Sydney 2000. Wer erinnert sich nicht an das Bild des Schwimmers Eric Moussambani, der in Australien an den Olympischen Spielen teilnahm und dort einen Negativrekord über 100 Meter Freistil aufstellte? Gegen Ende seines einsamen Rennens schien es fast so, als kämpfe der tapfere Afrikaner gegen den sicheren Tod durch Ertrinken an.
Was zu diesem Zeitpunkt allerdings kaum jemand wusste: Erst acht Monate vor den Olympischen Spielen hatte Moussambani schwimmen gelernt. Ein 50-Meter-Becken hatte er vor seiner Reise nach Sydney noch nie gesehen. Den Umständen entsprechend fiel auch das Ergebnis aus: Nach 113 quälenden Sekunden erreichte der Schwimmer das rettende Ufer. Die schlechteste Zeit, die je bei Olympia geschwommen wurde.
Sein mittlerweile legendäres Rennen war der erste Auftritt eines Äquatorialguineers bei einem sportlichen Großereignis. Und es blieb auch für lange Zeit der letzte. Erst jetzt, 11 Jahre später, trat die äquatorialguineische Frauenfußballnationalmannschaft bei der WM 2011 in Deutschland an.
Selbst die FIFA hat Probleme
Als tapferer Außenseiter präsentierten sich die Spielerinnen aus dem Kleinstaat Afrikas und erwarben sich zahlreiche Sympathien. In ihrem letzten WM-Spiel am Mittwoch gegen Brasilien war es deutlich zu hören: Fast das gesamte Frankfurter Stadion unterstützte den Underdog. Auch nach dem Spiel wurden die Exotinnen selbst vom brasilianischen Publikum gefeiert.
Auf die Unterstützung heimischer Fans mussten die Afrikanerinnen allerdings verzichten. Fast alle erkennbaren Äquatorialguinea-Fans stammten bei diesem Spiel aus Deutschland - und wussten im Grunde nichts über den dortigen Frauenfußball.Doch damit waren sie nicht alleine: Selbst die FIFA schrieb den Namen des Stars der Mannschaft, Genoveva Anonma, beharrlich falsch. Obwohl die Stürmerin selbst die richtige Schreibweise in mehreren Interviews betont hatte, wurde ihr regelmäßig noch ein "n" an den Nachnamen gehängt.
Das größte Sportereignis der Geschichte
Auch über das Land wusste rund um das Frankfurter Stadion kaum jemand Bescheid. Kein Wunder: Selbst die Einwohnerzahl variiert je nach Quelle zwischen 700.000 und 1,1 Millionen. Bei der Fläche ist man sich immerhin einig: Äquatorialguinea ist ungefähr so groß wie Brandenburg.
Die WM 2011 ist das größte sportliche Ereignis in der Geschichte des afrikanischen Landes; noch nie zuvor nahm eine Mannschaft von dort an einer Weltmeisterschaft teil. Der Besuch von OK-Chefin Steffi Jones im Rahmen ihrer Welcome-Tour wurde wie ein Staatsereignis zelebriert.
"Äquatorialguinea ist ein kleines Land und das war unsere erste WM. Unser Ziel war vor allem, einen guten Eindruck zu hinterlassen und unser Land mit Würde zu vertreten. Das ist uns gelungen, weshalb ich mir sicher bin, dass die Leute in Äquatorialguinea sehr zufrieden mit uns sind. Ein Traum wurde wahr", sagte auch Nationaltrainer Marcello Frigerio.
Der afrikanische Traum endete allerdings schon in der Gruppenphase. Bei der Partie gegen Brasilien liefen die Äquatorialguineerinnen zum letzten Mal bei diesem Turnier auf. Und zum letzten Mal wehrten sie sich tapfer - und ihrem Image entsprechend mit eher exotischen Mitteln.
Bruna - die mit dem Handspiel
Um wenigstens die torgefährliche Marta unter Kontrolle zu haben, wurde ihr Bruna, die durch ihr Handspiel in der Partie gegen Australien bereits berühmt wurde, als Schatten an die Seite gestellt.
Und Bruna erfüllte ihren Auftrag mit allen Mitteln: Buchstäblich das ganze Spiel über blieb sie immer an den Fersen der Weltfußballerin. Selbst als Marta zur Trainerbank lief, um sich bei Nationaltrainer Kleiton Lima Instruktionen zu holen, war die Äquatorialguineerin an der Seite des Superstars.
Eine Verständigung war laut Lima so unmöglich: "Bruna hat es Marta heute sehr schwer gemacht, sie ist ihr wirklich überall hin gefolgt. Ich konnte noch nicht einmal mit Marta sprechen, weil Bruna ja ebenfalls Portugiesisch spricht und alles verstanden hätte." Vermutlich hätte Bruna im Ernstfall auch das alte Sprichwort wahrgemacht und wäre Marta bis aufs Klo gefolgt.
"Nur ein Mann könnte Marta stoppen"
Tatsächlich schien Marta zwischenzeitlich auch fertig mit den Nerven angesichts ihrer ständigen Begleitung. Ziel also erreicht? Leider nicht. Trotz permanenter Überwachung hatte Marta ihre hellen Momente und führte ihre Mannschaft so zum überlegenen 3:0-Sieg.
Trainer Marcello Frigerio machte seiner Verteidigerin freilich keinen Vorwurf. Er war sich der Klasse Martas bewusst und machte seinen Respekt vor ihr in der anschließenden Pressekonferenz mehr als deutlich: "Eine Spielerin wie Marta können wir nicht 90 Minuten lang ausschalten. Nur ein Mann könnte Marta stoppen."
Doch, so fügt er hinzu, auch seine Mannschaft hat eine herausragende Spielerin entgegenzusetzen: "Mit Genoveva Anonma bin ich in diesem Turnier sehr zufrieden - sie hat ihr Tor gemacht. Sie ist eine ehrgeizige und sehr talentierte Spielerin. Sie ist die Marta von Äquatorialguinea."
Die 22-jährige Stürmerin hatte schon vor der WM gezeigt, dass auch Äquatorialguinea mindestens eine Topspielerin ins Rennen schicken kann. Als erste Fußballerin ihres Landes wechselte sie ins Ausland und spielt seit 2009 für den FF USV Jena. Für die Mannschaft war sie auf Anhieb ein unglaublicher Gewinn, in 50 Partien erzielte sie 37 Tore. Ein beeindruckendes Ergebnis, das offenbar auch Turbine Potsdam imponiert hat: Ende Juni wurde der Wechsel Anonmas zum aktuellen deutschen Meister bestätigt.
"Ich kann mich auch ausziehen!"
Wer die Fußballerin während des Spiels beobachtet, dem fällt eines auf: Fast immer scheint die Spielführerin bestens aufgelegt. Bei einem Thema vergeht allerdings auch ihr das Lachen. Denn wie schon bei zwei ihrer Mannschaftskolleginnen wurden vor der WM von anderen afrikanischen Verbänden Gerüchte gestreut, sie sei in Wahrheit ein Mann.
"Diese Dummheiten ärgern mich. Wenn ich ein Mann wäre, hätte ich wohl kaum einen Vertrag in Europa bekommen!", schimpft Anomna: "Wenn man mich testen möchte, bitte sehr! Ich kann mich auch gerne vor jedem Spiel ausziehen, wenn das gewünscht ist." Die FIFA ersparte ihr zum Glück die erniedrigende Prozedur.
Und so verabschiedet sich Äquatorialguinea stolz und mit Würde von der Weltmeisterschaft 2011. Und nimmt wichtige Lehren für die Zukunft mit, wie Trainer Marcello Frigerio bestätigt: "Wir haben gelernt, wie man ein Team organisieren kann und muss. Ich denke, dass diese Erfahrungen noch sehr wertvoll für uns sein werden."Auch ein Wiedersehen 2015 in Kanada schließt der Brasilianer nicht aus. "Ich könnte mir vorstellen, dass, wenn die Spielerinnen weiter an sich arbeiten, wir auch in vier Jahren wieder bei der WM dabei sind."
Leoni Dowidat (15) begleitet als DB Schülerreporterin die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft 2011. Während der WM berichtet sie vor Ort von den Spielen in Frankfurt.