Als Trainer Niko Kovac am Mittwochabend gegen 22.30 Uhr, es brach gerade die Schlussviertelstunde des Spiels an, ganz allein in seiner auf einmal riesig wirkenden Coachingzone stand und der Regen nur so auf ihn niederprasselte, wird er sie sich ganz tief drinnen wohl doch gewünscht haben: Holla die Waldfee. Und das, obwohl er vor dem Spiel noch gesagt hatte, dass sie in der Allianz Arena gar nicht willkommen sei. "Man wird nicht erwarten können, dass wir die Maske abreißen und Holla die Waldfee nach vorne rennen", hatte er auf der Pressekonferenz verkündet.
Jetzt aber hätte seine Mannschaft genau das machen müssen: Maske abreißen! Holla die Waldfee nach vorne rennen! Es stand schließlich 2:1 für Liverpool und der FC Bayern brauchte für ein Weiterkommen noch zwei Tore. Aber es kam nichts, einfach nichts. Ein Schuss von Leon Goretzka wurde geblockt, einer von Renato Sanches ging links vorbei - und dann machte Sadio Mane mit seinem Treffer zum 3:1 auf der anderen Seite alles klar. Ein Aufbäumen des FC Bayern blieb gänzlich aus.
Es war die komische Krönung eines komischen Champions-League-Auftritts des FC Bayern. Vor dem Spiel hatte der Verein zwar eine Klatschpappen-Pack-Mas-Choreo auf die Ränge zaubern lassen, aber der wirkliche Glaube an diese Botschaft war zu keinem Zeitpunkt zu spüren. Nicht auf dem Platz und folglich auch nicht auf den Rängen. Nicht am Anfang, als es noch 0:0 stand, und auch nicht am Ende, als die Mannschaft nicht einmal eine Schlussoffensive wagte. Knapp fünf Minuten vor Abpfiff war das Stadion halbleer. Die Fans gingen enttäuscht, weil sie nicht mehr daran glaubten, dass Holla die Waldfee doch noch kommen wird. Recht sollten sie behalten.
Kovac und seine Spieler sind uneinig über die Ausrichtung
Als die Spieler dann nacheinander in der Mixed Zone eintrudelten, kommentierten sie das Geschehen so gefasst und beinahe ergeben, wie sie es zuvor auf dem Platz über sich hatten ergehen lassen. "Unter dem Strich geht das hier in Ordnung", erklärte Kapitän Manuel Neuer. "Wir hatten keine Argumente, um weiterzukommen", sagte Robert Lewandowski und Mats Hummels befand: "Das Ausscheiden ist diesmal nicht so bitter wie in den vergangenen beiden Jahren." Warum? Weil seine Mannschaft diesmal eher chancenlos war.
Und das lag auch an Kovacs Taktik. Beim Hinspiel wurde er für seine defensive Ausrichtung noch gelobt, ein 0:0 holt man an der Anfield Road bekanntlich nicht aller Tage. Dieses Ergebnis implizierte aber, dass Kovacs Mannschaft im Rückspiel im eigenen Stadion zum Weiterkommen Tore benötigte. Zumindest etwas mehr Mut wäre also wünschenswert und auch durchaus vertretbar gewesen. Kovac wollte davon nichts wissen und rechtfertigte sich nach dem Spiel: "Wenn man zu früh aufmacht, dann kann es ziemlich in die Hose gehen."
Seine Spieler sahen das jedoch etwas anders. Allen voran Stürmer Robert Lewandowski, der vorne manchmal allzu verlassen durch die Gegend lief und zweikämpfte. "In beiden Spielen haben wir zu defensiv gespielt", sagte er. "Wir sind zu wenig Risiko gegangen. Wir haben zwar zuhause gespielt, aber es war nicht 'unser' Spiel. Ich finde, wir standen zu tief. Wir wollten nicht zu viel riskieren und ich weiß nicht, warum." Sein Kollege Hummels ergänzte: "Es war zu wenig druckvoll, nicht aktiv, sondern ein bisschen zu passiv von uns für ein Heimspiel. Im Nachhinein gesehen wäre es vielleicht anders ausgegangen, wenn wir aktiver gewesen wären."
Ribery, James und Lewandowski enttäuschen
Der FC Bayern war zwar zunächst die etwas dominantere Mannschaft, ohne daraus jedoch Profit zu schlagen. "Wenn du viel Ballbesitz in der eigenen Hälfte hast, dann fühlt es sich nicht so an, als ob du gefährlich bist", sagte Neuer. Er sah von seiner Torhüterposition aus einen Franck Ribery, der auf dem linken Flügel zwar viele Bälle forderte, diese dann aber in beeindruckender Konsequenz wieder vertändelte. Einen James, dem die zuletzt bei ihm nur so heraussprudelnden Ideen fast gänzlich fehlten. Und einen Lewandowski, der in einem wichtigen Spiel mal wieder enttäuschte. Der mehr haderte, als aufs Tor zu schießen.
Die einzigen wirklichen Chancen des FC Bayern waren ein Distanzschuss von Thiago, der drüber ging, und das Eigentor von Liverpools Joel Matip zum zwischenzeitlichen 1:1. Dass es zuvor 1:0 für Liverpool stand, lag nicht etwa daran, dass Liverpool übermäßig gefährlich gewesen wäre. Nein, es lag daran, dass Rafinha und Neuer Sadio Mane recht einfach dessen Führungstor ermöglichten.
Ob dieser Treffer Kovacs Matchplan, der offensichtlich vorsah, so lange wie möglich das 0:0 zu halten und dann halt mal zu schauen, zerstörte, wurde David Alaba gefragt und er sagte auf Wienerisch: "Ein bisserl vielleicht." Was womöglich ein bisserl untertrieben war.
Die Stadionregie spielte "The Show Must Go On"
Der Ausgleich gelang zwar noch, aber nach Virgil van Dijks 1:2 konnte dieses Spiel aus Sicht des FC Bayern nichts mehr retten. Nicht einmal der wiedergenesene Kingsley Coman, der anders als Holla die Waldfee immerhin noch gekommen war. "Eine Dimension mehr" gäbe Coman seiner Mannschaft, hatte Kovac vor dem Spiel gesagt, aber diesmal fügte sich Coman lediglich recht souverän in die bereits vorhandene relativ ungefährliche Dimension ein.
Also trudelte das Spiel seinem Ende entgegen und sofort nachdem es abgepfiffen wurde, als die Liverpool-Spieler unter ihrer Fankurve zu feiern begannen, spielte die Stadionregie über die Lautsprecher "The Show Must Go On" ein. So schnell wie das ging, wirkte es fast, als hätte man das Ausschieden beim FC Bayern fast schon erwartet.