Nach dem Schlusspfiff ging Romelu Lukaku auf die Knie und betete. Der Stürmer des Titelanwärters Belgien war in Gedanken bei Christian Eriksen. "Es gab viele Tränen vor dem Spiel", sagte der 28-Jährige nach dem 3:0 (2:0) der Roten Teufel zum EM-Auftakt gegen Russland. Schon nach seinem Führungstor hatte er seinem Klubkollegen beim italienischen Meister Inter Mailand einen Gruß geschickt.
"Viel Kraft, Chris, ich liebe dich", rief der 28-Jährige beim Torjubel in die Kamera. Der Adressat war zweieinhalb Stunden zuvor bei Dänemarks EURO-Start gegen Finnland (0:1) auf dem Platz kollabiert, Notärzte hatten mit Herzdruckmassagen sein Leben gerettet. Weil Eriksen danach wach und stabil war, konnte Belgien wie geplant in St. Petersburg seine Titelmission beginnen.
"Es war schwer, sich zu konzentrieren", sagte Lukaku, "er hat zwei kleine Kinder, die ihn brauchen." Der überragende Torjäger (10./88.) und der eingewechselte Dortmunder Thomas Meunier (34.) sicherten mit ihren Treffern vor 26.264 Zuschauern einen Start nach Maß für den Weltranglistenersten und die Tabellenführung in der Gruppe B. Meunier schrieb sogar EM-Geschichte - als erster Joker-Torschütze in einer ersten Halbzeit.
Ihre vielleicht letzte Chance auf einen Titel geht Belgiens talentierteste Generation sehr offensiv an. "Wir haben alles, um zu gewinnen. Es ist ein guter Zeitpunkt, um Geschichte zu schreiben", hatte Torhüter Thibaut Courtois vor dem EM-Auftakt gesagt.
Belgien ohne Kevin De Bruyne und Axel Witsel
In Russland, wo sie vor drei Jahren nur knapp das WM-Finale verpasst hatten, mussten die Roten Teufel noch auf ihren Superstar Kevin De Bruyne verzichten. Der Offensivspieler, der sich im Champions-League-Finale mit Manchester City im Zweikampf mit Nationalspieler Antonio Rüdiger (FC Chelsea) einen Augenhöhlen- und Nasenbeinbruch zugezogen hatte, blieb ebenso im Teamcamp in Belgien wie der Dortmunder Axel Witsel. Beide bereiten sich individuell auf einen Einsatz im zweiten Gruppenspiel vor.
Die Belgier - mit den Bundesligaprofis Thorgan Hazard (Borussia Dortmund) und Dedryck Boyata (Hertha BSC) in der Startelf - jubelten schon früh. Nach einem kapitalen Fehler von Andrej Semjonow, dem der Ball durch die Beine sprang, stand Lukaku völlig frei vor dem Tor. Dieses Geschenk nahm der 28-Jährige, dessen Abseitsstellung aufgehoben wurde, dankend an und erzielte sein 61. Länderspieltor. In der Schlussphase legte er Nummer 62 nach.
Die Russen, bei der WM im eigenen Land überraschend im Viertelfinale, luden nicht nur beim frühen Gegentor die Belgier durch Fehler zu Chancen ein. Auch die Großchance von Hazard zum 2:0 entsprang einem Abwehrpatzer, doch er scheiterte an Torhüter Anton Schunin (22.).
Belgien: Frühes EM-Aus für Castagne
Bei einem Zweikampf prallten Timothy Castagne und Daler Kusjajew zusammen (25.), beide mussten mit Kopfverletzungen ausgewechselt werden. Für Castagne ist die EM damit sogar schon beendet. Wie Trainer Roberto Martinez bei VRT 1 erklärte, erlitt der Abwehrspieler einen Bruch der Augenhöhle und muss operiert werden.
Der eingewechselte Meunier trug sich gleich in die Torschützenliste ein - nach einem weiteren Fehler der Russen: Keeper Schunin wehrte den Ball direkt vor die Füße des Dortmunders ab.
Immer wenn die Belgier das Tempo anzogen, hatte die Mannschaft des ehemaligen Dresdner Bundesliga-Torhüters Stanislaw Tschertschessow Probleme. Doch auch als sie nach der Pause einen Gang zurückschalteten, verloren Lukaku und Co. nie die Kontrolle über das Spiel. In der Schlussphase durfte auch Eden Hazard aufs Feld, der erst bei der EM-Generalprobe gegen Kroatien nach 565 Tagen ohne Länderspiel für zehn Minuten sein Comeback gegeben hatte.
Belgien - Russland: Die Aufstellungen
Belgien: Courtois - Alderweireld, Boyata, Vertonghen (77. Vermaelen) - Castagne (27. Meunier), Dendoncker, Tielemans, T. Hazard - Mertens (72. E. Hazard), Carrasco (77. Praet) - R. Lukaku - Trainer: Roberto Martinez.
Russland: Shunin - Barinov (46. Diveev), Dzhikiya, Semyonov - Mario Fernandes, Zobnin (63. Mukhin), Ozdoev, Zhirkov (43. Karavaev) - Golovin, Kuzyaev (29. Cheryshev/63. Miranchuk) - Dzyuba - Trainer: Stanislav Cherchesov.