Die Zukunft des deutschen Fußballs ist eine große Baustelle. In der neuen DFB-Akademie werkeln überall die Bauarbeiter, Kabel hängen von den Decken und Bohrmaschinen dröhnen.
Und die geplante Übernahme von der Baufirma im nächsten Monat wird zum Wettlauf mit der Zeit. Aktuell fehlt zum Beispiel vor allem Holz, weil es in Russland hergestellt und der Ukraine veredelt wird. Ikea war da schneller und hat nach dem Ausbruch des Krieges sämtliches Holz auf dem deutschen Markt aufgekauft.
Es läuft nicht beim DFB, könnte man meinen, schließlich waren die vergangenen Monate mit mehreren Razzien der Steuerbehörden, dem frühen K.o. bei der Europameisterschaft und der anhaltenden Krise in der Verbandsführung alles andere als Werbung in eigener Sache.
Da passte auch ins Bild, dass die beiden Gastgeber bei der Führung einer ausgewählten Gruppe von Journalisten, darunter auch SPOX und GOAL, über den DFB-Campus fehlten: Sowohl Generalsekretärin Heike Ulrich als auch Akademie-Geschäftsführer Oliver Bierhoff (Corona) mussten krankheitsbedingt absagen.
Auch bei der Besichtigung des Gebäudes ist noch einiges Stückwerk zu erkennen. So sind weder die Spielerkabinen noch die Zimmer für die Auswahlkicker fertig und der Entmüdungsbereich wirkt etwas beengt.
A-Nationalmannschaften und U21 logieren weiter im Hotel
Für die A-Nationalmannschaften der Männer und Frauen sowie die U21 ist trotz 55.000 Quadratmetern Gesamtfläche ohnehin nicht genug Platz, so dass die Stars bei Lehrgängen weiter im Hotel logieren und nur auf dem Gelände trainieren werden. Dabei hatten sich die Kosten im Laufe der Bauzeit von ursprünglich veranschlagten 89 Millionen auf 150 Millionen Euro beinahe verdoppelt.
Der DFB also (weiter) eine einzige Baustelle? Diese Sichtweise, die vergangenes Jahr wohl noch mehrheitsfähig war, deckt sich nicht mehr mit den neuen Realitäten. Denn nicht nur sportlich unter dem neuen Bundestrainer Hansi Flick herrscht Aufbruchstimmung.
Führungsspitze ausgetauscht, Koch hört komplett auf
Auch die Führungsspitze ist beim Bundestag vor einem Monat nahezu komplett ausgetauscht worden, ein Drittel des Präsidiums ist plötzlich weiblich und in der engeren Führung um Präsident Bernd Neuendorf und dessen Vize Hans-Joachim Watzke sitzen praktisch nur neue Gesichter.
In dieses ganz andere Bild passte wiederum die Meldung, dass der aus dem Präsidium krachend abgewählte langjährige Strippenzieher Rainer Koch diese Woche als Konsequenz seiner Niederlage auch den Abschied von allen anderen Ämtern in UEFA, DFB-Vorstand und süddeutschem sowie bayrischem Regionalverband ankündigte.
Und so steht der Neubau der Akademie, der in Rekordzeit von nicht mal drei Jahren hochgezogen wurde, gleichsam symbolisch für einen Neustart im größten Sportverband der Welt.
Haupt: "Für den gesamten DFB ein Quantensprung"
"Für den gesamten DFB ist das ein Quantensprung, der Auftrieb verleiht", sagt Akademieleiter Tobias Haupt und zieht Parallelen zwischen Bauweise und eigener Philosophie: "Hell, weitläufig, offen, modern - genau die Werte, die wir als Akademie verkörpern wollen."
Dafür hat man sich auf dem neun Hektar großen Gelände der ehemaligen Galopprennbahn nach langem Ringen mit den Vorbesitzern "ein absolutes Filetstück" gesichert, wie ein hochrangiger DFB-Mitarbeiter erklärt.
Zwischen Innenstadt und Stadion gelegen nicht so weit außerhalb wie bisher die Otto-Fleck-Schneise im Stadtwald, geht der Blick aus den Büros auf die imposante Frankfurter Skyline.
DFB-Akademie: Zehn Jahre von der Idee bis zum Baubeginn
Allerdings hat es von der Idee des damaligen DFB-Sportdirektors Hansi Flick 2009 bis zum Baubeginn zehn Jahre gedauert, weil bis dahin erstmal zahlreiche Hürden zu nehmen waren, da der dort heimische Frankfurter Renn-Klub nicht freiwillig weichen wollte. Nun aber ist die Fertigstellung des beeindruckenden Baus in Sicht, Anfang Juli soll die offizielle Eröffnung stattfinden.
Und einige Vorzeigeobjekte sind auch schon so gut wie fertig, etwa die riesige, zwölf Meter hohe Fußballhalle in den FIFA-Originalmaßen von 105 mal 68 Meter, der einzigen in Europa. Die vier Naturrasenfelder sind ebenso wie die Beachsoccer-Anlage verlegt, womit der DFB erstmals in seiner 120-jährigen Geschichte über eigene Plätze verfügt und daher auch seinen ersten Greenkeeper eingestellt hat.
Auch in den großzügigen und offenen Räumlichkeiten im Obergeschoss arbeitet ein Teil der später insgesamt 600 DFB-Mitarbeiter bereits. "Erstmals sind Sport und Verwaltung unter einem Dach, das gibt es international so nirgendwo", sagt Haupt. "Kein anderer Verband hat das ganze Wissen an einem Ort gebündelt."
Bundesliga-Sportdirektoren von DFB-Akademie beeindruckt
Zudem soll der Campus offen sein für externe Entscheidungsträger, um somit einen dauerhaften Austausch auf höchstem Niveau zu implementieren. Die Sportdirektoren der Bundesligisten, die am Dienstag dieser Woche ebenfalls eine Führung durchs Haus bekamen, zeigten sich in jedem Fall vom ersten Blick hinter die Kulissen beeindruckt.
Zumal auch ihre Vereine von dieser Wissensschmiede profitieren sollen. Erkenntnisse etwa im Fitnessbereich, der Leistungsdiagnostik und aus dem "Tech Lab" sollen geteilt werden, um den deutschen Fußball insgesamt besser zu machen.
Dies ist auch das Ziel der relativ neuen Ausbildung von Sportdirektoren, Teammanagern und Leitern von Leistungszentren, die ebenso in der Akademie stattfinden wird wie die der künftigen Top-Trainer. "Ich freue mich schon, wenn der Pro-A-Lehrgang erstmals auf dem Balkon unseren Auswahlteams unten auf den Plätzen beim Training zuschauen wird", sagt Joti Chatzialexiou.
DFB-Ziel: "Auch nach 2026 Titelanwärter sein"
Dort unten auf dem Platz liegt der Fokus des Leiters Nationalmannschaften, denn die Akademie soll vor allem den DFB-Teams neuen Schwung geben. "Dies ist auch für die Nationalmannschaften eine neue Zeitrechnung", sagt Chatzialexiou. "Ziel ist es, den deutschen Fußball wieder auf die Beine zu stellen, um auch nach 2026 Titelanwärter zu sein."
Denn der Turnaround vor allem im Nachwuchs ist dringend nötig,nachdem es in der jüngsten Zeit relativ viele ernüchternde Resultate unterhalb der erfolgreichen U21 gab. So flog die U17 bei den letzten beiden Europameisterschaften schon in der Vorrunde raus und die U19 hat gerade sogar zum dritten Mal hintereinander die EM-Endrunde verpasst.
Chatzialexiou warnt vor langer Durststrecke für DFB-Teams
Im Gespräch mit SPOX und GOAL sagt Chatzialexiou, er stehe weiter zu seiner Aussage vor einigen Monaten, dass es im deutschen Nachwuchs "fünf vor zwölf" sei. Man habe sich "etwas auf vergangenen Erfolgen ausgeruht und notwendige Änderungen nicht mit der nötigen Vehemenz umsetzen können". Wenn es keine massiven Veränderungen gebe, "wird der deutsche Fußball nach der WM 2026 eine lange Durststrecke erleben".
Tatsächlich wird der herausragende Jahrgang 95/96, zu dem unter anderem Joshua Kimmich, Niklas Süle, Leroy Sane und Timo Werner gehören, dann mit 30 bzw. 31 Jahren langsam seinen Zenit überschritten haben. Dahinter aber klafft eine große Lücke, wobei in jüngster Zeit doch wieder einige Youngster wie Florian Wirtz, Jamal Musiala oder auch David Raum Hoffnung machen.
"Auf einigen Positionen fehlen uns nach wie vor die Toptalente"
"Uns freut natürlich die Entwicklung dieser Jungs", sagt Chatzialexiou. "Aber wir wollen dem Bundestrainer noch viel mehr Auswahl geben, denn auf einigen Positionen fehlen uns nach wie vor die Toptalente."
Der 46-Jährige, der schon seit 2003 beim DFB arbeitet, weiß aus eigener Erfahrung, dass so etwas Zeit braucht. Als die überalterte DFB-Auswahl bei der EM 2000 schon in der Vorrunde kläglich ausschied, war das der entscheidende Impuls für die flächendeckende Einführung der Nachwuchsleistungszentren der Bundesligisten.
Doch erst knapp zehn Jahre später zeigte das im Seniorenbereich sichtbare Früchte, als der Jahrgang um Manuel Neuer, Mats Hummels, Jerome Boateng, Mesut Özil und Sami Khedira zur A-Mannschaft stieß und 2014 maßgeblichen Anteil am WM-Triumph in Brasilien hatte.
Vorbild für den DFB: Dänemark, Belgien und die Niederlande
Auch deshalb hat sich Chatzialexiou in den vergangenen Jahren weit über 100 Leistungszentren weltweit angeschaut und ausgerechnet kleinere Länder wie Dänemark, Belgien und die Niederlande als Vorbilder entdeckt: "Diese drei Nationen machen uns vor, wie sie aus wenig sehr viel machen und viele gute Spieler entwickeln."
Einen ähnlichen, wenngleich eigenständigen Weg will man nun auch im DFB gehen und setzt gerade deshalb die großen Hoffnungen in das neue Zuhause am Main, sagt Chatzialexiou: "Die Akademie steht absolut für Aufbruch und symbolisch für den Turnaround."