EM

Höchstes Niveau, nur anders

Von Fatih Demireli
Spanien ist in K.O.-Spielen seit dem WM-Achtelfinale 2006 ohne Gegentor
© Getty

Spanien spielt nicht mehr so spektakulär wie in den vergangenen Jahren. Das Spiel hat aber nicht an Niveau verloren, sondern nur sein Aussehen verändert. Die Art und Weise ist zermürbend für den Gegner und setzt ein Ausrufezeichen hinter die Zielen des Titelverteidigers. Die Franzosen haben dagegen ganz andere Aufgaben zu bewältigen.

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Treffender hätte man es kaum formulieren können. "Spielt man gegen Spanien, fühlt man sich wie der Schiedsrichter. Man ist auf dem Platz, im Geschehen, aber nicht in Ballbesitz." Mehmet Scholl, bald wieder Trainer der U 23 des FC Bayern München, brachte es brillant auf den Punkt.

Dabei ließ sich der EM-Experte der "ARD" mitnichten davon beeinflussen, dass bei seinem Sender über 90 Minuten Spaniens Treiben auf dem Platz dermaßen niedergeredet wurde, als hätte die "Furia Roja" am Samstagabend in Donezk gegen die Färöer gespielt und dabei mit mehr Glück als Verstand 2:0 gewonnen.

Aber der Gegner hieß Frankreich, ein Mitfavorit auf den EM-Titel. Und es war das Viertelfinale, die Runde der besten Acht Europas. Und Spanien ist jetzt unter den besten Vier, obwohl man - zugegeben - schon aufregendere Spiele gesehen hat. Aber: Spanien, das ist nach wie vor ein sehr hohes Niveau - nur eben anders.

Philipp Lahm: "Spanien ist immer noch das Maß aller Dinge"

"Sie sind besser als wir"

"Es ist sehr schwer, Spanien in Schwierigkeiten zu bringen", erklärte Frankreichs Trainer Laurent Blanc nach dem Spiel. "Sie sind besser als wir."

Das temporeiche und gegnerquälende Tiqui-taca vergangener Jahre zaubert Spanien sicher nicht mehr aufs Grün. Sie spielen abstrakter, abgeklärter - nicht immer ansehnlich und dennoch sehr zermürbend, weil effektiv und zielgerichtet.

634 Pässe spielten die Spanier am Samstagabend, davon kamen unfassbare 89,75 Prozent an. Frankreich spielte halb so viele Pässe, wirkte aber mitunter teilnahmslos, weil Spanien nach Belieben den Ball zirkulieren ließ. "Frankreich? Nur eine Puppe in spanischer Hand. Spanien spaziert in die nächste Runde", schrieb die "Marca".

Benzema im falschen Film

Insbesondere Karim Benzema musste sich wie im falschen Film gefühlt haben. Bis auf die Ausnahme des letzten Spiels, als Real Madrid im Camp Nou beim FC Barcelona gewann, musste sich der Franzose an die schwarze Serie der Clasicos gegen Barcelona erinnern.

Ein Gegner, der den Ball nicht hergeben will, einem die Lust am Spiel raubt und schließlich gewinnt: Für Benzema mit dem Beigeschmack, dass diesmal sogar seine eigenen Mitspieler von Real Madrid bei dem Pass-Spektakel mitmischten.

"Sie sind stark. Sehr stark", sagte der Angreifer hinterher achselzuckend und ging von dannen. Eine Schmach ist es sicherlich keine, gegen Spanien auszuscheiden. Aber dass die Iberer quasi im Schongang Frankreich aus dem Turnier bugsierten, ist dann doch bitter für Frankreich.

Auch wenn Vicente del Bosque hinterher sagte, dass seine Mannschaft "am Schluss etwas müde" war, passierte Spanien beinahe ohne Kraftverlust das Viertelfinale und konnte dabei erneut das Spiel ohne echten Stürmer testen.

So richtig einschätzen kann man das Modell mit Cesc Fabregas als falscher Neun immer noch nicht. Die puren Ergebnisse geben Spanien aber Recht. Die Tatsache, dass man nur ein Gegentor kassierte und vorne zuverlässig trifft, auch.

Wiedersehen der Real-Stars

Die Aufgabe, die in herkömmlichen Systemen dem Stürmer zufällt, übernahm am Samstagabend Xabi Alonso, der in seinem 100. Länderspiel zwei Tore erzielte und ein ganz persönliches Festival feierte. "Xabi schießt Madrid an die Spitze der EM-Torschützenliste", schrieb "Marca", in einer anderen Funktion auch Stadionzeitung von Real Madrid. "Ein ganz besonderes Spiel für mich. Zwei Tore im 100. Spiel - ein Traum", so Alonso.

Pepe, Sami Khedira, Cristiano Ronaldo und eben Xabi Alonso - die Real-Stars treffen bei diesem Turnier am häufigsten. Am Mittwoch komm es im Halbfinale nun zum Wiedersehen mit Ronaldo und Pepe, wobei Alonso klar feststellt: "Unser nächster Gegner Portugal ist nicht nur Cristiano Ronaldo. Das wird die nächste harte Nuss, aber wir sind hier, um den Titel zu holen."

Nach Hause muss Frankreich, das Spanien nicht gewachsen war, was nicht nur daran lag, dass Blanc sich mit seiner Aufstellung verspekulierte. Zwei rechte Verteidiger stellte er auf, um die starke linke Seite Spaniens mit Iniesta und Jordi Alba zu stoppen. "Es ist enttäuschend, dass Spanien über diese Seite sein Heil fand", sagte Blanc.

Blancs Hausaufgaben

Nur Franck Riberys individuelle Klasse reichte den Franzosen nicht, doch die Aufarbeitung des Turniers wird nicht nur taktischer Natur sein. Blanc muss wieder und eigentlich hauptsächlich als Vermittler zwischen seinen Spielern auftreten.

Der öffentlich gewordene Kabinenstreit, der Krach mit Hatem Ben Arfa, der nach Hause wollte und als krönender Abschluss Samir Nasris Wutausbruch nach dem Spanien-Spiel.

Die Franzosen stehen sich wieder einmal selbst im Weg, auch wenn Benzema nicht alles negativ sehen will. "Wir sind enttäuscht, aber wir haben das Viertelfinale erreicht. Dort, wo uns keiner erwartet hat." Hohe Ansprüche? Sie klingen anders.

Spanien - Frankreich: Daten zum Spiel

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