Auswärtsspiel - die SPOX-Kolumne: Leroy Sane ist der perfekte Sandsack

Von Fatih Demireli
Leroy Sane ist der perfekte Sandsack.
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Leroy Sane ist der perfekte Sandsack, wenn mal wieder Frust an der Nationalmannschaft abgelassen werden muss. Der Superstar des FC Bayern kämpft seit Jahren um den Zuspruch auf DFB-Ebene. Dass er ihn nicht bekommt, hat nicht nur sportliche Gründe.

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Das Entsetzen in Wembley ist groß. 40.000 Engländer können nicht glauben, was sie da gerade erlebt haben. Leroy Sane, der erst zur Halbzeit für Kai Havertz ins Spiel kam, nimmt auf Höhe der Mittellinie den Ball nach Zuspiel von Joshua Kimmich perfekt mit, zieht mit Tempodribbling ins Halbfeld, lässt Kalvin Phillips aussteigen und donnert den Ball aus 25 Metern mit links ins untere rechte Eck.

Vier Minuten später, diesmal ist es Thomas Müller, der Sane findet. Eine Finte, zweite Finte. Nur noch Jordan Pickford vor Sane, der gekonnt den Ball in die linke Ecke schiebt. 2:1 nach 0:1-Rückstand zur Pause. Weil es einfach ein perfekter Abend werden muss, gewinnt Sane kurz vor Schluss noch einen brutal wichtigen Zweikampf beim Konter über Phil Foden und verhindert eine Großchance, die zum Ausgleich hätte führen können.

Deutschland gewinnt und steht im Viertelfinale. Englische Medien fragen Manchester City, wie man diesen Leroy Sane für so wenig Geld verkaufen konnte. Gary Lineker schreibt irgendetwas über "22 Spieler" und "am Ende Deutschland". Währenddessen wird in Deutschland Leroy Sane gefeiert. "Das war erste Sane", titelt die Bild und schreibt am nächsten Tag, wie dieser Leroy Sane privat tickt. Vom Kicker gibt es eine großartige 2,5 für Sane. Die Süddeutsche widmet ihm seine dritte Seite. SPOX erklärt in einer Diashow (mindestens!), warum Sane so wichtig ist.

Man wird sagen, dass Sane endlich angekommen ist. Und in den sozialen Medien wird er gefeiert als großer Held, der England die nächste Schmach gegen Deutschland beibrachte. Der Hype dauert genau vier Tage. Bis zum Spiel gegen die Schweden in Rom, wo Sane in der Startelf spielt, aber keinen Zugriff ins Spiel findet und nach 60 Minuten runter muss. Alle Loblieder verstummen. Sane ist zurück in seiner gewohnten Rolle.

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DFB-Team: Leroy Sane hat ein niedriges Beliebtheitskonto

Willkommen zurück in der Realität. Natürlich war eingangs viel Fantasie dabei und die Umsetzung des Drehbuchs wäre aus deutscher Sicht zu schön, um wahr zu sein. Aber bei genauer Betrachtung kann man davon ja fast nichts ausschließen. Dass Leroy Sane das Zeug dazu hat, ein Spiel im Alleingang zu drehen und als Matchwinner vom Platz zu gehen, ist nicht ausgeschlossen. Talent und Erfahrung lassen diese Erwartungen zu. Zur Wahrheit gehört aber wohl auch, dass ein Spiel nicht ausreichen würde, um Sane zum ewigen Liebling der Nation zu erklären.

Sane hat ein verblüffend niedriges Beliebtheitskonto, das schneller ins Minus rutscht als das vieler anderer Kollegen. Sane gehört wohl zu den Spielern, die niemals eine ganze Fußball-Nation hinter sich vereinen werden. Eher wird nur darauf gewartet, bis der nächste Rückschlag kommt. Nach dem 2:2 gegen Ungarn, das gerade noch zum Einzug ins Achtelfinale der EM langte, erhoben sich erneut die Stimmen gegen Sane. Keine einzige Sekunde soll er mehr für den DFB spielen. Drei Ausrufezeichen und Hashtag.

Man kann sich kaum vorstellen, wie groß die Wucht gewesen wäre, wenn Deutschland tatsächlich ausgeschieden wäre. Man hätte in Sane den perfekten Sandsack gefunden, an dem man die Wut und Enttäuschung wochenlang abgearbeitet hätte. Bis es nicht mehr geht. Doch woran liegt es, dass eines der größten Versprechen des deutschen Fußballs in den vergangenen Jahren immer mehr zum größten Buhmann verkommt, wenn er bei der Nationalmannschaft ist? Warum werden Erinnerungen an Mesut Özil wach, der gerade im zweiten Teil seiner Nationalmannschaftskarriere, weit vor den Foto-Diskussionen, eine ähnliche Ablehnung erlebte?

Sane schoss 39 Tore und lieferte 45 Torvorlagen in 135 Spielen für Manchester City. Für den FC Bayern sind es zehn Tore und zwölf Vorlagen in 44 Spielen. Er generierte knapp 100 Millionen Euro Ablöse in seiner Karriere. Der FC Bayern gab ihm die Nummer 10, die vorher Klub-Legende Arjen Robben gehörte. Blickt man auf die Nationalmannschaftskarriere, lesen sich die Zahlen schon schlechter. Seit 2015 spielte Sane nur 33-mal für Deutschland. Sein Minutendurchschnitt liegt bei unter 60 Minuten.

Sane: Keine sportlichen Ansatzpunkte? Die Mentalität war's

Die bisher noch wackelige DFB-Laufbahn belastet die Atmosphäre. Gilt es, einen Misserfolg zuzuordnen, ist die Lage klar: Leroy war's. Funktioniert das Offensivkonzept nicht: Leroy war's. Findet man keine sportlichen Ansatzpunkte und muss die Mentalität der Nationalspieler kritisieren: Leroy war's. Die teils vergiftete Stimmung lässt auch erahnen, dass es nicht nur sportliche Gründe sind, die Sane den Schutz vor grenzenloser Kritik rauben.

Sane gibt nicht das Bild des braven Burschen von nebenan ab. Kleidung und Fuhrpark werden bei ihm oft thematisiert. Im Boulevard tauchen immer wieder Preisschilder von diversen T-Shirts und Pullis auf. Fehlt bisher nur das Goldsteak, aber das traut man ihm auch zu. Als wäre es eine Straftat und als wäre Sane der einzige Fußball-Profi, der sein Geld für Luxus ausgibt.

Geschlossen Zuspruch bekam er wohl nur einziges Mal, als bei einem Länderspiel zwischen Deutschland und Serbien in Wolfsburg im Jahr 2019 Sane und dessen Kollege Ilkay Gündogan rassistisch beleidigt wurden. Ein emotionales Video von Journalist Dre Voigt, der die rassistischen Rufe hautnah miterlebte, sorgte damals für großes Aufsehen. Sane und Gündogan erhielten damals große Unterstützung, doch sie blieb nur kurze Zeit.

Über Jahre ist ein Profil entstanden, das Sane im Weg steht, nachhaltig Zuspruch zu bekommen. Auch Joachim Löw hat seinen Beitrag dazu geleistet, dass Sane immer wieder hinterfragt wurde. Als Sane 2016 die Bundesliga verzückte und mit seinen Leistungen das Interesse aller möglichen Großklubs auf sich zog, bekam Sane bei der EURO 2016 nur einen Kurzeinsatz. Nach dem Turnier spielte er bei seinem neuen Klub Manchester City und das regelmäßig.

Man muss Leroy Sane zugestehen, dass er so ist, wie er ist

Als er 2018 zum besten Rookie der Premier League gewählt wurde und mit großem Selbstvertrauen zur Nationalmannschaft kam, strich ihn Löw aus dem endgültigen Kader für das WM-Turnier, obwohl es ansatzweise keinen einzigen Spieler im Kader gab, der die Rolle Sanes ausfüllen konnte.

Dass Löw keine konkreten Gründe nannte und im selben Atemzug der damalige DFB-Vizepräsident Rainer Koch live im TV darüber schwadronierte, es seien "interne Gründe" gewesen, die zur Ausbootung Sanes geführt hätten, machte das Chaos perfekt. Auch wenn Löw dem widersprach und sagte, dass Koch von den Gründen keine Ahnung habe. Es waren Diskussionen, die das Bild Sanes kaum verbesserten.

Und auch bei der EURO 2020 strich er Sane vor Turnierbeginn wieder aus der Startelf, obwohl dieser zuvor eigentlich als gesetzt schien.

Noch ist Sane erst 25 Jahre alt und noch darf man die Hoffnung nicht aufgeben, dass irgendwann auch die Nationalmannschaftskarriere funktioniert. Doch dafür muss ihm jeder zugestehen, dass er so ist, wie er ist.

Leroy Sane: Statistiken in der Nationalmannschaft

WettbewerbSpieleToreVorlagenGespielte Minuten
Freundschaftsspiele122-765
UEFA Nations League82-450
WM-Qualifikation6-3372
Europameisterschaft4--120
EM-Qualifikation331270
Insgesamt33741.977
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