Darunter auch der Hammer gegen Energie Cottbus am letzten Spieltag, der den VfB auf den richtigen Weg brachte.

Vier Jahre später ist es ruhig geworden um die beiden. Während sich tausende ihrer Berufskollegen in die Vorbereitungsphase stürzen, sich im Kollektiv schinden und mit kindlicher Vorfreude auf den Spielplan der kommenden Saison blicken, starren Hildebrand und Hitzlsperger neben den Einzeleinheiten, die sie fit machen sollen für den Tag X, verstärkt auf ihre Handys.

Abstieg mit West Ham

Seit dem 1. Juli sind beide offiziell arbeitslos, zwei einst große Karrieren drohen in einer Sackgasse zu enden. Hildebrand war zehn Monate lang bei Sporting Lissabon nur auf der Bank gesessen, ganz weit draußen, als Torhüter Nummer drei bei einem mittelprächtigen europäischen Klub.

Hitzlsperger hat nach seiner Verletzung immerhin den Anschluss geschafft und auch ein paar Spiele bestritten. Den Abstieg von West Ham United konnte aber auch er nicht verhindern. Also hat er seinen Vertrag bei den Hammers wieder aufgelöst.

In der Gewissheit, zu gut zu sein für die zweite Spielklasse in England und sicher auch im festen Glauben daran, dass sich schon bald ein neuer Arbeitgeber finden würde. "Ich habe mir nie eingebildet, dass mir so etwas nicht passieren kann", ordnet Hitzlsperger seine Situation gewohnt sachlich ein.

Missverständnis Lazio Rom

Man glaubt ihm das gerne, diesem Musterschüler, dem die Karriere nicht wie vielen anderen einfach in den Schoss gefallen ist, sondern der sich alles Schritt für Schritt erarbeiten musste und der wohl auch deshalb in den glückseligen Stunden nie abgehoben oder überdreht wirkte, sondern einfach nur der Thomas aus Forstinning geblieben ist.

Und trotzdem muss auch er sich, wie der Ex-Kollege Hildebrand, fragen, wie das alles kommen konnte.

Beim VfB hatte Hitzlsperger einen unrühmlichen Abschied, der Klub geleitete ihn durch die Hintertür hinaus, als beiden Seiten klar wurde, dass der damals neue Trainer Christian Gross ihn nicht mehr gebrauchen würde.

"Zumindest nicht in dem Umfang, in dem ich es wollte", wie Hitzlsperger sagt.

Nie mehr Italien, nie mehr Serie A

Hitzlsperger hatte schon eine allenfalls durchwachsene Vorrunde gespielt, als Bankdrücker eines Abstiegskandidaten fürchtete er um seine Teilnahme bei der anstehenden Weltmeisterschaft - und beging einen folgenschweren Fehler. Den einzigen bisher, dem man ihm vorbehaltlos ankreiden kann: Er ließ sich auf das Abenteuer Lazio Rom ein.

"Ich brauchte einen Klub, bei dem ich regelmäßig spielte, ich wollte ja zur WM", sagt er im Rückblick. Nach nur drei Wochen war der Trainer weg, der ihn geholt hatte. Am Ende spielte er in vier Monaten nur sechs Partien. "Die letzten anderthalb Jahre sind nicht gerade rund gelaufen", sagt er rückblickend.

"Die Attraktivität dieser Liga ist nicht mehr so hoch, wie sie früher mal war, die Atmosphäre in den Stadien ist manchmal feindselig", sagt Hitzlsperger. "Ich habe gelernt, dass ich in Italien nicht noch mal spielen möchte."

Hilde stand sich selbst im Weg

Timo Hildebrand hat ähnliches erlebt, vielleicht noch einen Tick schlimmer. In Valencia wurde er zeitweise gemobbt von den spanischen Kollegen, die vielmehr Kontrahenten waren als Mitspieler.

Die Flucht nach Hoffenheim sollte zur großen Rehabilitierung beitragen. Da stand sich der 32-Jährige aber zu oft selbst im Weg: "Ich habe oft den Ton in Hoffenheim nicht getroffen, meine wohl richtigen Ansichten falsch rüber gebracht."

Letzten Sommer war das Kapitel wieder beendet, noch ehe es richtig Fahrt aufgenommen hatte. "Das war ein großer Rückschlag in meiner Karriere. Ich hatte gehofft, dass meine Karriere in ein ruhiges Fahrwasser kommt."

Stattdessen war er ab dem 1. Juli offiziell arbeitslos. Ein 31-Jähriger, in der Blüte seines Schaffens. Sporting Lissabon suchte noch einen Torhüter. Allerdings nur als Ersatz für den Ersatz, wie sich schnell herausstellen sollte.

"Anderen Menschen zu sehr vertraut"

Bei den meisten Spielen schaffte es Hildebrand erst gar nicht auf die Ersatzbank, starrte stattdessen die Wände in seiner unmöblierten Wohnung an. Sporting als Zwischenstation, zum Warmhalten für den nächsten aufregenden Vertrag: "Ich saß monatelang in Lissabon herum und wusste nicht, wie es weitergeht."

Zumindest ging es nicht mehr in Portugals Hauptstadt weiter. Und auch nicht mit seinem langjährigen Berater Dusan Bukovac. Von ihm hat sich Hildebrand mittlerweile getrennt. Jörg Neblung ist jetzt der Mann, der ihn berät.

"Ich habe Menschen zu sehr vertraut. Zu oft habe ich andere Meinungen angenommen, anstatt meiner eigenen zu glauben und sie durchzusetzen", sagt er heute. Wie es jetzt weitergehen soll, weiß Hildebrand noch nicht.

Wann kommt die neue Chance?

Selbst in die zweite Liga würde er wechseln. Aber dazu müsste sich erst ein ernsthafter Interessent melden. Noch glaubt er an ein Happyend: "Ich sehen mich nach einer Mannschaft und möchte ein Teil davon sein. Ich halte mich an Jörg Butt und Michael Rensing. Beide sind nach langen Pausen stark zurückgekommen."

Die Wege von Timo Hildebrand und Thomas Hitzlsperger haben sich seit ihrer gemeinsamen Zeit beim VfB Stuttgart getrennt. Und doch sind beide schon wieder - oder immer noch - Brüder im Geiste, weil sie ein gemeinsames sportliches Schicksal teilen.

Jede Menge Pech, eine gewisse Sturheit und schwerwiegende Verletzungen lassen zwei hoffnungsvolle deutsche Nationalspieler die schwerste Zeit ihrer Karriere durchleiden.

Bei Thomas Hitzlsperger wurde jüngst spekuliert, er könne zu Aston Villa zurückkehren. Mehr als Gerüchte waren das bisher aber nicht.

Timo Hildebrand ist noch nicht mal so weit. Er wartet. Auf eine neue Chance. Und auf ein neues Leben als Torhüter.

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