Italien bei der EM: Nur ein Gegentor und dennoch anfällig
Obwohl Italien mit den 1168 gegentorlosen Minuten in Folge bei Länderspielen gegen Österreich einen neuen Weltrekord aufstellte, ist die Defensive nicht das Prunkstück der Elf von Mancini. Die Squadra Azzurra trägt diesbezüglich eindeutig die Handschrift des Trainers, von dem in England nach wie vor behauptet wird, dass Manchester City unter ihm einen aufregenderen Fußball spielte als unter Pep Guardiola.
Die vielseitige Offensive ist der neue Trumpf Italiens, das Catenaccio war gestern. Große Probleme hatte Italiens Defensive in der Gruppenphase dennoch nicht, auch weil die Schweiz, die Türkei und Wales sie kaum vor komplizierte Aufgaben stellten.
Doch das änderte sich gegen Österreich - gerade in der zweiten Halbzeit und überraschenderweise auch in der Verlängerung, als die Azzurri mit 2:0 in Führung gegangen waren. Louis Schaub und Marcel Sabitzer vor und Michael Gregoritsch nach dem Anschlusstreffer durch Kalajdzic vergaben jeweils Großchancen, die Österreich am Ende trotz des Doppelschlags der Italiener noch ins Elfmeterschießen hätten retten können.
Italien ist in der Defensive gerade in Abwesenheit des verletzten Giorgio Chiellini anfällig - oder zumindest anfälliger als gewohnt.
Italien bei der EM: Verratti rechtfertigt Mancinis Entscheidung
Die ersten zwei Spiele hatte Verratti noch verletzt verpasst. Er hatte zusehen müssen, wie sich Ersatzmann Manuel Locatelli von US Sassuolo mit zwei guten Spielen und zwei Toren gegen die Schweiz zu einer der bisherigen Entdeckungen der Europameisterschaft mauserte. Erst im dritten Spiel konnte Verratti wieder mitwirken - und stand mit einer nominellen B-Elf gegen Wales über 90 Minuten auf dem Platz.
Zwar überzeugte der 28-Jährige, doch es stellte sich die Frage, ob der so verletzungsanfällige Strippenzieher (25 verpasste Pflichtspiele bei PSG in 2020/21) schnell wieder in seinen Rhythmus kommen könne und nicht doch Locatelli starten sollte.
Verratti gab gegen Österreich besonders in der von Italien so dominant geführten ersten Halbzeit die Antwort und entledigte sich aller Zweifel. Vier der zwölf Torschüsse im ersten Durchgang bereitete er vor und leistete sich insgesamt nur drei Fehlpässe. Eine bessere Passquote im Schnitt als Verratti (94,4 Prozent) hat bis dato nur der Belgier Axel Witsel bei dieser EM (97,3 Prozent).
Verratti rechtfertigte Mancinis Entscheidung, auf ihn zu setzen und er gab seinem Trainer das, was man sich von einem Weltklasse-Achter verspricht. Allerdings baute er im zweiten Durchgang gegen physisch immer stärker werdende Österreicher ab. Seine Auswechslung nach einer guten Stunde war daher folgerichtig.
Österreich nach der EM: Trainer Franco Foda rehabilitiert sich
Kusshände an die Fans, eine emotionale Ansprache an die Mannschaft vor dem Start der Verlängerung, taktische Courage: So manch ein Anhänger der österreichischen Nationalmannschaft musste in den vergangenen Tagen zweimal hinsehen, um Franco Foda wiederzuerkennen.
Der Trainer des ÖFB-Teams steht seit geraumer Zeit in der Kritik. Nicht, weil die Ergebnisse nicht stimmen würden. Immerhin weist der deutsche Trainer nach 38 Spielen einen starken Punkteschnitt von 1,95 auf. Kritiker unken vielmehr, dass Foda Fußball aus der Defensive heraus denke, seine Spielphilosophie wird oftmals als zu abwartend wahrgenommen.
Der Vorwurf: Foda lege der besten Fußballergeneration Österreichs taktische Fesseln an und vergeude damit ihr unbestritten großes Potenzial. Bestätigungen diesbezüglich kamen sogar schon aus der Mannschaft. So sagte Gladbachs Lainer beispielsweise, er könne "nicht wie im Verein spielen, weil der Trainer damit wohl nicht einverstanden wäre".
Die Beziehung zwischen Foda und der Mannschaft kränkelte vor der EM gewaltig, von Euphorie war auch aufgrund der bis dato schwachen WM-Quali (vier Punkte aus drei Spielen) keine Spur. Und als Foda tatsächlich in den ersten beiden wenig überzeugenden Gruppenspielen gegen Nordmazedonien und die Niederlande aus dem Nichts eine Dreierkette mit David Alaba im Zentrum aufbot, fühlten sich alle Foda-Kritiker bestätigt.
Doch der 55-Jährige zeigte anschließend Mut zu taktischen Veränderungen und gestand sich damit selbst ein, Fehler gemacht zu haben. Gegen die Ukraine wechselte er vom kritisierten 5-3-2-System auf eine 4-3-2-1-Grundordnung mit Alaba auf der linken Seite. Dort wo er sich zwar eher nicht sieht, ihn die meisten Fans und Experten aber als am wertvollsten für die Mannschaft erachten.
Es folgten erst der überzeugende Auftritt gegen die Ukraine im letzten Gruppenspiel und im Achtelfinale dann die starke Leistung im gleichen System mit dem gleichen Mut gegen Mitfavorit Italien. Anschließend hatte Foda nicht zu Unrecht einen kleinen Seitenhieb für die Zweifler übrig: "Alle Kritiker können einmal für zwei, drei Wochen ruhiger sein, dann können sie wieder kritisieren."
Damit die Kritiker dauerhaft schweigen, muss Foda aber nun in der WM-Qualifikation liefern und da weitermachen, wo er mit seiner Mannschaft gegen Italien aufgehört hat. Das Potenzial der Mannschaft ist groß und die Bereitschaft, Fußball neu zu denken, bei Foda ganz offensichtlich doch vorhanden.