Blütezeit der Generationen

Von SPOX
Deutschland trifft im WM-Finale am Sonntag auf Argentinien
© getty

Die deutsche Nationalmannschaft steht gegen Argentinien nicht nur vor der Vollendung einer Mission (So., 21 Uhr im LIVE-TICKER). Mit einem Sieg im Finale von Rio de Janeiro würde die "Goldene Generation" endlich vollkommen sein. Als Anschauungsbeispiel dient ein letztes Mal der entthronte Weltmeister.

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Ein letztes Mal der Spanien-Vergleich. Eine Parallele mit dieser Mannschaft, die den Weltfußball vier Jahre lang beherrscht hat. Der deutschen Nationalmannschaft wurde im Vorlauf der Europameisterschaft 2012 betörender Fußball und der beste Kader aller Zeiten beschieden. Die Europameister von '72 waren die Referenzgröße.

Gereicht hat es nicht zum ersten großen Titel nach 16 Jahren. Weil Kleinigkeiten gefehlt haben, es ein paar Vergehen zu viel gab während einer schwachen Halbzeit gegen Italien. Kaum einer wäre damals auf die Idee gekommen, dass es dieser Mannschaft an einer kleinen, aber entscheidenden Portion Erfahrung gefehlt haben könnte.

Fünf herbe Niederlagen in sechs Jahren

Das Gros des Kaders und sieben der elf Starter gegen Italien hatten mit Bayern München wenige Wochen zuvor das Champions-League-Finale auf die denkbar grausame Art verloren. Es war das nächste Negativerlebnis innerhalb kürzester Zeit für Spieler wie Philipp Lahm oder Bastian Schweinsteiger.

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WM-Halbfinale-Aus 2006, EM-Finalniederlage 2008, Champions-League-Finalniederlage 2010, WM-Habfinal-Aus 2010. Dann das Finale in der Allianz Arena. Fünf krachende Niederlagen in sechs Jahren. Auch die etwas jüngere Riege, Holger Badstuber, Mario Gomez und Toni Kroos, hatte schon zu viel unliebsame Erfahrungen mit großen Enttäuschungen machen müssen.

Spanien musste 40 Jahre warten

Die ungekrönten Könige aller Enttäuschten waren aber jahrzehntelang die Spieler aus Spanien. Vor gefühlt jedem Turnier gehörte Spanien zumindest zum Dunstkreis der Favoriten. 40 Jahre lang scheiterten die Mannschaften auf jede erdenkliche Weise. Niemand sonst musste so lange Anlauf nehmen, bis der Durchbruch dann 2008 mit dem Finale von Wien endlich gelang.

Die Altersstruktur und der Grad der Erfahrung, die Spaniens Mannschaft damals mitbrachten, waren mit denen der deutschen Mannschaft von 2012 vergleichbar - und irgendwie auch nicht.

Deutschland war bei den messbaren Parametern top, aber es fehlten doch entscheidende Zutaten: Ein, vielleicht zwei Jahre der Reife. Und die Gewissheit, auch auf internationalem Parkett die ganz großen Titel gewinnen zu können.

Die nötige Reife erlangt?

Spanien wurde im Finale damals Europameister mit Iker Casillas (27), Carles Puyol (30), Carlos Marchena (29), Joan Capdevilla (30), Marcos Senna (31) und Xavi (28). Dazu die jungen Emporkömmlinge Sergio Ramos (22), David Silva (22), Andres Iniesta (24), Cesc Fabregas (21) und Fernando Torres (24). Es waren Spieler dabei, die wussten, wie man die Champions League gewinnt.

26,2 Jahre alt war die spanische Startelf damals, zwei Jahre später - auf dem Zenit ihres Schaffens beim Gewinn des WM-Titels - war die Startelf im Finale 26,8 Jahre alt.

In diesem Rahmen bewegt sich auch die voraussichtlich deutsche Elf, die am Sonntag gegen Argentinien um den vierten Titel der DFB-Historie und den ersten ihrer Generation kämpft. 27,2 Jahre alt wird Joachim Löws Mannschaft sein, die er im Vergleich zu den beiden Partien gegen Brasilien und Frankreich nicht ändern will.

Beim Ausscheiden gegen Italien, Löws schwärzester Stunde als Bundestrainer, lag der Altersschnitt bei gerade einmal 24,8 Jahren. Kein Einziger Spieler in der Startformation war 30 Jahre oder älter.

"Wir sind jetzt bereit"

Seitdem sind die tragenden Säulen nicht nur zwei Jahre gereift, sie haben auch einschneidende (Erfolgs-)Erlebnisse erfahren dürfen. Die voraussichtlich sechs Bayern-Spieler in der Startelf haben vor einem Jahr das Triple geholt und ihr Image der ewigen Verlierer auf Vereinsebene abgestreift.

Dazu kommt Sami Khedira, der erst vor wenigen Wochen in den süßen Genuss des Champions-League-Triumphs gekommen war.

"Wir haben hart darauf hin gearbeitet, haben uns als Mannschaft kontinuierlich weiterentwickelt. Wir sind jetzt bereit", sagt Löw in den Tagen vor dem wichtigsten Spiel seiner Karriere. Gegen Brasilien war erkennbar, dass hier eine Mannschaft auf genau diesen einen Tag hingearbeitet hatte.

Man habe darauf gewartet, hatte Löw vor der Partie gesagt. Darauf gewartet, es dieses Mal besser zu machen als in den letzten Jahren. Sehen konnte man das in fast jeder Minute dieser denkwürdigen Partie.

Lahms Vertrauen

Als Philipp Lahm in den Katakomben der Arena in Warschau vor zwei Jahren nach den Konsequenzen der erneuten schmerzvollen Niederlage gegen Italien befragt wurde und als die Frage im Raum stand, ob man die grundsätzliche Konzeption der Nationalmannschaft nun überdenken müsse, wurde der Kapitän für seine Verhältnisse richtig unwirsch.

"Überhaupt nicht!", sagt Lahm damals. "Ich denke, dass sich in unserer Mannschaft einiges entwickelt hat und wir absolut konkurrenzfähig sind und talentierte junge Spieler haben."

Und dann fügte er noch zwei wichtige Sätze an, die sich nun beim nächsten großen Turnier als wahr herausstellen sollten. "Die Zukunft sieht deshalb sehr gut aus, weil hinten dran die ganzen jungen Spieler sind, die darauf warten, solche Turniere zu spielen. Das hat man auch in diesem Turnier gesehen."

Die U-21-Europameister

Diese jungen Spieler, das sind Mats Hummels, Jerome Boateng oder Mesut Özil. Zusammen mit Manuel Neuer, Benedikt Höwedes und Sami Khedira haben sie vor fünf Jahren den Europameistertitel der U-21-Junioren gewonnen. Zusammen mit der U-20-Weltmeisterschaft der wichtigste Titel im Juniorenbereich. Es war der letzte, den eine Auswahl des DFB holen konnte.

Diese Generation gemischt mit den alten Hasen Lahm, Schweinsteiger, Per Mertesacker, Lukas Podolski und Miroslav Klose ist die Mixtur, aus der die WM-Träume sind. Löw selbst hatte einst den Begriff der "Goldenen Generation" formuliert. Es war bei seinem Amtsantritt als Bundestrainer vor acht Jahren. Seitdem verfolgt dieses Bild die Mannschaft

"Sind wir eine goldene Generation? Dafür müssten wir erst mal etwas gewinnen. Bisher sind wir immer nur Zweiter oder Dritter geworden", sagt Boateng.

Noch ein letzter Schritt

Der Blick auf dieses glänzende Produkt deutscher Ausbildungskunst wurde immer nebliger, die goldene Generation schien zu verblassen, noch ehe sie zu einer werden konnte.

Ihre Protagonisten haben daraus gelernt, sie lassen sich nicht mehr so schnell anstecken vom Schwarz-Weiß-Denken. "Wir haben gemeinsam gelernt, die Dinge richtig einzuordnen. Hier hebt niemand nach einem Sieg ab und keiner verzweifelt an einer Niederlage. Wir gehen mit unseren Leistungen sehr sachlich um", sagte Abwehrchef Hummels, der nach einer guten EM mit dem persönlichen Makel des Italien-Spiels bisher eine formidable Weltmeisterschaft spielt.

Die deutsche Mannschaft macht sich bereit für den letzten Schritt, für das wichtigste Spieler ihrer Karrieren. Weltmeister: diesen Titel trägt man für immer. Die Zeit dafür schien nie besser.

Deutschlands Weg ins Finale