Young-Boys-Boss Wanja Greuel im Interview: Der FCK-Fan, der die Auswärtstor-Regel zu Fall brachte

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Nach 56 Jahren ist die Auswärtstor-Regel in dieser Europapokal-Saison Geschichte. Maßgeblichen Anteil daran hatte der Boss des Schweizer Meisters Young Boys Bern - weil er sich einst auf dem Lauterer Betzenberg über die "Riesenungerechtigkeit" schwarz ärgerte.

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Dieses Interview wurde erstmals am 14. September 2021 vor dem Start der Champions-League-Gruppenphase veröffentlicht

Im Interview mit SPOX und Goal spricht YB-CEO Wanja Greuel über seinen Frust als Fan auf dem Betzenberg, den 30 Jahre dauernden Kampf und die Gründe für die Abschaffung der Regel.

Seit wann stand bei Ihnen die Änderung der Auswärtstor-Regel auf der Agenda?

Wanja Greuel: Ich bin in Kaiserslautern aufgewachsen, war daher großer FCK-Fan und hatte 13 Jahre eine Dauerkarte auf dem Betzenberg. Im November 1991 hat Lautern im Europapokal der Landesmeister in der Qualifikationsrunde zur Gruppenphase gegen den FC Barcelona gespielt. Das Hinspiel im Camp Nou ging 0:2 verloren. Beim Rückspiel war ich als 14-Jähriger im Stadion, es war eine gigantische Stimmung und ein sensationelles Spiel. Der FCK hat bis zur Nachspielzeit 3:0 geführt, dann hat Jose Mari Bakero das 1:3 erzielt und Lautern war ausgeschieden - und in der gleichen Saison hat Barca den Wettbewerb gewonnen. Mich hat das wahnsinnig gewurmt, dass eine Mannschaft rausfliegt, obwohl es in der Addition 3:3 steht.

Wanja Greuel ist seit 2016 CEO der Young Boys Bern.
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Wanja Greuel ist seit 2016 CEO der Young Boys Bern.

Das ist über 30 Jahre her - seit dem Tag wollten Sie die Auswärtstor-Regel ändern?

Greuel: Das war mein Ursprungserlebnis, aber ich habe mich auch danach immer wieder über diese Regel geärgert. Im Fußball wird so viel versucht zu optimieren, mit Torlinientechnik, Videobeweis oder kalibrierter Linie, aber wenn zwei Mannschaften gleich viele Tore schießen, muss eine ausscheiden. Das fand ich schon immer unfair. Deshalb habe ich als Jugendlicher und Student immer mal wieder Leserbriefe an Fachmagazine geschickt, damit diese Riesenungerechtigkeit endlich thematisiert wird. Hat aber nie jemand gemacht...

Bis Sie Funktionär bei Young Boys Bern wurden?

Greuel: Ja, dadurch konnte ich das Ganze ein bisschen anschieben. Ich bin 2015 von Infront zu YB gekommen und dort im September 2016 zum Chief Executive Officer berufen worden. Konkret wurde das Thema Auswärtstor-Regel aber vor allem ab 2019, als ich in den Vorstand der ECA gewählt wurde (Interessenvertretung der europäischen Top-Klubs, Anm. d. Red.). Dann habe ich das Thema angesprochen und auf die Agenda gesetzt.

Wie ging es weiter?

Greuel: Die Mehrheit war auch der Meinung, dass man etwas ändern muss, weil es schon länger in der Diskussion war. Da habe ich gesagt: Dann lass' uns mal vorwärts machen und habe einen offiziellen Antrag gestellt. So kam die Auswärtstor-Regel im Club Competition Committee der UEFA auf die Tagesordnung und von dort gab es dann die Empfehlung ans Exekutivkomitee, das die Regel schließlich Ende Juni offiziell zur neuen Saison abgeschafft hat.

Das heißt, ohne Wanja Greuel hätte es die Änderung der Auswärtstor-Regel nicht gegeben?

Greuel: So würde ich das nicht sagen, denn das Thema ist schon seit Jahren diskutiert worden, viele prominente Trainer wie Arsene Wenger oder Thomas Tuchel haben sich auch schon für eine Abschaffung ausgesprochen. Ich habe es also nicht allein angestoßen. Aber ich wage zu behaupten, dass ich den entscheidenden Stein mit meinem Antrag ins Rollen gebracht habe. Die Regel wäre wahrscheinlich auch irgendwann ohne mich gefallen, aber nicht jetzt schon.

Mussten Sie denn noch viel Überzeugungsarbeit leisten?

Greuel: Ich war bei einem virtuellen Meeting des Club Competition Committees dabei, wo es eine große Diskussion gab mit sehr viel Pro Abschaffung und ganz wenig Contra. Einer, der nicht so ganz überzeugt war, war Emilio Butragueno von Real Madrid. Aber am Schluss gab es bei rund 40 Teilnehmern nur zwei, drei Gegenstimmen respektive Enthaltungen.

Wie haben Sie die Skeptiker überzeugt?

Greuel: Die Regel ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Sie wurde 1965 eingeführt, zu einer Zeit, als Auswärtsspiele noch teure Abenteuerreisen waren, in Stadien und auf schlechten Rasenplätzen, die man nicht kannte. Und die vorher üblichen Entscheidungsspiele verteuerten das Ganze nochmals. Heute ist das nicht mehr der Fall. Also gehört die Ungerechtigkeit abgeschafft, dass ein Team ausscheidet, das nicht schlechter, sondern punkt- und torgleich ist. Und dass ein Tor einfach mehr wert ist als ein anderes. Mein Hauptargument war aber ein anderes...

Und zwar?

Greuel: Die Abschaffung der Regel kommt der Qualität des Spiels zu Gute, weil Offensive belohnt wird. Denn es wurde immer wahnsinnig viel taktiert aus Angst vor einem Gegentor zu Hause. Die meisten Heimteams haben doch nicht mehr primär auf Sieg gespielt, sondern vor allem darauf geachtet, zu Hause kein Gegentor zu bekommen. Und wenn man umgekehrt auswärts getroffen hat, musste der Gegner gleich drei Tore schießen, um ein 0:1 wettzumachen - und dann war meist die ganze Spannung weg.

Das Pro und Contra von SPOX zur Abschaffung der Auswärtstorregel

Also haben Sie eines Ihrer Lebensziele erreicht?

Greuel: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die Regeländerung den Fußball gerechter und auch attraktiver macht. In meinen Augen hätte man die Regel schon vor zehn, wenn nicht 20 Jahren abschaffen müssen. Noch besser wäre es natürlich vor 30 Jahren gewesen, als Lautern gegen Barcelona gespielt hat, aber man kann nicht alles haben.