Es brodelte in Julian Nagelsmann. Der Bundestrainer hätte lieber nur über den EM-Härtetest gegen die Ukraine, das Comeback von Manuel Neuer oder den Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz gesprochen, doch eine Umfrage hat ihm die Stimmung ordentlich verhagelt.
"Ich war schockiert, dass solche Fragen gestellt werden. Ich finde es rassistisch", sagte Nagelsmann am Sonntagnachmittag in Herzogenaurach.
Die unliebsamen Störgeräusche waren vor der Begegnung am Montag (20.45 Uhr/ARD) im Nürnberger Max-Morlock-Stadion somit unüberhörbar.
Eine repräsentative Umfrage für die WDR-Sendung "Sport Inside" hatte für Wirbel gesorgt. Jeder Fünfte (21 Prozent) gab dabei an, dass er es besser fände, wenn wieder mehr weiße Spieler in der Nationalmannschaft spielen würden. Zudem sagten 17 Prozent der Befragten, dass sie es schade fänden, dass der DFB-Kapitän Ilkay Gündogan türkische Wurzeln habe.
Nagelsmann: Fragestellungen "ein Wahnsinn"
Nagelsmann nannte die Fragestellungen "einen Wahnsinn". Eine Fußballmannschaft könne schließlich "Vorbild sein, wie man verschiedene Kulturen und Hautfarben vereint und an einem gemeinschaftlichen Ziel arbeitet".
Co-Kapitän Joshua Kimmich hatte das heikle Thema schon tags zuvor souverän abmoderiert und klare Kante gegen Rassismus gezeigt. "Wer im Fußball aufgewachsen ist", betonte Kimmich, "der weiß, dass das absoluter Quatsch ist".
In der Mannschaft sei die Umfrage kein Thema gewesen, versicherte der Rechtsverteidiger - dazu passten auch die Bilder am Samstagabend. Nagelsmann und seine Nationalspieler fieberten beim Champions-League-Finale eifrig mit - jetzt sind sie zu eigenen Heldentaten bereit.
Unter den Augen des Bundeskanzlers soll die EM-Euphorie gegen die Ukraine mit dem dritten Sieg in Folge weiter befeuert werden. "Wir wollen unbedingt gewinnen, um im Flow zu bleiben und die positive Stimmung aufrechtzuerhalten", sagte Kimmich.
Elf Tage vor dem EM-Eröffnungsspiel muss Nagelsmann improvisieren
Zunächst jubelten Nagelsmann und seine Stars im "Home Ground" beim Partner adidas aber mit den strahlenden Königsklassen-Siegern Toni Kroos und Antonio Rüdiger, sie litten aber auch mit den unglücklichen Verlierern Niclas Füllkrug und Nico Schlotterbeck.
Das Quartett wird erst am Dienstag erwartet, elf Tage vor dem EM-Eröffnungsspiel gegen Schottland muss Nagelsmann improvisieren. Rüdiger und Kroos sind fester Bestandteil seiner Achse, auch Leroy Sane fehlt nach seiner Roten Karte im November in Österreich gegen die Ukraine letztmals gesperrt.
"Wir wollen die Dinge, die wir im März angestoßen haben, fortführen", sagte der Bundestrainer. Wie bei den mitreißenden Siegen in Frankreich (2:0) und gegen die Niederlande (2:1) soll seine Elf "Fußball zeigen, der Spaß macht".
Schon im Trainingslager im Weimarer Land und nach der Ankunft in Herzogenaurach sogen die Nationalspieler die gute Stimmung und den Trubel bei verschiedenen Aktionen regelrecht auf. "Die Fans betreiben Aufwand, das muss zurückgezahlt werden. Am Ende versuchen wir, das immer mit einem guten Ergebnis zu paaren", sagte Nagelsmann.
Manuel Neuer gegen die Ukraine wieder dabei
Der 36-Jährige kann gegen den EM-Teilnehmer Ukraine nach 550 Tagen wieder auf seine Nummer eins Neuer setzen. Zuletzt stand der langjährige Kapitän beim WM-Desaster 2022 in Katar im deutschen Tor. Neuer gebe einem "auf dem Platz ein unglaublich gutes Gefühl", betonte Kimmich.
Der Schlussmann hob noch einmal die Bedeutung des Spiels am Montag und der EM-Generalprobe am Freitag in Mönchengladbach gegen Griechenland hervor. "Das ist eine letzte Wasserstandsmeldung. Wenn wir positive Ergebnisse abliefern, lässt sich das erste EM-Spiel auch ein bisschen einfacher gestalten", sagte Neuer.
Im Training ging es ordentlich zur Sache, auch wenn Nagelsmann sich auf eine Startelf nahezu festgelegt hat. "Der Konkurrenzkampf ist trotzdem groß genug. Die Qualität ist sehr hoch", sagte Robert Andrich vom Doublesieger Bayer Leverkusen.
Einen Fokus legte Nagelsmann auf die offensiven Standards. "Es ist eine Stärke und kann Spiele entscheiden", erklärte Jonathan Tah. Auch das sahen Nagelsmann und seine Spieler beim Champions-League-Finale.