Spürt Ihr sie schon, die Euphorie? Das Kribbeln vor WM-Spielen am Nachmittag, die Vorfreude auf die Kicker aus Brasilien, den USA und Japan?
Nein?
Komisch. Denn schaltet man den Fernseher ein, bekommt man den Eindruck, Deutschland erlebe ein feucht-fröhliches Instant-Sommermärchen, das ein ganzes Land in seinen Bann zieht. Überall "Freude pur" und "Euphorie", ganz zu schweigen von der "tollen Stimmung" und den "vollen Fanmeilen".
Wie ein Fallschirmspringer auf der verzweifelten Suche nach dem nächsten Adrenalinstoß werfen sich die Berichterstatter voller Elan in den WM-Trubel - und wo der Trubel nicht mehr als eine Rentnerin beim Einkauf mit Deutschland-Leinentasche ist, wird beflissentlich darüber hinweg kommentiert. Wer die Anmoderationen von Sven Voss (ZDF) & Co. verfolgt, wird den Gedanken nicht los, dass irgendwo im Intranet auf dem Lerchenberg oder beim Ersten eine Bauanleitung zum Download bereit steht: Wie mache ich mir ein Sommermärchen.
Und dort wird alles erklärt. Wie man sich freudestrahlend in die Fußgängerzone Wolfsburgs stellt und so tut, als wäre man nachts um 11 Uhr auf dem Oktoberfest. Oder wie man auch den mundfaulen Heizungsbauer aus dem Schwabenland auf Montage in Bochum so geschickt zum Frauen-Fußball befragt, dass sein Mund von "vollschder Begeisterung" erzählt, während die Augen so perplex schauen wie ein Erdmännchen, das einen Dreisatz lösen soll.
Wenn die Chauvis von ihrem Hochsitz kommentieren
Zugegeben: Launige Stücke müssen auch erlaubt sein, wenn viel Sendezeit zu füllen ist. Aber ARD und ZDF irren sich im Glauben daran, dem Frauen-Fußball einen Gefallen zu tun, wenn sie für launige Einspieler fast gänzlich auf eine sportliche Berichterstattung verzichten. Auch wenn es unbestritten zu den Talenten einer Katrin Müller-Hohenstein gehört, mit nur einem Halbsatz den sportlichen Wert einer dreiminütigen Taktikanalyse auf den der Frage nach der Haarspray-Marke von Lira Bajramaj zu reduzieren.
Zu ertragen wäre das alles noch, würde sich die in 3-Minuten-Mazen gepresste LaOla der Begeisterung auf Vor- und meinetwegen Nachberichte beschränken. Doch in den Live-Kommentaren zu den Spielen erreicht die chauvinistische Degradierung des Frauen-Fußballs zum Gute-Laune-Event erst ihren Höhepunkt.
Bei jedem zweiten Passversuch wird die Leistung der beteiligten Teams gelobt. Fällt eine Spielerin über ihre Schnürsenkel, erwähnen die Kommentatoren mit anerkennendem Nicken den Einsatz im Frauen-Fußball. Meist von einem patriarchaischen Hochsitz herab - was genau deshalb kaum auszuhalten ist, weil damit der Frauen-Fußball auch noch gewürdigt werden soll. Und so kastrieren sich Kommentatoren wie Norbert Galeske (ARD), Tom Bartels (ARD) oder Aris Donzelli (ZDF) selbst: Indem sie auf Kritik verzichten und so eine Text-Bild-Schere zwischen dem aufbauen, was sie sagen und dem, was zu sehen ist.
Das gipfelt in "packenden Begegnungen", die nicht mehr Tempo zeigen als ein Bonsai-Bäumchen beim Wachsen und in "tollen Flanken", die bei der Torfrau landen, obwohl in ihrem Umfeld eine ganze Schulklasse von Stürmerin frei stand. Längst zum Paradigma dieser Nicht-Kommentare geworden ist dabei die Stille nach dem Torschuss. Auf vollkommen begeisterte Schreie als Ankündigung für Schüsse aus der Distanz folgt statt einer ehrlichen Enttäuschung nur eine Stille, die genau wegen ihrer betonten Höflichkeit so schrecklich ungerecht ist. Zur Perfektion getrieben beim Spiel Nigeria gegen Frankreich, als auf den spannungsgeladenen Kommentar "...und da kommt der Schuss!" nach zehn Sekunden Stille der Satz folge: "Aber die Stimmung ist klasse, hier in Sinsheim!"
Bloß nicht die Luftblase "Sommermärchen" platzen lassen
Als Devise gilt: Lieber auf Kritik verzichten. Die Öffentlich-Rechtlichen behandeln den Frauen-Fußball in einer Art, als müssten sie ihrer Nichte erklären, die roten Gummistiefel seien zwar sehr schön, die Kleine könne sie aber auf keinen Fall zum Kommunionskleid in der Kirche tragen. In der Angst, die omnipräsente Luftblase "Sommermärchen" zerplatzen zu lassen, verzichtet man auf Kritik und versteckt sich hinter der selbst produzierten Euphorie.
Einzig Claudia Neumann vom ZDF traut sich, Fehlpässe und langweilige Spielphasen beim Namen zu nennen. Es ist nicht mehr als Laienpsychologie, das darauf zu schieben, dass sie eine Frau ist. Wahrscheinlicher liegt es daran, dass sie eindeutig und jenseits aller Phrasen Ahnung vom Frauen-Fußball hat. Womit sie 90 Prozent ihrer Kollegen auf Anhieb in die Tasche steckt - und die Zuschauer immer daran erinnert, was bei dieser WM fehlt. Wenn sie etwa über die Schusseigenheiten der japanischen Spielerin Miyama berichtet oder auf den furchtbaren Spielaufbau von Norwegen gegen Äquatorialguinea verweist.
Es ist (noch) zu akzeptieren, dass nicht jeder eingesetzte Kommentator ein Experte im Bereich Frauen-Fußball ist. Dass manch einer aber immer noch meint, mit leeren Phrasen und dem Mitzählen der LaOla-Umdrehungen im Stadion einen adäquaten Ersatz für Kompetenz zu bieten, ist erstaunlich.
"Frau Neid, wir sind alle ganz begeistert!"
Immerhin böten sich genügend interessante Entwicklungen an, über die man berichten könnte. Weder auf noch neben dem Platz ist der Frauen-Fußball mit dem der Männer zu vergleichen. Spielsysteme und Taktik ändern sich schneller, ein durchgängiges System fast aller Mannschaften wie das 4-2-3-1 bei der Männer-WM in Südafrika sucht man vergeblich. Und auch in den Interviews vor und nach den Spielen zeigt sich deutlich, wie groß die Chancen für eine bessere Berichterstattung sind. Anders als bei Lahm, Müller & Co. werden bei den Frauen noch nicht alle eckigen Formulierungen und Aussagen durch Medientraining auf inhaltsleeres Normalmaß abgerundet und Emotionen nivelliert.
Wenn Alexandra Popp zum Beispiel im Interview mit dem ZDF fast unschuldig deutlich zugibt, die Zeit der bedeutendsten Stürmerin des letzten Jahrzehnts Birgit Prinz sei abgelaufen oder selbst die medienerfahrene Silvia Neid derart bissig um eine kritische Frage zum Nigeria-Spiel herumantwortet, dass es nach einem Nachhaken regelrecht schreit. Doch anstatt die inhaltliche Distanz zu wahren, wünscht man bei ARD und ZDF lieber viel Glück für die nächste Partie und gibt ab ins Studio. Wo die Bundestrainerin einige Tage später mit den einleitenden Worten "Frau Neid, wir sind alle ganz begeistert!" von Katrin Müller-Hohenstein investigativ gegrillt wird.
So reduziert sich die WM-Berichterstattung in den Öffentlich-Rechtlichen auf seltene Lichtblicke in einem Wust aus begeisterten Moderatoren und unkritischer Euphorie. Wirklich überraschen muss das allerdings nicht. Denn schon in der ersten Halbzeit"analyse" des ersten Spiels der Frauen-WM gab "Das Erste" die Richtung vor.
Zum Expertentalk begrüßte Michael Antwerpes Franziska van Almsick, die vollkommen überrascht das Halbzeitfazit zog: "Ich habe gerade hier im Stadionheftchen gelesen, dass die Stars bei Frankreich ganz anders heißen, als die, die auf dem Feld stehen!" Und Michael Antwerpes nickte. Und Michael Antwerpes lachte. Und Michael Antwerpes setzte sich nach Spielschluss eine Afro-Perücke auf und kicherte den wundervollen Satz: "Fußball-WM der Frauen ist, wenn man trotzdem Spaß hat." Minuten später stimmte ein Trailer auf das erste Spiel der Deutschen in Berlin ein. In einer Reihe folgten aufeinander: Bilder vom Reichstagsbrand, der Berlin-Blockade, der DDR-Gründung, dem Mauerfall und der Frauen-WM.
Na dann.
Hauptsache trotzdem Spaß gehabt.
Der Spielplan der WM 2011 im Überblick