Rainer Koch hat viele Jobs. Er ist Präsident des Bayerischen und des Süddeutschen Fußballverbandes. Er ist wieder mal interimsmäßiger DFB-Präsident und im Exekutivkomitee der UEFA sitzt der 62 Jahre alte Jurist auch. Es ist gut möglich, dass bei so vielen Tätigkeiten manchmal wenig Zeit bleibt, vorher nachzudenken, bevor man sich äußert.
Die Europäische Fußball-Union (UEFA) hat am Dienstag der Stadt München verboten, das EM-Stadion in den Regenbogen-Farben erleuchten zu lassen, wenn sich Deutschland und Ungarn am Mittwoch im letzten Gruppenspiel gegenüberstehen. Der Verband wertete das Vorhaben als politische Aktion. Das ist natürlich Unsinn. Für die Rechte aller Menschen einzustehen, ist keine politische Willensäußerung, sondern eine Selbstverständlichkeit. Während man national und international mit großer Empörung auf die Entscheidung reagierte, fühlte sich Koch genötigt, die UEFA für ihre Entscheidung zu stützen.
"Da die Beleuchtung vom Münchner Stadtrat als eine gezielte Aktion gegen die Entscheidung des ungarischen Parlaments begründet worden ist, handelt es sich nicht mehr um ein bloßes Statement im gemeinsamen Kampf gegen jede Form von Diskriminierung, sondern um eine politische Aktion", so Koch. Nun. Der Multifunktionär wurde dabei nicht von einem Journalisten gefragt, was er von der Entscheidung halte, er musste nicht spontan und schlagfertig auf die Frage reagieren. Nein: Koch veröffentlichte sein Statement auf Facebook. Und schrieb noch, dass die UEFA eine "aufgrund ihrer Statuten politisch und religiös neutrale" Organisation sei.
Nun ist ohnehin fraglich, ob ein Verband darüber entscheiden darf, in welcher Farbe ein Stadion erstrahlen darf. Die Außenhülle der Münchner Arena erstrahlte bis heute in den verschiedensten Farben und fragen musste der Stadionbetreiber bisher niemanden. Ob die UEFA-Entscheidung juristisch alle Instanzen durchhalten würde, darf bezweifelt werden.
Koch gibt ein genauso desaströses Bild ab wie die UEFA
Allerdings geht es ohnehin vielmehr um den moralischen Aspekt. Koch ist Vorsitzender des größten Sportverbandes der Welt. Das Land, das er bei der UEFA vertritt, hat sich historisch und gesellschaftlich dazu verpflichtet, jegliche Art von Diskriminierung zu bekämpfen und hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Wenn die UEFA nun den Stolz von Viktor Orban wichtiger findet als die Haltung gegen Diskriminierung, hat Koch als Abgesandter des deutschen Fußballs die Verpflichtung, die Stimme zu erheben.
Doch Koch sind seine Ämter offenbar viel zu wichtig, um sie zu riskieren. Bei dieser Gelegenheit darf auch die Frage gestellt werden, wo Koch war, als die deutschen Nationalspieler Human Rights auf schwarze T-Shirts pinselten und sie der Welt präsentierten. War das kein politisches Zeichen gegen das nächste WM-Gastgeberland Katar? Oder blieb Koch stumm, weil er kein FIFA-Amt hat, das er verlieren könnte, wenn er aufmuckt? Der aktuelle DFB-Boss gibt ein genauso desaströses Bild ab wie die UEFA selbst.
In den sozialen Medien kursiert ein Tweet aus dem Jahr 2019, als die UEFA schrieb: "Proud that #EURO2020 will be a tournament for everyone #EqualGame" Die UEFA war stolz, dass die EURO 2020 ein Turnier für jeden werde. Nun hat aber Ungarn per Gesetz verboten, Werbung für Homosexualität zu machen und Europas Fußballbosse gucken einfach weg. Seit Jahren propagiert die UEFA überall und bei jeder Gelegenheit "Respekt" und zeigt selbst am wenigsten davon.
UEFA trifft eine falsche Entscheidung nach der anderen
Und das nicht zum ersten Mal. Sie hat keinen Respekt vor der Corona-Pandemie, die nach wie vor viele Menschenleben kostet. Sie zwang die Austragungsländer, Zuschauer in allen Stadien zuzulassen. In Großbritannien macht sich gerade die Delta-Variante breit und die Inzidenz-Zahlen schießen nach oben. In England werden die Zügel wieder angezogen. Auf der einen Seite. Kroatien und Tschechien mussten ihre EM-Camps in Schottland aufgeben, weil sich die Corona-Lage verschärft. Gedankenspiele, die Zuschauerzahlen beim EM-Standort London zu drosseln, veranlassten die UEFA offenbar dazu, laut darüber nachzudenken, Halbfinale und Finale zu verlegen.
Die britische Regierung entschied nun, dass das Wembley-Stadion für die entscheidenden Spiele bis zu 60.000 Zuschauer empfangen darf. Dies entspricht zwei Drittel der kompletten Auslastung von 90.000 Plätzen. Es wirkt wie vorauseilender Gehorsam.
Ein bedenkliches Bild gab die UEFA auch ab, als Christian Eriksen zum EM-Auftakt Dänemarks gegen Finnland nach einer Herzattacke wiederbelebt werden musste. Während Fußball-Fans weltweit den Schulterschluss mit den Dänen suchten, war die UEFA nur darauf aus, eine Lösung für die Fortsetzung der Partie zu finden. Inklusive möglicher automatischer Wertung pro Finnland, wenn die Dänen nicht antreten.
"Wir hatten zwei Möglichkeiten, die beide schlecht waren, und wir nahmen die am wenigsten schlechte", sagte Barcelonas Martin Braithwaite über die Fortsetzung des Spiels noch am selben Abend: "Es gab eine Menge Spieler, die nicht bereit waren zu spielen." Und wichtig: Die Fortsetzung der Partie sei "kein Wunsch" der Spieler gewesen. Die UEFA dagegen gab freudig bekannt, dass Eriksen seine Mitspieler darum bat, das Spiel noch am Abend fortzusetzen.
Erinnerungen an Terroranschlag auf den BVB weden wach
Bei Borussia Dortmund fühlte man sich sicherlich an 2017 erinnert, als bei der Abfahrt zum Champions-League-Spiel gegen die AS Monaco ein Terroranschlag auf die Mannschaft des BVB, die sich gerade im Mannschaftsbus befand, verübt wurde. Auch damals übten die UEFA-Funktionäre sanften Druck aus, das Spiel so schnell wie möglich nachzuholen, obwohl es psychische und physische Schäden in der Mannschaft ab. Wie Dänemark verlor auch Dortmund das Spiel, unter großem Einfluss des Schocks, doch die UEFA hatte ihren Spielplan eingehalten.
Es ist gar nicht so lange her, da gab es so etwas Ähnliches wie einen Schulterschluss mit der UEFA, als zwölf europäische Top-Klubs den Putsch planten und über Nacht die Super League ausriefen. Die UEFA schwang sich auf zum Retter des europäischen Fußballs auf und erfuhr große Unterstützung.
Auch aus Deutschland: "Zwar geht es im europäischen Fußball um viel Geld, für die Spitzenklubs sogar um sehr viel Geld. Das Haus des europäischen Fußballs ist aber geprägt von Solidarität und Miteinander, von Fairplay und sportlichem Wettbewerb." Sagte Dr. Rainer Koch.