Außerdem spricht der 54-Jährige über die Kritik an der Überkommerzialisierung und "Bierhoffisierung" der Nationalmannschaft und verrät, was er während des legendären 7:1 gegen Brasilien im WM-Halbfinale 2014 gedacht hat.
Vor 20 Jahren, am 30. Juni 2002, haben Sie im WM-Finale Ihr letztes Länderspiel bestritten. War das aus Ihrer Sicht ein würdiger Abschluss oder war es eher unbefriedigend, weil Ihnen Rudi Völler Monate vorher die Kapitänsbinde abgenommen hatte und Sie im Turnier kein Stammspieler mehr waren?
Oliver Bierhoff: Das Verhältnis zu Rudi Völler ist immer gut gewesen, denn ich kann zwischen einem persönlichen Verhältnis und einer Trainerentscheidung schon unterscheiden. Insgesamt war die WM 2002 schön und ich habe versucht sie als meinen Einsatz bei der Nationalmannschaft zu genießen und noch mal alles zu geben. Es wäre natürlich etwas anderes gewesen, wenn wir das Endspiel gegen Brasilien gewonnen hätten. Ich konnte im Verlauf des Turniers zumindest noch mal ein Tor erzielen und bin im Finale eingewechselt worden, aber diese WM war sicher nicht der emotionale Höhepunkt meiner Karriere.
War schon vorher klar, dass Sie danach in der Nationalmannschaft aufhören?
Bierhoff: Ja, ich bin zur WM gefahren und wusste nicht, ob ich meine Laufbahn als Profi auch im Verein überhaupt noch fortsetze. Körperlich ging es zwar noch, aber ich hatte in dem Jahr gespürt, dass ich innerlich den Drang hatte, einen neuen Weg zu gehen. Der Kopf war dann doch schon manchmal an anderer Stelle. Ich hatte immer hohe Ansprüche an mich selbst und war trotz einiger Probleme in meiner Karriere spätestens seit meiner Zeit im Ausland in Salzburg und Italien in meinen Mannschaften fast immer Stammspieler. Deshalb wollte ich weiter im Klub wie in der Nationalmannschaft ein wichtiger Spieler sein, habe aber gemerkt, dass ich diesem Anspruch langsam nicht mehr gerecht werden kann. Aber ich habe ja dann noch ein Jahr bei Chievo Verona drangehängt.
Nach dem WM-Finale 2002 hat Jürgen Klinsmann als TV-Experte gesagt, alles sei bereitet für eine erfolgreiche Heim-WM vier Jahre später unter Rudi Völler. Sind Sie ähnlich wie Klinsmann damals auch davon ausgegangen, 2006 in Ihrer damals neuen Rolle als TV-Experte zu erleben?
Bierhoff: Ein Job beim DFB war damals jedenfalls kein Thema für mich. Ich hatte mich auf meine Zeit nach der Karriere gut vorbereitet und mit Anschlussverträgen als Markenbotschafter für Nike und Coca-Cola bis zur WM 2006 vorgesorgt. Zudem war ich gleichzeitig noch als TV-Experte tätig, also insgesamt ausreichend beschäftigt. Allerdings habe ich 2003 bei einem Besuch in den USA ganz zufällig Jürgen Klinsmann getroffen und habe damals gemerkt, dass er nach wie vor diese Fußball-Leidenschaft hat und wieder zurück auf den Platz will. Und als Rudi Völler dann 2004 nach dem frühen EM-Aus als Bundestrainer zurückgetreten ist, kam mir schon der Gedanke, dass der DFB eine ernsthafte Option werden könnte. Um den deutschen Fußball wieder voranzubringen.
Der Verband hat damals über Wochen vergeblich einen neuen Bundestrainer gesucht. Unter anderem sagten die favorisierten Ottmar Hitzfeld und Otto Rehhagel ab, ehe die Wahl auf Klinsmann fiel. Wie kamen Sie dann für den Posten des Nationalmannschafts-Managers ins Spiel?
Bierhoff: Ich war in Portugal bei der EM vor Ort und mit Günter Netzer und Wolfgang Niersbach essen, als wir die Nachricht von Völlers Rücktritt bekamen. Im ersten Moment habe ich nicht daran gedacht, dass ich in den Planungen eine Rolle spielen könnte. Ich hatte Klinsmann zwar geschrieben, "Jürgen, lass uns das zusammen machen", aber das war eher im Scherz. Ich glaube, Karl-Heinz Rummenigge hat mich dann erstmals für den Posten ins Gespräch gebracht, weil er glaubte, ein neuer Bundestrainer bräuchte Unterstützung an seiner Seite. Und dann war relativ schnell klar, dass Jürgen mich an seiner Seite haben wollte. Aber es gab weder beim DFB noch bei mir eine klare Vorstellung, wie der Job beim DFB überhaupt aussehen sollte. Ich musste sie erst selbst definieren, weil es diese Rolle bis dahin nicht gab.
Wie schnell haben Sie den Druck gespürt, wie viel auf dem Spiel steht, wenn man eine Heim-WM in den Sand setzt?
Bierhoff: Das ging ganz schnell. Es war schon eine extreme Situation und mit Blick auf das damals große Risiko zu scheitern, fast schon ein Himmelfahrtskommando. Wir standen nach dem Scheitern bei der EM und einem notwendigen Umbruch bei Punkt Null. Daran denkst du aber am Anfang nicht, weil man mit einem positiven Geist und viel Motivation an so eine Aufgabe geht. Dennoch haben wir sehr schnell gemerkt, welche Bedeutung dieses Turnier hat und welche Dynamik es entwickeln kann, positiv wie negativ. Vor allem Jürgen stand teilweise stark in der Kritik. Zu diesem Zeitpunkt musste ich intern wie in der Öffentlichkeit unsere Marschroute verteidigen und versuchen, die Wogen zu glätten, wenn Jürgen nicht in Deutschland, sondern in den USA war. Die Zeit damals war sehr intensiv und verging im Eiltempo.
Nach der 1:4-Niederlage Anfang März 2006 in Italien gab es Stimmen im DFB, die Jürgen Klinsmann und sein Team noch vor der WM ablösen wollten. Wie haben Sie das erlebt?
Bierhoff: Die Situation habe ich beim DFB noch weitere Male erlebt und mir war immer klar, dass ich im Falle eines Misserfolgs wahrscheinlich auch in diesen Sog gezogen werde. 2006 haben wir diese Stimmen natürlich vernommen und uns war allen bewusst, dass das der Niederlage gegen Italien folgende Spiel ein paar Wochen später gegen die USA entscheidend sein würde. Wir wussten: Wenn das schiefgeht, wird die Reißleine gezogen. Zumal das "Schattenkabinett" schon bereitstand (als Nachfolgekandidat galt der damalige DFB-Sportdirektor Matthias Sammer, Anmerkung der Redaktion). Aber es hat uns immer wieder stark gemacht, dass wir in solchen Phasen als Einheit aufgetreten sind, keine Angst hatten und das Ganze offensiv angegangen sind. Denn sobald du in die die Verteidigungsrolle kommst und nur noch versuchst, dich zu retten, ist das der Anfang vom Ende. Diese Erfahrungen haben uns zusammengeschweißt und uns als Team wachsen lassen.
Deutschland gewann dann ja gegen die USA und die WM wurde mit Klinsmann ein herausragender Erfolg. Welche Erinnerungen haben Sie noch an das Turnier?
Bierhoff: 2006 ist für mich ganz klar verbunden mit Jürgen Klinsmann als prägende Figur dieses Sommermärchens. Ich habe ihm unheimlich viel zu verdanken, weil er mich in diese Rolle gebracht hat und ich in dem gemeinsamen Schaffen viel von ihm lernen konnte. Ansonsten gibt es natürlich so viele Erinnerungen und Eindrücke, die ich gar nicht alle aufzählen kann: Das späte Siegtor gegen Polen durch Oliver Neuville nach Vorlage des eingewechselten David Odonkor. Das Elfmeterschießen gegen Argentinien mit dem Matchwinner Jens Lehmann, nachdem wir zuvor zwei Jahre lang Diskussionen hatten, ob er oder Oliver Kahn die Nummer eins im Tor sein sollte. Das sind nur zwei Beispiele dafür, dass bei diesem Turnier nahezu alle sportlichen Entscheidungen aufgegangen sind.
Am Ende stand der DFB aber wieder ohne Bundestrainer da ...
Bierhoff: Jürgen hat uns erst vor dem Spiel um Platz drei gegen Portugal mitgeteilt, dass er im Anschluss an die WM aufhört. Gespürt hatte ich aber eigentlich vorher schon, dass es so kommen wird. Für mich war schon vor dem Turnier während der Diskussionen über einen möglichen Klinsmann-Nachfolger Jogi Löw einer der Topkandidaten, auch wenn das im DFB zunächst nicht alle so gesehen haben. In der Begeisterung nach der erfolgreichen WM war Jogis Eignung aber überhaupt keine Frage mehr. Seine Beförderung vom Co- zum Cheftrainer war dann ein absoluter Glücksgriff für den deutschen Fußball.
Oliver Bierhoff als Aktiver
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