Frühe Meisterschaften, ein innovatives Stadion und Wegbereiter für den heutigen Vereinsfußball - während Klubs wie der FC Liverpool, Chelsea oder Manchester United noch gar nicht geboren waren, jubelte man bei Everton schon über den ersten englischen Meistertitel im Jahr 1891.
Dabei begann alles mehr oder weniger als Notlösung. Um in der St. Domingo Church zu Liverpool die Cricket-freie Zeit im Winter 1878 zu überbrücken, rief der damalige Pastor Ben Swift Chambers kurzerhand einen Fußballklub ins Leben. Von dort an war der rasante Aufstieg nicht mehr aufzuhalten.
Über den Umweg Anfield ging es nach der ersten Meisterschaft in den Goodison Park, der mit der ersten umfassenden Doppeldecker-Tribüne und 70 Jahre später mit der ersten Rasenheizung im Mutterland des Fußballs neue Maßstäbe setzte.
Der damalige Schatz an Reichtümern ist dem Klub mittlerweile aber auch zum Verhängnis geworden, die letzte von neun Meisterschaften datiert aus dem Jahr 1987 - die goldenen Zeiten der 30er-, 60er- und 80er-Jahre sind schon lange passé.
Platz zwei in der ewigen Tabelle
Die Entwicklung stagnierte und obwohl der Verein in der ewigen englischen Tabelle noch heute weit vor Arsenal, United oder Chelsea liegt und die meisten Partien in der höchsten Spielklasse bestritten hat, kam man in den letzten Jahren an den Big Four - wobei Liverpool bisweilen von Manchester City abgelöst wurde - nicht mehr vorbei.
Es wirkt so, als hätten die Toffees die besten Zeiten lange hinter sich, ihre Seele dafür aber behalten. Denn während die Klubs aus London oder Manchester mit Investorengeldern vollgepumpt werden und sich wie die Marionetten ihrer Gönner auf der Spielwiese Premier League um das dickste Stück vom Kuchen streiten, arbeitet man bei Everton beharrlich seinen angehäuften Schuldenberg ab und kommt am Ende der Saison lediglich zu den übrig gebliebenen Krümeln.
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Präsident Bill Kenwright und Ex-Trainer David Moyes haben den Klub in den letzten zehn Jahren vom Abstiegskandidaten zum Top-8-Klub geführt - rein sportlich stimmt es also, doch für ganz oben fehlt nunmehr einfach das nötige Kleingeld. Die Suche nach einem Investor läuft, gestaltet sich aber aus mehreren Gründen als schwierig.
Zur Tradition gezwungen
Der Goodison Park gilt als veraltet und ist nur wenig attraktiv für Corporate-Projekte, wobei er aufgrund der dichten Wohnlage und der angrenzenden Kirche auch nur schwer ausgebaut oder modernisiert werden kann.
Tradition und Idylle bremsen den finanziellen Fortschritt - das beweisen alleine die Einnahmen von circa 950.000 Euro pro Heimspiel, womit im Vergleich zu den großen Kontrahenten über die Saison gesehen 20 bis 55 Millionen Euro alleine an Zuschauergeldern fehlen.
Da ist es auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, dass dieser Wert in der vergangenen Saison um gute zwei Millionen Euro gesteigert werden konnte. Ein neues und modernes Stadion muss her, und zwar dringend. Die Pläne für einen Neubau in Walton Hall Park sind in der heißen Phase, noch ist aber keine Entscheidung gefallen.
Nachhaltigkeit statt schnellem Erfolg
Für einen möglichen Investor gilt es somit vor allem dem in die Jahre gekommenen Grundgerüst neues Leben einzuhauchen und die noch vorhandenen Schulden von 35 Millionen Euro zu tilgen, ehe die großen Stars verpflichtet werden können. Der Durchschnittsscheich ist allerdings nicht dafür bekannt, Unmengen an Kapital in einen Verein zu stecken, um zunächst zwischen Pie-Shops und Kirchenglockengebimmel sitzend zuzusehen, wie am Ende doch wieder die anderen gewinnen.
Zumal da die stolzen Toffeemen auch gewisse Ansprüche haben und sich nicht zum Spielball der Großen und Reichen machen lassen wollen. Das Beispiel Leeds United zeigt, wie schnell der Abstieg nach einem zugedrehten Geldhahn vom Halbfinale der Champions League in die Drittklassigkeit erfolgen kann.
Eine gewisse Identifikation mit dem Verein ist die Grundvoraussetzung, der Klub muss nachhaltig ganz nach oben geführt werden. In Anbetracht der Schnelllebigkeit und des ungemeinen Wettbewerbs im Fußball der heutigen Zeit aber fast ein unmögliches Unterfangen.
Jugend forscht - die Mischung stimmt
Immerhin schlossen die Blues das abgelaufene Geschäftsjahr dank eines neuen TV-Deals mit einem Rekordgewinn von über 35 Millionen Euro ab. Da kann man sich nebenbei schon mal einen Romelu Lukaku für eine Rekordablöse gönnen. Auf der anderen Seite müssen dafür auch immer wieder Stars wie Marouane Fellaini, Jack Rodwell oder Mikel Arteta gehen, um die Bilanz aufrecht zu erhalten.
Der Klub wirtschaftet mittlerweile weitestgehend solide, wobei der Jugendarbeit eine umso größere Bedeutung zukommt. Und diese kann sich mit Spielern wie Joey Barton, Richard Dunne oder Wayne Rooney in den letzten Jahren durchaus sehen lassen.
Trainer Roberto Martinez führt das familiäre Miteinander seines Vorgängers Moyes weiter, wobei das Mannschaftsgefüge mit Altstars wie Samuel Eto'o, Gareth Barry oder Leon Osman und Nachwuchsleuten wie John Stones, Ross Barkley oder eben Lukaku in sich stimmig ist.
"Ich würde eher noch auf Brendan Galloway und Matthew Pennington aus der U 21 setzen, bevor wir auf dem Transfermarkt aktiv werden. Ich will den Kader so groß halten, wie im Moment und auf die Stimmung setzen, die bei uns in der Kabine herrscht", so Martinez, angesprochen auf mögliche Neuverpflichtungen im Winter aufgrund der aktuell langen Verletztenliste im Defensivverbund.
Ein steiniger Weg
Mit mannschaftlicher Geschlossenheit, Leidenschaft und Charakter ist das Team seit mittlerweile sieben Pflichtspielen ungeschlagen, in der Europa League reicht ein Unentschieden gegen Wolfsburg zum Einzug in die nächste Runde. In einem europäischen Achtelfinale stand man zuletzt in der Saison 2007/08 - umso wichtiger wäre aus finanziellen Gesichtspunkten auch der sportliche Erfolg in den UEFA-Wettbewerben.
Die Toffees sind auf einem steinigen Weg. Den Spagat zwischen Tradition und Moderne, der Wahrung der Identität und Werte und der Kommerzialisierung der eigenen Marke zu bewerkstelligen, ist schwer genug. Dabei noch eine gute Figur im sportlichen Wettbewerb abzugeben, nötigt großen Respekt ab. Ein Revival großer alter Zeiten mit Titeln in England und Europa klingt ein wenig nach Märchen. Daran zu glauben, ist zumindest nicht verboten.
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