Bundestrainer Joachim Löw ist wahrlich nicht als Lautsprecher bekannt. Rund ein Jahr vor der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine lehnt sich der 51-Jährige für seine Verhältnisse aber recht weit aus dem Fenster.
"Wir 2012 schon von Anfang an mit dem Ziel zur EM, den Titel zu gewinnen. Und ich habe im Moment ein sehr gutes Bauchgefühl", sagte Löw in einem Interview mit der "Bild am Sonntag".
"Werden zum Confed-Cup gehen..."
"Wer kommt momentan denn in unseren Bereich? Spanien, Niederlande? Ja! England, Frankreich, Italien, Portugal? Vielleicht! Aber wenn wir so spielen wie bei der WM und sogar noch ein Stückchen besser, dann wird es sehr schwer, uns zu schlagen", legte Löw nach.
"Das habe ich der Mannschaft auch so gesagt. Es muss in die Köpfe der Spieler, dass wir jetzt einen Titel gewinnen wollen."
Indirekt geht Löw sogar schon von einem erfolgreichen Abschneiden beim Endturnier im kommenden Jahr aus. "Wir werden 2013 nach Brasilien gehen, zum Confed-Cup", sagte Löw mit einem Lächeln. Für den Confed-Cup qualifizieren sich neben dem Gastgeber und dem Weltmeister nur die sechs kontinentalen Meister.
Das DFB-Team führt seine Qualifikationsgruppe A derzeit mit fünf Punkten Vorsprung auf Belgien souverän an und ist auf dem besten Weg zur EM.
"Wenn wir jetzt die beiden Spiele in Österreich und Aserbaidschan gewinnen, haben wir die Tür zur EM sehr, sehr weit geöffnet. Dann müsste schon viel schieflaufen, damit wir uns nicht qualifizieren."
Löw warnt vor übertriebener Euphorie
Der Bundestrainer warnte zudem vor übertriebener Euphorie um Jungstars wie Mario Götze, Marco Reus oder Andre Schürrle.
"Götze ist ein Ausnahmetalent, die anderen Dortmunder, Schürrle, Reuss, das sind alles gute Spieler. Aber die Frage ist: Wer schafft es bis an die Spitze? Es gab immer wieder große Talente, die aber den ganz großen Sprung nicht geschafft haben."
Der Maßstab seien Thomas Müller, Sami Khedira, Manuel Neuer und Mesut Özil, die im vergangenen Jahr bei der WM in Südafrika den internationalen Durchbruch geschafft hätten.
Löw: "Natürlich haben wir auch jetzt gute, junge Spieler. Aber ein gutes Bundesliga-Jahr reicht nicht, um internationalen Anforderungen gerecht zu werden. Ich sehe sie noch nicht auf dem europäischen Top-Niveau."
Leise Kritik an Kroos
Leise Kritik übte Löw an Münchner Toni Kroos, der in der vergangenen Saison bei den Bayern seinen Entwicklungsprozess nicht wie erhofft fortgesetzt habe.
"Sie müssen jetzt Kontinuität beweisen und dabei zeigen, ob sie auf allerhöchstem Niveau mithalten können. Ein Toni Kroos etwa wurde wie auch Götze als Ausnahmetalent gehandelt. Aber seine Leistungen waren zuletzt nicht mehr so herausragend wie noch vor einem Jahr in Leverkusen."
Job als Vereinstrainer?
Miroslav Klose rät Löw, nun doch noch für ein Jahr bei den Bayern zu verlängern. "Geh nach deinem Gefühl", habe er Klose gesagt. "Rede mit dem Trainer, frage, was er will - und dann entscheide dich. Denn wenn du wirklich gut bist, wird dich keiner bei Bayern wegschicken."
In einem vom neuen Bayern-Trainer Jupp Heynckes als Alternative geplanten 4-4-2-System würden sich Kloses Chancen auf mehr Einsatzzeiten deutlich erhöhen.
Für seine persönliche Zukunft lässt sich Löw quasi alle Optionen offen. Nach Ende seines Vertrages als Nationalcoach beim Deutschen Fußball-Bund könnte er sich "einen Job als Vereinstrainer gut vorstellen". Bisher ist sein Arbeitspapier beim DFB bis Juni 2014 gültig.
Mitleid mit Ballack
Auch zum ewigen Hickhack um Kapitän a.D. Michael Ballack nahm Löw erneut Stellung. Es riecht dabei immer mehr nach Abschied.
"Michael und ich haben vereinbart, dass wir nach den Länderspielen noch einmal sprechen. Dem möchte ich nicht vorgreifen", betonte Löw. Man habe sich intensiv ausgetauscht, "und Michael kennt meine Meinung. Deshalb wird es ein abschließendes Gespräch geben".
Erstmals berichtete Löw von Ballacks Besuch bei der deutschen WM-Elf in Südafrika. Ballack "hatte plötzlich das Gefühl, dass er nicht mehr dazugehört. Wir waren eine funktionierende Einheit, jeder hatte seine Aufgabe - Spieler, Trainer, Masseur, Physio, einfach jeder. Und wenn dann jemand kommt, der aktuell nicht zum Team gehört, der keine Aufgabe hat, der fühlt sich natürlich ein Stück außen vor und unwohl. So ist es Michael auch gegangen", zeigte Löw beinahe ein wenig Mitleid mit dem 98-maligen Nationalspieler.
"Er hat gespürt, dass er in dem Moment kein Teil der Mannschaft war. Gerade für Michael war das nicht leicht, er war ja schon bei so vielen Turnieren dabei und der Mittelpunkt. Auch darüber haben wir jetzt gesprochen."
Die EM-Qualifikation im Überblick