Richtig laut wurde es in der Kurve der RB-Anhänger, als Freiburgs Ermedin Demirovic seinen Elfmeter nur an die Latte setzte. RB Leipzig hatte mit dem DFB-Pokal erstmals in seiner Geschichte einen Titel gewonnen.
Geradezu ohrenbetäubend war gleichzeitig der Lärm in der gegenüberliegenden Kurve im Berliner Olympiastadion: Die Fans des SC Freiburg feierten ihre unterlegene Mannschaft als hätte sie gerade selbst den Pokal gewonnen. Und ihren Trainer. Seit Urzeiten im Verein, seit zehn Jahren Coach der Profimannschaft. "Christian Streich, du bist der beste Mann", hallte es durch die weitläufige Arena. Der Leipziger Jubel wurde davon einfach übertönt.
Als neutraler Beobachter musste man zwangsläufig in Richtung des Freiburger Geschehens blicken und den Leipziger Jubel außer Acht lassen. Denn die Geschichte des Abends passierte nun einmal auf dieser Seite des Stadions. Auch auf den riesigen Leinwänden war in diesem Moment Streich zu sehen. Vor seinen Fans stehend, die Emotionen ins Gesicht geschrieben.
So paradox es ist: Mit dem größten Erfolg in der Geschichte von RB Leipzig wurde an diesem denkwürdigen Finalabend das Hauptproblem dieses Konstruktes so deutlich herausgeschält wie nie zuvor. Das Marketingprojekt des österreichischen Limonadenherstellers Red Bull wird niemals so geliebt werden wie ein echter Fußballverein.
Freiburg-Fans in Berlin: "So wie du soll Fußball sein"
Wie zum Beispiel der SC Freiburg. Dessen Fans hatten es in ihrer Choreo vor dem Spiel gut auf den Punkt gebracht: "Einzigartiger Verein. So wie du soll Fußball sein", stand auf den Bannern in der Kurve. "So wie du soll Fußball sein." Subtext: eben nicht so wie RB.
Dabei kann man der Mannschaft der Leipziger überhaupt keinen Vorwurf machen. Nkunku, Laimer, Szoboszlai und viele andere im Team - das sind großartige Fußballer, denen man gerne beim Spielen zusieht. Doch das, was einen Verein einzigartig macht, fehlt bei RB Leipzig. Man ist ja rein juristisch noch nicht einmal ein richtiger Verein. Mehr noch: Es fehlt bei den Leipzigern an Atmosphäre, echten Emotionen und einer gewachsenen Liebe zum Verein. Das zeigten die Tage des Finales in Berlin ganz deutlich.
SC Freiburg: Pokalfinale der Höhepunkt ihres Fan-Lebens
Auf der einen Seite die Freiburger: Schon seit Freitag sah man überall in der Hauptstadt rote SCF-Trikots. In der U-Bahn, im Bus, auf den Plätzen, an den Dönerständen. Väter mit ihren Söhnen, ganze Familien über mehrere Generationen, Freunde. Wenn man mit ihnen sprach, wurde immer wieder klar: Der Trip nach Berlin ist der Höhepunkt ihres bisherigen Fan-Lebens.
Alles wurde in Bewegung gesetzt, um hier dabei zu sein. Dementsprechend war auch die Stimmung, besonders in den Stunden vor dem Spiel. Ein Fanfest auf dem Breitscheidplatz, später dann auf dem Theodor-Heuss-Platz, der lautstarke Fanmarsch in Richtung Olympiastadion durch die Stadt.
Alles wirkte natürlich und gut gelaunt, fast so als hätte sich ganz Freiburg auf den Weg in die Hauptstadt gemacht, um zu feiern. Im Stadion hatten die inbrünstigen Freiburger Fans dann über die komplette Spielzeit die absolute Kontrolle über die Stimmung.
RB Leipzig: Kein Interesse an Fußball-Party im Herzen Berlins
Dagegen sah man in den Stunden rund um das Spiel keinen Fan im RB-Trikot in den Straßen der Stadt. Es machte den Anschein, als wären alle Anhänger direkt auf das organisierte Fanfest auf dem Messegelände gekommen. Hier gab es Getränkestände, einen großen LED-Screen auf dem Red-Bull-Extremski-Videos liefen, Unterhaltungsprogramm mit Freestyle-Fußballer Marcel Gurk. Und eine Hüpfburg. Überall Red-Bull-Logos.
Interesse an einer großen Fußball-Party im Herzen Berlins gab es offensichtlich nicht. Man bleibt lieber unter sich. Irgendwie vielleicht auch verständlich. Denn als bekennender RB-Fan muss man sich bestimmt immer wieder auf die überdeutlichen Mängel im System RB ansprechen lassen. Und auf die fragwürdige Fankultur.
Sicherlich: Die 27.000 Plätze der Leipziger im Olympiastadion waren am Ende besetzt, die Kulisse keineswegs unwürdig. Doch am Tag vor dem Spiel hätte man dort noch Tickets bekommen können. Bei den Freiburgern undenkbar! Trotzdem war die Unterstützung kein Vergleich zum Auftritt im Europa-League-Halbfinale, wo nur ein paar hundert Fans die Leipziger Mannschaft vor Ort unterstützt hatten.
Aus der Perspektive des Konzerns Red Bull ist so etwas eine Katastrophe. Ziel aller Investitionen in den Fußball ist es ja, ein positives Bild auf die eigene Getränkemarke zu werfen - und dadurch ganz am Ende noch mehr Getränke zu verkaufen. Dieses Bild soll folgendermaßen zu Stande kommen: Sportliche Erfolge lösen positive Emotionen aus, die sich dann auf die Marke projizieren und danach eine Kaufentscheidung beeinflussen.
Red Bull wird sein Ziel mit RB Leipzig nicht erfüllen
Diese Hoffnung hat auch jeder normale Sponsor. Doch die Eindrücke vom Berliner Pokalwochenende lassen einen zu dem Schluss kommen: Kein Titel der Welt wird Red Bull an dieses Ziel bringen.
Man kann sicher sein: Selbst wenn RB nächstes Jahr das Finale der Champions League erreichte, würde nicht ein großer Teil Fußball-Deutschlands gespannt die Daumen drücken, so wie es vergangene Woche bei Eintracht Frankfurt im Europa-League-Finale der Fall war.
Weil die positiven Emotionen fehlen. Zu viel wurde falsch gemacht beim Aufbau dieses Konstrukts. Fehlende Mitbestimmung der Fans, zu viel Kontrolle aus der österreichischen Konzernzentrale, keine gewachsene Leidenschaft. Eben diese Bindung an den Verein, die die Freiburger Fans in Berlin alle spüren ließen.
In der Formel 1 oder im Freestyle-BMX sind solche Dinge nicht so wichtig. Im Fußball dagegen sind diese Werte elementar.
DFB-Pokal: Die Sieger der vergangenen Jahre im Überblick
Jahr | Mannschaft |
2022 | RB Leipzig |
2021 | Borussia Dortmund |
2020 | FC Bayern München |
2019 | FC Bayern München |
2018 | Eintracht Frankfurt |
2017 | Borussia Dortmund |
2016 | FC Bayern München |
2015 | VfL Wolfsburg |
2014 | FC Bayern München |
2013 | FC Bayern München |
2012 | Borussia Dortmund |
2011 | FC Schalke 04 |
2010 | FC Bayern München |