Freunds erfolgreiche Arbeit in Österreich hat den FC Bayern München auf den Plan gerufen: Wie die Bayern bestätigten, übernimmt er ab September 2023 den Posten als Sportdirektor und tritt damit die Nachfolge von Hasan Salihamidzic an.
Das folgende Interview wurde erstmals im November 2020 veröffentlicht.
Christoph Freund über den Scoutingprozess von der Entdeckung zur Verpflichtung
Herr Freund, Sie kamen einst kurz nach dem Einstieg von Red Bull in den Klub. Damals verpflichtete Salzburg gerne Altstars wie Niko Kovac oder Alexander Zickler, heute gilt er als einer der besten Ausbildungsklubs Europas. Wie gelang diese Transformation?
Christoph Freund: Es gibt einen entscheidenden Meilenstein und das war die Ankunft von Ralf Rangnick im Jahr 2012. Er hat den Klub von links auf rechts gedreht, einen kompletten Strategiewechsel vollzogen. Davor ging es vorrangig darum, Titel zu gewinnen. Seitdem ist es unser Ziel, die besten Talente der Welt zu finden, zu entwickeln und mit ihnen national wie international erfolgreich Fußball zu spielen. In dieser veränderten Philosophie mit den Kernpunkten Gegenpressing und schnelles Umschalten suchen wir Spieler wie auch Trainer die gut zu uns passen.
Wie viele Scouts sind bei dieser Suche beteiligt?
Freund: Wir haben sieben vollberufliche Scouts und einige nebenberufliche. Im internationalen Vergleich zu anderen Klubs ist das eine recht kleine Scoutingabteilung. Unser Erfolgsgeheimnis ist vielleicht, dass wir genau wissen, wonach wir suchen. Wir suchen Spieler zwischen 16 und 19 Jahren, die perfekt zu unserer Spielphilosophie passen. Insofern ist die Anzahl an potenziellen Neuzugängen bei uns eher eingeschränkt.
Wie sieht der Alltag der Scouts aus?
Freund: Sie arbeiten in Salzburg, sind aber jeweils für bestimmte Regionen zuständig. Wir arbeiten viel mit Video- und Datenscouting. Unsere Jungs reisen aber auch immer wieder zu Spielen, um Spieler zu beobachten und sie persönlich kennenzulernen. Ansonsten stehen sie im Austausch mit den wichtigsten Personen in den entsprechenden Regionen. Wir haben uns in den vergangenen Jahren weltweit ein gutes Netzwerk und viele wichtige internationale Kontakte aufgebaut, unter anderem auch in Afrika. Dort gibt es Akademien, mit denen wir in engen Austausch stehen und vertrauensvoll zusammenarbeiten.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit diesen Akademien ab?
Freund: Wir werden von ihnen auf dem Laufenden gehalten, wie sich uns bekannte Spieler entwickeln und ob neue interessante Spieler dazukommen. Wir bekommen regelmäßig Bildmaterial von ihnen und auch umfassende allgemeine Informationen.
Was hat die jeweilige Akademie davon?
Freund: Sobald ein Spieler zu uns wechselt, fließt natürliche auch eine Ablösesumme. So eine Zusammenarbeit funktioniert langfristig nur, wenn beide Seiten profitieren. Ein entscheidender Faktor ist sicher, dass wir uns als Klub für den ersten Schritt für junge Spieler aus der ganzen Welt in Europa einen sehr guten Namen gemacht haben.
Im Januar 2018 holte Salzburg den damals 18-jährigen Erling Haaland für kolportierte acht Millionen Euro vom FK Molde. Können Sie anhand dieses Beispiels den Ablauf zwischen der Entdeckung und der Verpflichtung eines Talents schildern?
Freund: Zunächst: Die Ablöse für Haaland war damals bedeutend geringer. Bei Erling war es ein sehr langer Prozess. Erstmals aufgefallen ist er uns 2016 bei einem Spiel der norwegischen U16-Nationalmannschaft. Weil es schwierig war, Aufnahmen von seinen Spielen zu bekommen, haben wir das extra filmen lassen. Er hat uns von Anfang an überzeugt, also nahm der verantwortliche Scout Kontakt mit ihm und seinem Vater auf. Es ist ein großer Vorteil, wenn man mit einem Talent und seinen Bezugspersonen vor allen anderen potenziell interessierten Klubs persönlich in Kontakt steht.
Was wird dem Spieler bei diesen ersten Gesprächen mitgeteilt?
Freund: Zwei wichtige Aspekte: Einerseits, dass er bei uns sehr früh die Chance auf internationale Spiele bekommen wird. Und andererseits, dass er sich aufgrund des ruhigen Umfelds in Salzburg trotzdem ohne großen Druck richtig gut entwickeln kann.
Wann haben Sie sich als Sportdirektor erstmals mit Haaland persönlich ausgetauscht und wie haben Sie ihn damals erlebt?
Freund: Das war 2018. Er wirkte auf mich sehr fokussiert, intelligent und selbstbewusst. Er wusste genau, was er will.
Wie oft wird ein Spieler im Schnitt beobachtet, bis er für eine Verpflichtung in Frage kommt?
Freund: Normalerweise zwischen 20 und 40 Mal. Manchmal müssen wir aber auch schneller reagieren und versuchen, Top Talente kurzfristiger von uns zu überzeugen.
Worauf kommt es beim Scoutingprozess abgesehen vom Beobachten der Spiele und den persönlichen Gesprächen noch an?
Freund: Wir versuchen so viel wie möglich über den Charakter des jeweiligen Spielers herauszufinden. Dadurch können wir - sofern er irgendwann tatsächlich verpflichtet wird - besser auf bestimmte Situationen reagieren. Wenn man genau weiß, wie ein Mensch tickt, kann man bei Problemen besser und individueller auf ihn eingehen.
Welche Maßnahmen trifft der Klub nach der Verpflichtung eines Talents?
Freund: Als erstes organisieren wir mit dem Spieler eine passende Wohnung, stellen ihm bei Notwendigkeit einen Deutschlehrer zur Seite und schauen, dass er sich in Salzburg gut einleben kann. Dafür haben wir ein eigenes Integrationsteam bestehend aus drei, vier Mitarbeitern. Sie begleiten unsere Talente nicht nur im Fußball, sondern auch im Privatleben permanent: zeigen ihnen die Stadt, unternehmen Sachen mit ihnen. Wir verpflichten nur so viele ausländische Talente, dass wir uns um alle ganz intensiv und familiär kümmern können.
Christoph Freund über die Zukunft, das Vorbild Ajax und Trainerscouting
Bringen sie gute Leistungen, zieht es sie aber schnell zu größeren Klubs. Haaland etwa wechselte nur ein Jahr nach seiner Ankunft für 20 Millionen Euro zu Borussia Dortmund. Wie sehr schmerzt Sie das?
Freund: Erling war nicht nur in dieser Hinsicht eine besondere Geschichte. Das schmerzt ganz und gar nicht, sondern macht uns stolz, weil es Teil unseres Konzepts ist. Der Spieler kann den nächsten Schritt machen, wir bekommen durch einen Transfer wiederum Einnahmen, die wir unter anderem ins Scouting und neue gute Talente investieren können. Außerdem gibt es wieder einen freien Platz im Kader, den das nächste Talent einnehmen kann. Es ist eine Bestätigung für uns, dass wir auf einem guten und für uns richtigen Weg sind.
In der Vergangenheit wechselten viele Spieler von Salzburg zu RB Leipzig. Ist es Ihnen lieber, wenn ein Spieler diesen Weg geht und somit im RB-Kosmos bleibt?
Freund: Zu welchem Klub ein Spieler wechselt, entscheidet er selbst. Wir haben darauf keinen Einfluss und es hat für uns letztlich nur bedingte Bedeutung.
Haben Sie sich jemals von Leipzig gedrängt gefühlt?
Freund: Nein. Wir sind ein unabhängiger Klub und treffen unsere eigenen Entscheidungen.
Wie wird sich der Scoutingprozess künftig weiterentwickeln?
Freund: Weil die technischen Möglichkeiten immer größer werden, wird die Wichtigkeit von Daten weiter zunehmen. Das muss man aber mit Vorsicht genießen, denn im Endeffekt geht es immer um den Menschen. Völlig unabhängig von dieser Entwicklung wird der FC Red Bull Salzburg niemals einen Spieler verpflichten, von dem wir menschlich nicht überzeugt sind.
Gibt es in Europa andere Klubs, deren Nachwuchsarbeit Sie begeistert?
Freund: Da fallen mir einige ein, wie Ajax Amsterdam, Atalanta Bergamo, der FC Nordsjaelland und der FC Midtylland. Das sind ebenfalls Klubs, die in Sachen Nachwuchsarbeit und Philosophie eine genaue Vorstellung haben und danach handeln. Bei Ajax imponiert mir, dass sie immer wieder sehr hohe Transfererlöse erzielen.
Dabei profitierte Ajax davon, dass der Klub bei seinen Verkäufen anders als Salzburg beispielsweise bei Haaland nicht von festgeschriebenen Ablösesummen gebremst wurde.
Freund: Genau da wollen wir auch hinkommen. Es ist leider nicht immer möglich, aber wir wollen versuchen weniger festgeschriebene Ablösesummen in unsere Verträge zu integrieren.
Salzburg brachte in den vergangenen Jahren nicht nur etliche Topspieler heraus, sondern auch Toptrainer wie Beispielsweise Adi Hütter, Roger Schmidt oder Marco Rose. Welche Rolle spielt das Trainerscouting?
Freund: Das Trainerscouting genießt bei uns eine hohe Priorität. Trainer sind wohl die wichtigsten Personen im Klub, weil sie den größten Einfluss auf die Entwicklung der einzelnen Jungs und der Mannschaft haben. Wir suchen aktiv nach jungen Trainertalenten und versuchen, sie genau wie talentierte Spieler frühzeitig unter Vertrag zu nehmen und in unserer Akademie weiter auszubilden. Wie bei Spielern haben wir auch bei Trainern eine Schattenliste.
Anders als bei Spielern kann man bei der Suche nach talentierten Trainern aber kaum auf harte Daten zurückgreifen. Worauf kommt es beim Trainerscouting an?
Freund: Wenn wir an einem Trainer interessiert sind, beobachten wir ihn bei Trainingseinheiten und natürlich auch bei Spielen. Grundvoraussetzung ist die Spielphilosophie. Ein entscheidender Punkt ist, wie seine Mannschaft mit speziellen Situationen umgeht. Die Reaktion einer Mannschaft auf ein Gegentor oder Tor sagt beispielsweise viel über die Fähigkeiten ihres Trainers aus. Und auch, wie eine Mannschaft generell auftritt, miteinander umgeht und welche Energie am Platz zu spüren ist.
Suchen Sie genau wie mit Spielern auch bei Trainern lange vor einer möglichen Verpflichtung den persönlichen Austausch?
Freund: Natürlich stehen wir mit Trainern immer wieder in Kontakt, die bei anderen Klubs einen guten Job machen und vielleicht mal für uns interessant werden. Man tauscht sich immer wieder aus, um den Menschen hinter dem Trainer so gut als möglich kennen und verstehen zu lernen.
Gibt es in Ihrer aktuellen Profimannschaft einen Spieler, den Sie sich später gut als Trainer vorstellen können?
Freund: Da gibt es einige, zum Beispiel unseren Kapitän Andi Ulmer. Er ist schon lange im Klub und führt die jungen Spieler fast wie ein Trainer auf dem Platz. Er könnte irgendwann ein guter Trainer werden.