In Erfurt waren Sie von Januar 2016 bis Oktober 2017 angestellt. Im März 2018 wurden Sie Coach beim KFC Uerdingen in der Regionalliga. Kein einfacher Standort, wie man nach zahlreichen Trainerentlassungen mittlerweile weiß.
Krämer: Mir war schon bewusst, was auf mich lauert. Nach zahlreichen Gesprächen dachte ich aber, dass die Chance größer als das Risiko war. Mein Vorgänger Michael Wiesinger hat mit mir den Fußballlehrer gemacht - und dessen Entlassung hatte ich auch schon nicht verstanden.
Dabei war Ihre Anfangszeit in Uerdingen sehr erfolgreich: Sie haben elf Spiele in Folge gewonnen und sind am Ende in die 3. Liga aufgestiegen.
Krämer: In der Regionalliga hatte ich einen Punkteschnitt von 2,3, in der 3. Liga als Aufsteiger dann einen Schnitt von 1,8. Eigentlich nicht so schlecht. Nach mir waren nun sechs Trainer am Werk und der Verein ist immer noch in der 3. Liga.
Wie stark mischte sich denn Geldgeber Michail Ponomarew ins Tagesgeschehen ein?
Krämer: Die Kaderplanung macht nur er. Es gibt zwar ein Mitspracherecht, aber letztlich verpflichtet er die Spieler. Doch das fängt mit der Kaderplanung an und hört mit den Trainerentlassungen auf. Er versucht immer wieder, noch erfolgreicher zu werden.
Was für ein Typ ist er?
Krämer: Er ist sehr, sehr ehrgeizig und der Chef im Verein. Ich bin zwar kein unbequemer Trainer, aber ich halte meine Meinung nicht zurück. In dem Bereich, in dem ich die Verantwortung trage, treffe ich die letzte Entscheidung. Das geht ja auch nicht anders. Wenn das aber nicht mehr gewünscht ist, dann gehe ich halt nach Hause - und diese Einstellung kam anscheinend nicht immer gut an.
Der KFC investiert stark in den Kader, das heimische Grotenburg-Stadion war aber nicht drittligatauglich. Stattdessen musste man in der Schauinsland-Reisen-Arena in Duisburg spielen. Wie empfanden Sie das?
Krämer: Das war ein großes Problem. In der Regionalliga in der Grotenburg zu spielen, war einfach geil. Das Stadion ist zwar kein Schmuckkästchen, hat dafür aber Charme. Dort denkt man, die Europapokalspiele der 1980er Jahre seien erst gestern gewesen. Ich habe es nicht verstanden, warum wir dort nicht spielen durften. Andere Stadien in der 3. Liga besitzen zahlreiche Defizite. Letztlich hatten wir in der Folge nur Auswärtsspiele.
Ohne Heimstadion also kein anvisierter Aufstieg in die 2. Bundesliga?
Krämer: Ein gutes Heimstadion bringt dir mindestens zehn Punkte. Das hat die mögliche Raketen-Entwicklung des Vereins auf jeden Fall gestoppt. Für meine Nachfolger ist das nicht einfach, denn du musst erst einmal 38 Auswärtsspiele überstehen.
Im Januar 2019 wurden Sie in Uerdingen entlassen, nachdem sie die Hinrunde auf Rang drei beendet hatten. Seit Sommer stehen Sie beim Zweitliga-Absteiger 1. FC Magdeburg an der Seitenlinie - dem dritten Ost-Klub Ihrer Trainerkarriere.
Krämer: Ich habe den Eindruck, dass die Städte im Osten noch mehr für den Fußball leben. Wenn ich am Spieltag zum Stadion fahre, hat hier in Magdeburg gefühlt die halbe Stadt schon das Trikot an. Ich denke: Je schwieriger die Situation in der Stadt, desto enger die Bindung zum Verein. Ich habe ja schon in jedem Stadion in Deutschland gespielt, trainiert oder gescoutet, aber die Atmosphäre beim FCM ist wirklich einzigartig. Dann fahren noch Tausende Verrückte zu jedem Auswärtsspiel mit. Nach dem Spiel gegen Freiburg in der ersten Pokalrunde hat Christian Streich sogar gesagt, dass er noch nie in solch lauten einem Stadion gewesen ist. Und dies, obwohl das Stadion noch nicht einmal fertig umgebaut war und eine ganze Tribüne frei bleiben musste.
Sie sind an der Seitenlinie sehr engagiert und gehen emotional mit. Ihr großes Vorbild ist die Trainer-Legende Walerji Lobanowski von Dynamo Kiew, der für seine stoische Art bekannt ist. Wie passt das zusammen?
Krämer: Lobanowski ist nie von der Bank aufgestanden. Er war aber der erste Trainer, der mit Raumaufteilung gespielt hat. Als ich das erste Mal ein Spiel von ihm sah, musste ich die Videokassette bestimmt 20-mal vor- und zurückspulen. Ich konnte nicht glauben, dass die wirklich elf Mann waren. Das war ein anderer Sport! Er hat den modernen Fußball erfunden.
Sind Ihnen als besonders aktiver Coach eigentlich die neuen Regeln mit Gelben und Roten Karten für Trainer ein Dorn im Auge?
Krämer: Aus meiner Sicht sind diese unangebracht. Ich verstehe nicht, weshalb man die Emotionen herausnehmen will. Das liegt aber nicht an den Schiedsrichtern, sondern an denen, die diese Regeln erfinden.
Da wir gerade bei Lobanowski waren: Was schauen Sie sich denn heutzutage von Trainern ab?
Krämer: Ich versuche, jedes Champions-League-Spiel zu sehen. Als Trainer musst du dich weiterentwickeln und überlegen, was du dir von den Besten abschauen kannst. Ich finde aber auch, dass das Pressingspiel in der chilenischen Liga das Beste ist. Die machen das dort brutal. Daran muss ich immer denken, wenn mir irgendwer erzählen will, Verein XY lässt so tolles Pressing spielen.
Sie haben einmal gesagt, ein Tag ohne Fußball sei für Sie "scheiße".
Krämer: Ich werde oft gefragt, ob ich nicht die Sommerpause herbeisehne. Doch Stress habe ich nur, wenn ich keinen Fußball habe. Ich werde wahnsinnig, wenn ich zwei Wochen zu Hause bin. Auch die Zeit, in der ich keinen Job hatte, war für mich spannend. Es gibt da ja immer zwei Möglichkeiten: Entweder man sitzt nur auf der Couch herum und guckt sich Richterin Barbara Salesch an oder man nutzt diese Phasen. Ich hospitiere dann meist bei Kollegen oder schaue mich bei anderen Sportarten um. Das Angriffsspiel im Volleyball finde ich zum Beispiel überragend.
Eine andere Leidenschaft neben dem Fußball ist für Sie die Musik. Während Ihres Lehramtsstudiums in Köln haben Sie auch als DJ aufgelegt. Erzählen Sie!
Krämer: Ach, das ist lange her und war ja nicht professionell. Ich interessiere mich eben sehr für Musik und wollte damals auf Feiern keine schlechte Musik hören. Daher habe ich eben selbst aufgelegt. Musik mit Power finde ich einfach genial. Ich gebe aber zu: Als DJ war ich grottenschlecht. Ich habe früher auch viele Schallplatten gekauft und ging oft auf Konzerte. Ich liebte es, in Schallplatten-Läden zu stöbern und dort meine Zeit zu verbringen.
Was sagen Sie als Fan von "Musik mit Power" dann zum Musikgeschmack der heutigen Spielergeneration?
Krämer: Fürchterlich! Ich bin froh, dass ich meine eigene Kabine habe und mir das nicht immer anhören muss. Hin und wieder halte ich es ein paar Minuten aus, manchmal ergreife ich aber sofort die Flucht. Das ist aber auch nicht schlimm, da die Kabine der Bereich der Spieler ist.
Wenn die Musik für Sie fürchterlich ist, was halten Sie dann von der Sprache dieser jungen Leute?
Krämer: Manchmal sehr lustig. Ohne "Digga" oder "Alter" können die ja keinen Satz mehr beenden. Obwohl ich es gefühlt 100 Mal am Tag höre, habe ich bislang noch nicht einmal "Alter" gesagt. Das ist aber auch alles nicht dramatisch, sondern schlicht eine Entwicklung.