Nebeneinander sehen sie fast gleich aus. Sie sind schmal und klein, ja beinahe zierlich. Nur durch die silbernen Plaketten mit der geschwungenen schwarzen Aufschrift sind die beiden Fußabdruckpaare der Größe 38 zu unterscheiden: Über dem einen steht "Pele", über dem anderen: "Marta".
Die heute 25-jährige Marta Viera da Silva ist die erste und bislang einzige Frau, die neben Legenden wie Romario, Ronaldo, Franz Beckenbauer oder eben jenem Pele auf dem Walk of Fame des Fußballs im Bauch des Maracana-Stadions verewigt wurde."Was Pele damals für den Männerfußball war, das ist Marta heute für den Frauenfußball", schwärmt Brasiliens Frauen-Nationaltrainer Kleiton Lima. In anderen Worten ausgedrückt: Sie ist die beste Spielerin aller Zeiten. Mit Abstand.
Fußball schadet dem weiblichen Körper
Dass sie es soweit gebracht hat, verdankt Marta neben ihrem Talent vor allem ihrem eisernen Willen. Denn in der Heimat stieß ihre Begeisterung für den Fußball früh auf Widerstand. Mama, Papa, Onkel, Bekannte, ja eigentlich alle im 12.000-Seelen-Ort Dois Raichos waren dagegen.
In Brasilien gilt Fußball mehr als irgendwo sonst als reine Männerdomäne. Noch bis Anfang der 80er-Jahre war Frauen-Fußball per Gesetz verboten. Es schade dem weiblichen Körper, so hieß es. Bis heute gibt es keine landesweite Liga, die nationale Meisterschaft wird nur in Pokalform ausgespielt.
Also kickte Marta täglich mit den Jungs. "Sie ist häufig von der Schule weggeblieben, um Fußball zu spielen. Ich wollte sie immer daran hindern, aber mir ist es nicht gelungen. Zum Glück, muss ich aus heutiger Sicht sagen. Denn sie hat sich ihren Traum erfüllt", erzählt ihre Mutter Tereza.
In diesen Traum startete Marta im Alter von 14 Jahren. Sie stieg alleine in den Bus und fuhr drei Tage lang von Dois Riachos im Nordosten Brasiliens rund 2000 Kilometer Richtung Süden. In Rio de Janeiro spielte sie bei Vasco da Gama vor.
"Ich glaube sie waren schockiert"
Wenn sich die damalige Trainerin Helena Pacheco an die kleine Marta zurückerinnert, gerät sie ins Schwärmen: "Sie brachte eine enorme Willenskraft mit. Es gab nur wenige, die derart lernwillig waren wie sie."
"Ich war sehr dünn, aber schnell", erzählt Marta über ihre Anfänge in Rio: "Ich glaube, sie waren schockiert, dass ein Mädchen wie ich auf dem Rasen für ein derartiges Aufsehen sorgen konnte."
Soll heißen: sie hat überzeugt. Und zwar restlos.
Von da an ging es steil bergauf. Schon als 17-Jährige debütierte sie in Brasiliens Nationalmannschaft, traf bei der WM 2003 in den USA gleich dreimal. Ein Jahr später, bei Olympia in Athen, hatte sie mit ebenfalls drei Treffern großen Anteil am Gewinn der Silbermedaille - erst im Finale unterlag die Selecao den USA nach Verlängerung mit 1:2.
Marktwert für die Stadt: Acht Millionen Euro
Aufgrund mangelnder Strukturen im brasilianischen Frauen-Fußball wechselte Marta noch im selben Jahr zum schwedischen Topklub Umea IK: "Ich wusste nur, dass Schweden irgendwo in Europa liegt und Umea ein gutes Frauenteam hat. Dort wollte ich eine bessere Spielerin werden. Nur deshalb habe ich Brasilien verlassen."
In Skandinavien avancierte Marta zum Weltstar und ihr Verein zum Publikumsmagnet der Liga. In einer Studie schätzten Experten damals ihren Marketingwert für die Stadt Umea auf satte acht Millionen Euro pro Jahr.
Mit einem Monatsgehalt im fünfstelligen Bereich sorgte Marta seit ihrem Wechsel ins Ausland für den Lebensunterhalt der ganzen Familie: "Ich will dieser armen Gegend etwas zurückgeben und den Menschen Hoffnung machen." Ihrer Mutter, ihrem Vater und jedem ihrer vier Brüder kaufte sie ein eigenes Haus.
Stammgast im Züricher Opernhaus
Umea IK gewann mit Marta viermal in Serie die schwedische Meisterschaft und holte einmal den UEFA-Cup. Obwohl die 1,62 Meter kleine Marta keine klassische Mittelstürmerin ist, sondern lieber mit Tempo aus der Tiefe kommt, traf sie in 103 Spielen sensationelle 111 Mal.
Die logische Folge: der Ballon d'Or. Seit 2006 holte sich Marta mittlerweile fünfmal in Serie im Züricher Opernhaus den Titel der Weltfußballerin des Jahres ab - so viele schaffen die Ikonen Mia Hamm (2) und Birgit Prinz (3) gerade zusammen.
Auf ihrem Erfolg ausruhen wird sich Marta aber nicht: "An der Spitze zu bleiben, ist viel schwieriger, als hoch zu kommen. Es gibt immer neue Dinge zu lernen und Fähigkeiten, die ich noch verbessern muss."
"Die Fans spüren, dass es etwas Besonderes ist"
Als 2009 in den USA nach fünf Jahren Pause wieder die Women's Professional Soccer Liga (WBS) an den Start geht, ist Marta die Gallionsfigur: "Ich wollte unbedingt dort hin, denn ich möchte in der besten Liga der Welt spielen."
Und die Liga wollte Marta. Um jeden Preis. Am Ende der Verhandlungen hatte sie einen Vertrag über drei Jahre in der Tasche. Pro Saison kommen auf die 180.000 Euro Grundgehalt noch 200.000 Euro an Sponsorengeldern obendrauf. Will man sie für eine Autogrammstunde oder eine andere öffentliche Veranstaltung buchen, werden mittlerweile mindestens 3500 Euro fällig.
Anne-Marie Eileraas, die Geschäftsführerin der Liga, weiß um den Wert des Superstars: "Sogar Fans, die nichts über Fußball wissen, spüren, dass es etwas ganz besonderes ist, wenn Marta auf dem Feld steht. Sie ist mehr als nur eine Spielerin, sie ist ein absoluter Publikumsmagnet."
Bei den fünf bestbesuchten Spielen der Liga stand immer Marta auf dem Platz.
Martas Gehalt treibt Klubs in den Ruin
Im Nachhinein betrachtet, scheint man sich in der Liga mit ihrem hohen Gehalt aber ein wenig übernommen zu haben. Ihr Verein Los Angeles Sol ging nach nur einer Saison Pleite, alle Spielerinnen wurden im Draft auf die anderen Teams der Liga verteilt. Marta landete beim FC Gold Pride.
Mit der Franchise aus der San Francisco Bay Area holte Marta 2010 auf Anhieb den Titel und wurde, wie auch in ihrer ersten Spielzeit in den USA, Torschützenkönigin und MVP. Weil auch Gold Pride in finanzielle Schwierigkeiten geriet und dicht machen musste, spielt sie seit diesem Jahr in Buffalo für Western New York Flash.
Als die WBS in den letzten beiden Jahren in die Winterpause ging, zog Marta zurück in die Heimat. Sie nutzte die Zeit und spielte mehrere Monate beim FC Santos mit. Auch wenn man dies schnell als reine PR-Maßnahme abtun könnte, ist es doch ein deutliches Zeichen: Seht her, in Brasilien geht was.
Der Frauen-Fußball in Brasilien entwickelt sich
Denn auch wenn der Rest des Landes noch hinterherhinkt, wird mittlerweile zumindest in der Region um Sao Paulo, Santos und Rio de Janeiro der Frauen-Fußball gefördert. "Die Nationalmannschaft rekrutiert sich derzeit aus zwei, drei Bundesstaaten", bestätigt Nationalcoach Lima den Trend.
"Der Frauen-Fußball entwickelt sich. Zwar langsam, aber Schritt für Schritt", sagt auch Nationalspielerin Cristiane, die nach Gastspielen in der Bundesliga bei Potsdam und Wolfsburg nun wieder in der Heimat spielt.
Beim FC Santos, bei dem sechs Spielerinnen des aktuellen WM-Kaders unter Vertrag stehen, verdient sie knapp 2500 Euro im Monat: "Um die Hälfte von dem zu verdienen, was die Männer pro Saison bekommen, müssten wir Frauen 50 Jahre spielen."
"Das Ziel, das ich noch erreichen muss"
Einzig Marta spielt in einer ganz anderen finanziellen Liga. Aber: Ende dieses Jahres läuft ihr Vertrag mit der WBS aus. Sie wird dann zum Free Agent und muss sich erst für einen neuen, hochdotierten Vertrag empfehlen. Die Bühne dafür bietet ihr die WM in Deutschland.
Vor vier Jahren in China reichte es für Brasilien nur zu Platz zwei, im WM-Finale in Shanghai unterlag die Selecao damals der deutschen Auswahl mit 0:2. Marta, die mit sieben Treffern Torschützenkönigin und beste Spielerin des Turniers wurde, verschoss einen Elfmeter.
Dieses Jahr soll nun alles besser werden. "Wir haben ein sehr talentiertes Team mit einer guten Mischung aus Jugend und Erfahrung", sagt Marta: "Wir sind in der Lage, das Ding zu gewinnen. Das ist mein Traum und das Ziel, das ich noch erreichen muss."
Der Spielplan der WM 2011 im Überblick