Manuel Neuer schlenderte in seiner für ihn nach Niederlagen oder Rückschlägen typischen Art durch die Mixed Zone des Juventus Stadium: Offen für alle Fragen, aber doch sehr ruhig und besonnen: "Natürlich ist es bitter, dass wir nicht als Sieger nach Hause fahren", konstatierte der Welttorhüter, der dann jedoch vom eigentlichen Ergebnis weg wollte: "Grundsätzlich muss man mal festhalten, wie wir hier Fußball gespielt haben."
Genau das tat man in Turin. Auch in München. Vermutlich überall, wo am Dienstagabend das Champions-League-Spiel zwischen Juve und dem FCB übertragen wurde. Bayerns Auftreten in der ersten Stunde der Partie war staunenswert. Der deutsche Rekordmeister nötigte die Fußballwelt fast schon zur Unterwürfigkeit und Begeisterung.
Mia san Mia breitet sich aus
"Wir hatten das Spiel unter Kontrolle. Juventus konnte nicht eine einzige Situation ausspielen", stimmte auch Robert Lewandowski zu. Und er hatte Recht. Der FCB schob von der ersten Minute an maximal offensiv auf völlig überrumpelte Italiener, das Spiel fand eine Halbzeit lang fast ausschließlich in der Hälfte der Gastgeber statt.
Es war schlichtweg überragend, wie die Bayern dem Spiel im ersten Durchgang ihre Dominanz aufdrückten. Vor allem vor dem Hintergrund, dass mit Jerome Boateng, Holger Badstuber und Javi Martinez drei wichtige Defensivstützen fehlten.
Außerdem hatte Juve sich in den letzten Monaten verdammt viel Selbstvertrauen geholt. Gerade national marschierte die Alte Dame von Woche zu Woche mühelos durch die Liga. Dass sich trotz dieser Umstände ein derartiges Mia-san-Mia-Gefühl auf dem Platz ausbreiten würde, war nicht abzusehen.
"Wir hatten eine klare Vorstellung"
Doch dahinter steckte viel mehr als nur die individuelle Klasse des Champions-League-Siegers von 2013. "Wir hatten eine Idee und die hat man auch gesehen", sagte Philipp Lahm selbstbewusst: "Man hat gesehen, dass wir eine klare Vorstellung hatten, wie man auch beispielsweise gegen eine Fünferkette agieren kann."
Guardiola hatte seine Truppe perfekt vorbereitet. Die Entscheidung, Xabi Alonso - einen seiner absoluten Lieblingsspieler - draußen zu lassen und dafür Arturo Vidal die wohl verantwortungsvollste Aufgabe zu übertragen, ging voll auf. Genauso wie das Schaffen von einem enormen Übergewicht im Mittelfeld und noch dazu im Sturm. Khedira hatte nie Zugriff, Dybala hing völlig in der Luft.
Guardiola fand einen Weg, das geplante Angriffspressing von Juve zu überspielen und hatte für die Zone dahinter mit seiner Vierer-Angriffsreihe um Costa, Lewandowski, Müller und Robben die passenden Lösungen parat. Denn sie füllten die Lücken zwischen Juves Verteidigungs-Konstrukt und gaben dem aufgerückten Trio Bernat, Thiago und Lahm mehrere Anspiel- und Verlagerungsmöglichkeiten.
Unterschied liegt in der Raumaufteilung
Das alles war mit großem Risiko verbunden. Und es konnte nur funktionieren, indem das Team dem Coach und dessen Ideen in vollstem Maße vertraute. Lahm und Co. taten es. Sie spielten vollkommen nach der Vorstellung ihres Trainers.
Wie diese aussieht, beantwortete Guardiola gleich selbst: "Wir Trainer haben der Welt heute mit großer Intensität und Charakter unsere Spielweise gezeigt. Juventus Turin mag die Verteidigung im kleinen Raum und den Angriff im großen Raum. Ich mag dagegen die Verteidigung im großen Raum und den Angriff im kleinen Raum. Das ist der Unterschied."Dieser Unterschied war auch auf dem Platz deutlich zu erkennen: "Die Schablone hat sehr gut gepasst", befand Lahm.
Mia san Pep - im positivsten Sinne
Vom möglichen Bruch zwischen Spielern und Trainer, den einige heraufbeschwörten, als Guardiola seinen Wechsel zu Manchester City bekannt gegeben hatte, war rein gar nichts zu sehen. Im Gegenteil, die Mannschaft demonstrierte mit ihrem Spiel ungewollt ein Mia san Pep - im positivsten Sinne. Dass Arjen Robben nach seinem Treffer im Vollsprint zum Trainer eilte, war Sinnbild genug.
"Die Performance war Wahnsinn! Wir haben nicht nur 60 sondern 90 Minuten wahnsinnig gut gespielt. Aber das ist Fußball, wir müssen das Spiel und nicht nur das Ergebnis analysieren", freute sich der Trainer. Und man kaufte dem Katalanen jedes seiner Worte ab.
Die Bayern wissen, dass sie in dieser Verfassung kaum zu besiegen sind: "Wenn wir zuhause so spielen, wie wir es heute gemacht haben, dann sieht es sehr gut aus", blickte Neuer voraus. Bei aller Enttäuschung über die unnötigen Gegentore überwog der Optimismus.
Die Romantik der Schablone
Warum seine Mannschaft letztlich doch nur mit einem Unentschieden nach Hause flog, war schnell erklärt: "Weil wir sie bei den Gegentoren eingeladen haben", sagte Lahm völlig selbstverständlich: "Zudem ist Juve ein ganz starker Gegner, der solche Chancen ausnutzt. Dann kommt das Publikum dazu, wir spielen auswärts. Dennoch hatten wir zum Ende hin nochmal die besseren Möglichkeiten."
Zweifel daran, dass der FCB im Rückspiel ins Viertelfinale einzieht, hat nach der Demonstration der ersten Halbzeit ohnehin kaum noch jemand. Juves einziger Weg scheint es zu sein, die mysteriöse Schablone zu entschlüsseln, die Lahm gerne mehrfach thematisierte.
Was genau dahinter steckte, wollte er aber nicht verraten: "Sonst bräuchten wir im Rückspiel eine andere Schablone", grinste er schelmisch. Auf die Frage, ob der FCB die nicht sowieso brauche, antwortete der 32-Jährige: "Die Schablone ist auf Juve zugeschnitten, nicht auf Hin- und Rückspiel. Sie hat sehr gut funktioniert, also werden wir da nicht so viel ändern."
Allein diese Worte machten deutlich, wie sehr die gesamte Mannschaft den Weg von Pep Guardiola noch mitgeht. Hätte der seinem Kapitän in diesem Moment zugehört, er wäre sicherlich sogar noch ein Stück stolzer gewesen als er es ohnehin schon war.
Juventus Turin - FC Bayern München: Daten zum Spiel